KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Ganz die Alten

Ganz die Alten
|

Datum:

Jugendliche finden PolitikerInnen doof und wollen selbst keine Politik machen - das hat die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Studie herausgefunden. Es mangele an jungen Politvorbildern. Bei der Vorstellung der Studie wird ein weiterer Grund offenbar: Die wenigen engagierten Jungen kopieren bloß die Oldies in Land- und Bundestag.

Hört man Leon Hahn (25) und Colyn Heinze (20) beim Reden zu, muss man sich anstrengen, nicht abzudriften oder sogar einzunicken. Nicht, weil der Juso-Vorsitzende in Baden-Württemberg und der zweite Vorsitzende des Dachverbands der Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg nicht laut und deutlich genug sprächen. Sondern weil die SPD-Jungs perfekte Kopien des durchschnittlichen Landtagsmitglieds in Stuttgart sind: 52,7-jährige Sakko-Männer, die sich gerne selbst reden hören. Der eine zitiert altklug Max Frisch und erzählt in Gleichnis-Form von Veranstaltungen, bei denen Menschen Kraft seiner Überzeugung zur Politik fanden. Der andere agitiert mit geübt-sonorer Rhetorikerstimme als wäre irgendwo noch Wahlkampf. Beiden gemein: Der virile Drang, ein einstudiertes Sprachprogramm abzuspulen, statt sich spontan auf GesprächspartnerInnen und Fragen einzulassen.

Die beiden jungen Sozialdemokraten sitzen bei einer Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) im Kulturzentrum Merlin am vergangenen Donnerstag neben Ceyda Tutan (39) vom Stadtjugendring und Andreas Kenner (59) – seinerseits SPD-Landtagsfraktionsmitglied und zuständig für Jugend, Familien, Senioren und schwäbische Mundart-Gags am laufenden Band. Zusammengekommen sind sie, um gemeinsam die Ergebnisse einer empirischen Studie der SPD-nahen Stiftung zum politischen Engagement von Jugendlichen zu diskutieren. Unter anderem soll die Frage geklärt werden, weshalb es der Politik an Nachwuchs fehlt. Zumal es jüngst erst hieß, die heutige Jugend sei eine besonders politische Generation.

Nachdem die 17. Shell-Jugendstudie Ende 2015 festgestellt hatte, dass deutlich mehr Jugendliche als bisher wieder "politisch" wären, wollte es die FES genauer wissen und erstellte in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) die Studie "Jung, Politisch, Aktiv!?". 2057 von rund 10 000 angeschriebenen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren antworteten auf Fragen zu ihrem politisch-gesellschaftlichen Engagement. Das Ergebnis war ernüchternd. Zwar nehmen 96 Prozent an Wahlen teil. Geht es jedoch ans Eingemachte, also konkrete politische Teilnahme, nimmt die Bereitschaft ab: In einer Partei aktiv zu sein, könnten sich 30 Prozent vorstellen. Knapp 39 Prozent würden in einer Gewerkschaft mitarbeiten oder eine Wahlkampagne unterstützen. Nur 24 Prozent würden einen politischen Button an die Klamotten heften. Politische Botschaften oder Graffiti auf Wände schreiben, beziehungsweise sprühen, ist total unten durch. 92 Prozent würden so etwas nicht tun.

Grund Nummer eins, sich nicht in einer Partei zu engagieren: Unlust. Das gaben 83 Prozent der Befragten an. Am meisten wurde bemängelt, dass man gar nicht wisse, wie man sich überhaupt parteilich engagieren könne. Auch, dass man mit dem Parteibeitritt das komplette Paket kaufen müsse, sei unattraktiv. Über 70 Prozent der Jugendlichen sind außerdem der Meinung, dass Parteien ihre AltersgenossInnen gar nicht miteinbezögen. Noch dazu hätte Politik ein verheerendes Image-Problem: "Politiker gelten bei Jugendlichen als uncool oder blöd", erzählt Stefanie Hanke, die die Studie vorstellt und das Jugend- und Politikforum der FES in Bonn leitet. Was also tun? Mehr Lenin lesen? Mehr Marx und Rosa Luxemburg?

