Wo anfangen, wo aufhören? Zum Beispiel bei den Super-GAUs. Im Juli 2015 musste Fiat Chrysler USA 1,4 Millionen Fahrzeuge des Modells Jeep Cherokee zurückrufen. Nicht etwa, weil der Airbag defekt war, sich die Fahrzeuge aus dem Stand selbständig machten, weil Scheibenwischer ausfielen, Winterreifen gegen die Laufrichtung montiert waren oder die Zusatzkühlmittelpumpe blockierte. Auf die Notbremse stieg die Firma erst, als Hacker die Kontrolle über zentrale Funktionen erlangt hatten und über das Infotainment-System aus der Ferne Geschwindigkeit, Bremsen oder Lenkung manipulieren konnten. Wenig später besserte auch BMW 2,2 Millionen Autos nach. Tesla hat schon einen Super-Gau hinter sich: Im Juli 2016 übersah der Autopilot einen Lastwagen, der PKW-Fahrer starb.
So etwas kommt natürlich in der Welt der Unfallpräventionssysteme, der entspannten FahrerInnen in den musikalisch mit Wohlfühlklängen untermalten Videoclips nicht vor. Über 93 Prozent aller Unfälle würden durch menschliches Fehlverhalten verursacht, heißt in der Selbstdarstellung von Mobileye, jenem System, mit dem inzwischen weltweit über zehn Millionen Fahrzeuge ausgestattet sind. Milliarden weitere sollen folgen: "Die Zukunft gehört dem unfallfreien Fahren mit unserer Technologie im Mittelpunkt." Eben erst wurde die 1999 in Israel als Start-up gegründete Firma für mehr als 15 Milliarden Dollar an den Chipgiganten Intel verkauft. Nicht der schönen digitalen Augen wegen, die die menschlichen ersetzen sollen, und auch nicht vor allem zum Zwecke der Unfallverhütung. Es geht ums ganz große Geschäft mit den gesammelten Daten.
Die Landesregierung hat 8,6 Millionen Euro bewilligt für eben jenen Think Tank im Hause Hermann. "Von der modernen Fahrzeugtechnik über die Verkehrslenkung bis zur Sharing Economy", heißt es in waschmittelwerbungsreifer Anpreisung. Die Digitalisierung sei "ein Treiber der großen Veränderungen, die das Mobilitätssystem aktuell durchläuft". Denn die Informationstechnologie mache es möglich, "dass sich Fahrzeuge und ihre Umgebung miteinander vernetzen". Das kommt so harmlos daher.
"Wem gehören die gesammelten Daten eigentlich?", wollte Stefan Klocke, ein einschlägig tätiger Berater aus Karlsruhe ("Wir verhelfen Ihren großartigen Ideen zur Entfaltung") kürzlich von einem Mobileye-Manager wissen. Die Gesprächspartner drücken sich um eine Antwort, wissen aber ganz genau, dass Hochleistungsrechner allgegenwärtig sein müssen, um für Sammlung, Auswertung und Weitergabe – den Begriff Verkauf vermeidend – bereitzustehen. Die Kosten dafür, so darf vermutet werden, trägt in dieser Vorstellungswelt selbstredend die öffentliche Hand, damit bei den privaten Nutznießern die Kasse noch ein bisschen besser stimmt.
"Big Data steht für neue Chancen – für neue soziale, ökonomische, wissenschaftliche Erkenntnisse, die dazu beitragen können, die Lebensverhältnisse in unserer komplexen Welt zu verbessern", schrieb Winfried Hermanns Partei- und alter Freund aus grünen Fundiflügel-Tagen Thilo Weichert in einem Thesenpapier schon vor vier Jahren. Big Data stehe aber zugleich "für neue Risiken – die Möglichkeiten des informationellen Machtmissbrauchs durch Manipulation, Diskriminierung und Unterdrückung: Werden große Mengen von Daten durch private oder öffentliche Stellen zusammengeführt, so kann deren informationelle Ausbeutung zu massiver Verletzung informationeller Grundrechte der Menschen und damit zur Gefährdung ihrer Freiheitsrechte führen". Denn, so Weichert: "Alles wäre mit allem kombinier- und dann auswertbar: Angaben über Finanztransaktionen, Bonität, medizinische Behandlung, privaten Konsum, Berufstätigkeit, aus der Internetnutzung, von elektronischen Karten und Smartphones, aus der Video- oder der Kommunikationsüberwachung."
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