Nicht nur der Bau, auch der Betrieb und die Instandhaltung von Stuttgart 21 sind klimarelevant. Mehr als es beim oberirdischen Kopfbahnhof der Fall ist. Zwar betont die Bahn auf Kontext-Anfrage, dass beim Tiefbahnhof weder für die natürliche Klimatisierung, noch für Beleuchtung oder Belüftung CO2-Verbräuche anfallen. Dass die Züge im weit verzweigten Tunnelsystem wegen höherer Luftwiderstände deutlich mehr Traktionsenergie verbrauchen, verschweigt sie dagegen.
Auch das Trassenprofil des neuen Bahnknotens lässt die Stromzähler schneller rotieren: Vom Tiefbahnhof zum Flughafen müssen die Züge aus dem Stand energiezehrend steil bergauf beschleunigen. Ein Höhenunterschied von 155 Meter ist zu überwinden. Die Energierückgewinnung moderner Lokomotiven bei gebremster Talfahrt gleicht diesen Kraftakt längst nicht aus.
Während der Schlichtung im Herbst 2010 spielte die Klimabilanz nur eine Nebenrolle. Kritisch hinterfragen konnten die Projektgegner diesen Aspekt ohnehin kaum, denn die Bahn behielt alle Daten mit Hinweis auf anstehende Vergabeverfahren unter Verschluss. Entscheidend für ein sachgerechtes Urteil ist jedoch die Gesamtökobilanz des Projekts. Der "ökologische Rucksack" wurde nie berechnet, wie die Bahn offen zugab. Auch weil die konkrete Bilanzierung von Energieverbräuchen und CO2-Emissionen nicht Teil der Planfeststellungsverfahren war. Die Umweltverträglichkeit wurde nur auf lokale Effekte geprüft. Bis heute hat sich im Baurecht daran nichts geändert.
Schneller nach Bratislava – und schon gibt's weniger Autoverkehr
Während der Schlichtung erwähnte die Bahn als "maßgeblichen Punkt" in der Klimabilanz von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke nach Ulm die Verkehrsverlagerung von der Straße und vom Flugzeug auf den Schienenverkehr. Aus ihr resultiere eine "jährliche CO2-Minderung gegenüber dem jetzigen Stand von knapp 170 000 Tonnen". Auf aktuelle Nachfrage bestätigt die Bahn die Zahl, was den ökologischen Rucksack des Projekts in weniger als acht Jahren neutralisieren würde. "Die infolge des Bahnprojekts ermöglichten steigenden Angebote im öffentlichen Verkehr werden den motorisierten Individualverkehr reduzieren und so CO2-Emissionen verringern", betont ein Bahnsprecher.
Doch das ist Zahlentrickserei. Die CO2-Reduktion von angeblich 170 000 Tonnen stammt aus einem Gutachten der Universität Karlsruhe vom März 2009, erstellt im Auftrag der damaligen CDU-Landesregierung. Die Autoren um den Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengatter hatten darin die CO2-Vermeidungseffekte der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm einfach dem Projekt Stuttgart 21 zugerechnet. Die Effekte sind jedoch zu trennen, weil die Schnellfahrstrecke auch mit bestehendem Kopfbahnhof realisierbar gewesen wäre. Korrekt berechnet, spart Stuttgart 21 weit weniger CO2, nämlich rund 78 000 Tonnen jährlich.
Aber selbst diese Zahl schönt die Klimaeffekte von Stuttgart 21. Denn Rothengatter verwendete veraltete Datenquellen und ließ entscheidende Einflussgrößen außen vor. Etwa den technologischen Fortschritt, der Motoren effizienter macht. Rothengatter rechnete mit einer mittleren CO2-Emission von 200 Gramm je Pkw-Kilometer im Fernverkehr und 235 Gramm im Nahverkehr. Bis zum Jahr 2021, in dem Stuttgart 21 in Betrieb gehen soll, müssen Autohersteller den CO2-Ausstoß ihrer Neuwagenflotte auf 95 Gramm pro Kilometer drosseln. Je weniger fossilen Sprit die Autos der Zukunft schlucken, je weniger Klimagase die Motoren ausstoßen, desto geringer fällt der Klima-Benefit von Stuttgart 21 aus.
Das Gutachten ignorierte auch den Verlagerungseffekt hin zum Flugzeug. "Der Flughafen Stuttgart unterstützt das Projekt mit insgesamt 359 Millionen Euro, weil wir uns von Stuttgart 21 bis zu 1,5 Millionen neue Passagiere versprechen", hofft Flughafen-Geschäftsführer Walter Schoefer bis heute auf den S-21-Projektseiten im Internet. Was das für das Klima bedeutet, lässt sich am Umwelt-Mobil-Check der Bahn ablesen: Von Stuttgart bis München verursacht ein Reisender 10,9 Kilogramm CO2 mit der Bahn, 36 Kilogramm mit dem Auto, 51,5 Kilogramm mit dem Flugzeug.