In einer Umfrage, die die FES auf den Straßen in Stuttgart und Berlin gefilmt hat, sagt ein junger Mann, "dass Deutschland keine Waffen mehr an Ölkonzerne schicken" soll. Später wolle er vielleicht selbst mal für irgendein Amt kandidieren. Zwischen zahlreichen ungewollt spaßigen Antworten sind auch ein paar kluge geschnitten. Die meisten jungen Menschen, mit denen Stefanie Hanke am jugendpolitischen Forum in Bonn Planspiele macht, wüssten jedoch gar nicht mehr, wer Karl Marx oder Rosa Luxemburg überhaupt sind, erzählt sie.

Sieht man Hahn und Heinze oben auf dem Podium sitzen, wie sie ihre Debattierclub-Sätze im Stakkato gen Publikum feuern, könnte man meinen, sie hätten zumindest schon einmal was über die Avantgarde der Arbeiterklasse und revolutionären Theorie, "die Massen ergreift" (Marx), gelesen. Doch dort unten sitzen nicht leicht entflammbare, jugendliche ProletarierInnen, die nichts zu verlieren haben, außer ihren Ketten (auch Marx). Und dort oben sitzen leider keine jungen Männer, mit denen sich die Generation "Yolo" ("You Only Live Once", jugendlich für "carpe diem!") für Politik hinter'm Ofen vor holen lässt. Sie predigen vor längst Bekehrten. Denn das Publikum im Merlin, an das Hahns und Heinzes Worte gerichtet sind, ist im Durchschnitt mindestens so alt wie deren Eltern und erinnert in Zwischenfragen an die schöne, alte Zeit "als Willy Brandt noch Bundeskanzler war und wir Idealisten". Was der Genosse und Brandt-Fan aus Stuttgart von den Zuschauerstühlen aus sagt, bringt ein zentrales Problem auf den Punkt: "Mit Brandt gab's noch ein philosophisches Thema, mit dem man Politik gemacht hat. Da wurden Themen wie soziale Gerechtigkeit noch mit den Bürgern diskutiert. Das findet nicht mehr statt!", beschwert sich der Mann, der Heinzes Vater sein könnte.

Auch den beiden Jungpolitikern fehlen die Vorbilder

Und an dieser Stelle erkennt man, wie schwer es politisch aktive, junge Menschen haben. Einerseits machen sich Hahn und Heinze viele Gedanken darüber, wie sie ihre Generation für politische Aktivitäten begeistern können. Sie opfern ihre Freizeit. Sie brennen. Sie fordern mehr Mitspracherecht auf landespolitischer Ebene samt Wahlrecht ab 16 und monieren ihr zahnloses Tiger-Dasein. Sie erkennen auch, dass politische Jugendgruppen, wie die Jusos, ein Mitgliederproblem haben, weil sie keine Neuzugänge ansprechen, die nicht eh schon Bock auf Politik haben. Leon Hahn trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er bemängelt, dass etwas massiv schief läuft, "wenn sich eine junge Frau fragen muss, ob sie erst fünfzig sein muss, bis sie im Landtag mitmachen darf." Das Problem ist glasklar erkannt. Doch leider reproduzieren die jungen SPDler das langweilige, elitäre Bild, das Jugendliche von etablierten PolitikerInnen in Land- und Bundestag haben und stecken damit in einem Dilemma. Vorwerfen kann man ihnen das nur bedingt. Es fehlt an neuen Idolen.

