Hört man Leon Hahn (25) und Colyn Heinze (20) beim Reden zu, muss man sich anstrengen, nicht abzudriften oder sogar einzunicken. Nicht, weil der Juso-Vorsitzende in Baden-Württemberg und der zweite Vorsitzende des Dachverbands der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg nicht laut und deutlich genug sprächen. Sondern weil die SPD-Jungs perfekte Kopien des durchschnittlichen Landtagsmitglieds in Stuttgart sind: 52,7-jährige Sakko-Männer, die sich gerne selbst reden hören. Der eine zitiert altklug Max Frisch und erzählt in Gleichnis-Form von Veranstaltungen, bei denen Menschen Kraft seiner Überzeugung zur Politik fanden. Der andere agitiert mit geübt-sonorer Rhetorikerstimme als wäre irgendwo noch Wahlkampf. Beiden gemein: Der virile Drang, ein einstudiertes Sprachprogramm abzuspulen, statt sich spontan auf GesprächspartnerInnen und Fragen einzulassen.
Die beiden jungen Sozialdemokraten sitzen bei einer Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) im Kulturzentrum Merlin am vergangenen Donnerstag neben Ceyda Tutan (39) vom Stadtjugendring und Andreas Kenner (59) – seinerseits SPD-Landtagsfraktionsmitglied und zuständig für Jugend, Familien, Senioren und schwäbische Mundart-Gags am laufenden Band. Zusammengekommen sind sie, um gemeinsam die Ergebnisse einer empirischen Studie der SPD-nahen Stiftung zum politischen Engagement von Jugendlichen zu diskutieren. Unter anderem soll die Frage geklärt werden, weshalb es der Politik an Nachwuchs fehlt. Zumal es jüngst erst hieß, die heutige Jugend sei eine besonders politische Generation.
Nachdem die 17. Shell-Jugendstudie Ende 2015 festgestellt hatte, dass deutlich mehr Jugendliche als bisher wieder "politisch" wären, wollte es die FES genauer wissen und erstellte in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) die Studie "Jung, Politisch, Aktiv!?". 2057 von rund 10 000 angeschriebenen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren antworteten auf Fragen zu ihrem politisch-gesellschaftlichen Engagement. Das Ergebnis war ernüchternd. Zwar nehmen 96 Prozent an Wahlen teil. Geht es jedoch ans Eingemachte, also konkrete politische Teilnahme, nimmt die Bereitschaft ab: In einer Partei aktiv zu sein, könnten sich 30 Prozent vorstellen. Knapp 39 Prozent würden in einer Gewerkschaft mitarbeiten oder eine Wahlkampagne unterstützen. Nur 24 Prozent würden einen politischen Button an die Klamotten heften. Politische Botschaften oder Graffiti auf Wände schreiben, beziehungsweise sprühen, ist total unten durch. 92 Prozent würden so etwas nicht tun.
Grund Nummer eins, sich nicht in einer Partei zu engagieren: Unlust. Das gaben 83 Prozent der Befragten an. Am meisten wurde bemängelt, dass man gar nicht wisse, wie man sich überhaupt parteilich engagieren könne. Auch, dass man mit dem Parteibeitritt das komplette Paket kaufen müsse, sei unattraktiv. Über 70 Prozent der Jugendlichen sind außerdem der Meinung, dass Parteien ihre AltersgenossInnen gar nicht miteinbezögen. Noch dazu hätte Politik ein verheerendes Image-Problem: "Politiker gelten bei Jugendlichen als uncool oder blöd", erzählt Stefanie Hanke, die die Studie vorstellt und das Jugend- und Politikforum der FES in Bonn leitet. Was also tun? Mehr Lenin lesen? Mehr Marx und Rosa Luxemburg?
3 Kommentare verfügbar
era
am 08.10.2016