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Ihr könnt mir gar nichts

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Die schlimmsten Tage im NSU-Ausschuss des Landtags sind die, an denen sich alte und junge Nazis präsentieren, als wäre ihre Gesinnung das Normalste von der Welt. Und an denen immer klarer wird, wie selbstverständlich braune GesellInnen unbehelligte Mitglieder der Gesellschaft sind.

Ein ganz besonderes Exemplar dieser Art ist Österreicherin. In ihrer alten Heimat hätte Edda Schmidt allerdings größte Schwierigkeiten, denn dort gibt es im Strafrecht, anders als in der Bundesrepublik, den sogenannten Wiederbetätigungsparagraphen. Noch, denn manche möchten, dass die neue rechtsgewirkte ÖVP/FPÖ-Koalition ihn abschafft, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls ist seit 1947 "jede Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus" nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern mit einer Strafe von bis zu zehn Jahren belegt. Der englische Schriftsteller und Holocaust-Leugner David Irving etwa wanderte 2005 für 13 Monate bis zu seiner Abschiebung nach Großbritannien in den Knast.

Innenminister Thomas Strobl (CDU)

Eh-Wurscht-Akten

Ausgabe 305, 01.02.2017
Von Johanna Henkel-Waidhofer

Es sind nicht die spektakulären Ermittlungsfehler, die beim zweiten Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss ans Licht kommen. Erstaunlich ist wieder einmal die frappierende Gleichgültigkeit, mit der Behörden die rechtsradikale Szene im Land betrachten.

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Edda Schmidt, NPD-Größe und eine der wichtigsten Frauen im rechtsnationalen Spektrum, sollte in der 16. Sitzung des zweiten Untersuchungsausschusses zu den Verbindungen des "Nationalsozialistischen Untergrund" nach Baden-Württemberg genau darüber Auskunft geben. Natürlich sind "die Uwes" von Geheimdiensten umgebracht worden, sagt die selbsternannte Brauchtumsexpertin, die Nazi-Kader nicht nur im Osten schulte. An den Beispielen Georg Elser und Rudolf Heß bot sie einen Einblick in ihr krudes Weltbild. Ersteren nennt sie einen "Mörder", weil er dafür sorgte, dass im Münchner Hofbräuhaus "acht Menschen totgegangen sind". Dass eine Briefmarke für ihn herausgegeben wurde, ist für sie inakzeptabel. Der Hitler-Stellvertreter wiederum sei erstens "sicher nie" mit Konzentrationslagern befasst gewesen, und zweitens hat er sich 1987 in seiner Zelle in Spandau auch nicht selbst getötet, vielmehr hätten ihn "die Engländer" umgebracht. "Und deshalb gedenke ich seiner", so die 69-Jährige, "Punkt." Jede Belehrung sei "hoffnungslos", resümierte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD).

Nicht nur im Falle der Vielfach-Kandidatin bei Bundes- und Landtagswahlen. Auch ihrer früherer Parteifreund Jörg Hager wollte mehrfach ins Parlament. "Und jetzt hocke ich wirklich hier drin", sagt er. Drexler will wissen, warum sein Autokennzeichen mit der 88 endet, dem Code von Hitler-Anhängern. "Ich finde es schön", antwortet der Zeuge, der aus der Partei ausgetreten ist, aber nicht "aus ideologischen Gründen". Radikale Musiker, darunter auch Familienväter, sind gehört worden, die doch nur Musik machen wollten. SängerInnen nehmen auf dem Zeugenstuhl Platz und erzählen, sie hätten ihren Texten gar nicht so richtig zugehört, den menschenverachtenden Botschaften natürlich erst recht nicht. Viele Rechte hatten Kontakte mit der Polizei, zum Beispiel der Sportschütze und Waffenliebhaber, dessen Wohnung 2014 durchsucht wurde. Braune Devotionalien, Uniformen mit Hakenkreuzen oder SS-Stahlhelme waren für die Beamten aber kein Anlass zur Beanstandung. "Und Sie haben kein Gefühl dafür, dass man so etwas nicht sammelt?", fragt Drexler. Wie zahllose andere Aussagen endet auch diese in einer zähen Spirale aus Verharmlosung, gespieltem Desinteresse und klaffenden Erinnerungslücken.

Edda Schmidt, geborene Biber – ihr Vater war bei der Waffen-SS, ihre Mutter BDM-Führerin –, legte dagegen einen Auftritt hin, geprägt von einer barschen, selbstbewussten Angriffslust, nach dem Motto: Ihr könnt mir gar nichts. Was so falsch nicht ist, ihre Verurteilungen zu Grunde gelegt. Trotz mannigfaltiger einschlägiger Aktivitäten gab es davon nicht einmal eine Handvoll. Irgendwann war das Schauspiel zu Ende, und sie stampfte aus dem Plenarsaal. "Guten Rutsch!" zum Jahreswechsel wünscht die Mutter von vier Kindern übrigens nie, weil dieser Silvestergruß aus dem Hebräischen stammt. Stimmt! ראש השנה טוב! Oder transkripiert: Rosch ha schana tov!


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1 Kommentar verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 27.12.2017
    Antworten
    Edda Schmidt soll am Rand einer NPD-Schulungsveranstaltung im Januar 2000 ein Gespräch zwischen dem in München angeklagten R A L F W O H L L E B EN und dem damals noch nicht enttarnten V-Mann Tino Brandt einerseits und dem ehemaligen Naziliedermacher Christian Kapke andererseits vermittelt haben.…
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