"LeFloid" sei so ein potenzielles Vorbild, sagt Stefanie Hanke. Der wild gestikulierende YouTube-Star hat knapp drei Millionen YouTube-Abonnenten, fast 900 000 Twitter-Follower und Video-Zugriffszahlen, von denen PolitikerInnen nur träumen können. Die Bewegtbilder vom Stuttgarter Landtag haben im Schnitt nicht mehr als wenige hundert Aufrufe – wenn es gut läuft. Über fünf Millionen Menschen haben sich hingegen im Internet angeschaut, wie der 29-jährige Jugendstar Angela Merkel mehr kuschelig als kritisch interviewte. Die Rede zum Tag der Deutschen Einheit des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert auf dem YouTube-Kanal von "phoenix" wurde aktuell etwa 600 Mal angeklickt (Stand 4.10.2016). Nur selten knacken Aufzeichnungen aus dem Bundestag die Tausender-Grenze. "Das, was LeFloid macht, wünschen sich junge Leute", sagt Hanke. "Da finden sie sich wieder". Doch der Youtube-Star wurde von den Medien durch die Bank fertig gemacht für sein Merkel-Interview und seinen "aufgeregten, unsouveränen Auftritt". Statt anzuerkennen, dass sich ein Netzheld U30 bemüht, seine AnhängerInnen aus der politischen Lethargie zu locken, wird er runtergebuttert. Als müsse Politik auf ewig was "für die Großen" sein und bleiben, verkommt die Frage nach mehr jugendlichem Interesse für politische Themen und Teilhabe zu einer Scheindebatte mit Doppelmoral.

Diesen Widerspruch können auch Hahn und Heinze nicht auflösen. Wie sollen sie auch? Sie sitzen zusammen mit Andreas Kenner auf einem Podium - ein Mann vom Typ peinlicher Onkel, der zwischen Gotthilf Fischer und Fips Asmussen oszilliert und letztlich keine Ahnung von denen hat, für die er auch im Amt ist: Jugendliche. Sicher ist es toll, dass er dafür plädiert, einen Jugendlichen pro Fraktion einzustellen. Sicher hat er Recht, wenn er meint, man müsse mehr über Jugendhäuser statt über Pflegeheime diskutieren. Auch dass er das Wahlrecht für 16-Jährige fordert, ist schätzenswert. Doch wenn Kenner sich zu Heinze rüber beugt und ihn in breitem Schwäbisch dafür lobt, "wie toll er doch schwätza dät", ihm "nachher sei Kärtle gäba tät" und ihm versichert, ihn beim nächsten Sozialausschuss ins Gespräch zu bringen, dann muss man vor Fremdscham wegschauen. Dann fragt man sich, weshalb sich die jungen Sozialdemokraten das alles antun. Kenner versetzt jeden Menschen rücksichtslos in die Zeit zurück, in der einem der Opa zwei Mark schenkte, den Kopf tätschelte und wollte, dass man sich dafür 'ne Brezel kauft und den Rest spart.

Doch dann wird wieder deutlich, weshalb junge PolitikerInnen den spießigen Altersmuff ertragen: Sie haben gelernt, ihn selbst zu versprühen. "Als ich noch sehr jung war...", beginnt der 20-jährige Colyn Heinze seine Antwort auf eine Publikumsfrage zur politischen Relevanz von Facebook. Dann erklärt er, dass er noch mit Facebook aufgewachsen sei, man ein junges Publikum damit aber nicht mehr erreiche –das sei nämlich out. Seit die eigenen Eltern das Medium geentert haben, wären die Jungen auf dem Rückzug. "Als ich mit Siebzehn einen Joint g'raucht hab', isch mei Mudder net näba mir g'sessa", erzählt Andreas Kenner aus dem Kirchheimer Nähkästchen. Neue Methoden müssten her, um zukünftige Politikinteressierte anzusprechen. Davon sind auf dem Podium alle überzeugt. Wie genau sie es aber anstellen wollen, darüber herrscht ein schwebendes Fragezeichen.

Am Ende bleibt die allgemeine Übereinkunft, dass es viel zu tun gibt. Ein Anfang wäre vielleicht, das Sakko gegen einen Hoodie zu tauschen. Die schwarzen Lederschuhe gegen Chucks. Dann klappt's vielleicht auch mit der Jugend.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • era
    am 08.10.2016
    Antworten
    Das ist nicht nur in der Politik so... Die Stellen sind mit Altvorderen besetzt, die direkt oder indirekt bestimmen, nach welchen Regeln gehandelt und in welchem Stil geredet wird. Im Betrieb nicht anders. Im kleineren Rahmen (Betrieb) wird der Altvordere(Chef) wenigstens irgendwann zu alt für den…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!