Zudem konnte Rothengatter nicht vorhersehen, dass ein neues Verkehrsmittel die Ökobilanz des Milliardenprojekts beeinträchtigt. Seit Anfang 2013 konkurriert der Fernbus mit der Bahn, und das mit wachsendem Erfolg: Im vergangenen Jahr transportierten Fernbusse erstmals rund 20 Millionen Menschen. Laut Bundesverkehrsministerium sind dabei 30 bis 40 Prozent von der Bahn umgestiegen. Stuttgart 21 könnte also weit weniger Menschen als versprochen dazu bewegen, mit dem Zug nach Ulm, München oder gar bis Bratislava zu fahren.
12 Kommentare verfügbar
Müller
am 03.02.2016Vor dem Volksentscheid haben die Gegner die Medien mit einer Präsentation überschwemmt: das kam sogar im SWR zur besten Sendezeit!
https://m.youtube.com › WerZahltS21
Einfach nochmal anschauen. Hier werden Sie gut informiert.
Das Ergebnis: S21 kostet die Bahn kein Geld. Die Bahn verdient durch S21.
Also werden durch S21 die Tickets billiger.
Interessantes Video, oder?
Aber ich muss zugeben, dass ich in diesem Fall eher Ihrer Argumentation folgen kann. Ich bin zwar kein Betriebswirt, aber ich glaube auch hier eher den offiziellen Zahlen als den Gegnern.
Ja S21 kostet die Bahn viel Geld.
Hier liegen die Vorteile klar bei K21. Und durch die Komplexität treten auch finanzielle Risiken ein.
Wobei auch kleinr öffentliche Prohekte, wie der Theaterumbau, selten im Kostenrahmen bleiben.
Ich wünsche eine schöne Restwoche!
Blender
am 02.02.2016@..keine Kontakte zu S21
Ich gebe zu, ich profitiere vom S21-Stopp, durch preiswertere Bahntickets und eine geringere Steuerlast. Zumindest die Kostenentwicklung ist jetzt schon nicht mehr planmäßig, da widerspreche ich Ihnen ein weiteres Mal. ... und wenn die gleichen Leute die Statik ausgerechnet haben (z.B.: Bodenplatte oder Kelchsäulen) wird mir himmelangst.
Müller
am 01.02.2016Schon seltsam, dass jeder der mal einen Kommentar schreibt der nicht die Weltuntergangsmeinung widerspiegelt ein Lohnschreiber ist.
Sie dürfen nicht vergessen, dass fast 60% pro S21 sind.
Nein. Ich habe keine Kontakte zu S21 und verdiene nicht daran.
Aber ich kann einfach nicht der Logik folgen, dass alles was jemals auf dem Planeten schiefgelaufen ist ein Argument gegen S21 liefert.
Es gibt tausende Projekte die einfach glatt laufen. Darüber schreibt aber keiner. Es wird nicht gelesen, dass auf der Alb alles nach Plan läuft. Trotz den schlimmen Prognosen vom Lastwagen.
Und in Stuttgart läuft bisher auch alles prima.
Über 12km Tunnelvortrieb ohne irgendein nennenswertes Problem. Und das in ca. einem Jahr.
Und da die Gegner ja mal mit reinem Herzen für Stuttgart auf die Straße gingen, werden sich montags hoffentlich auch alle freuen, dass alles super läuft, oder?
Aber irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass manche es ärgert wenn alles gut läuft.
Frage an Sie: vom Protest profitiert? Ein Pöstchen im Rathaus oder vielleicht Webmaster bei den Parkschützern?
Blender
am 01.02.2016@Ich glaube manche sind schlicht wegen der Komplexität dagegen.
Ja Herr Müller, was ist dagegen einzuwenden, wegen der Komplesität dagegen zu sein? Man sollte meinen, dass der Bau eines Flughafens in Anbetracht so vieler funktionierender Flughäfen zu Meistern sein sollte:
Nicht so in Berlin (Brandschutz, Insolvenzen).
Man sollte meinen dass der Bau einer Philharmonie zu meistern sein sollte:
Nicht so in Hamburg (Streit mit Hoch-Tief).
Man sollte meinen dass der Bau einer U-Bahn zu Meistern sein sollte:
Nicht so in Köln (Einsturz des Stadtarchivs, Kontakt zum Fundament des Doms).
Man sollte meinen dass der Bau eines Flugzeugs zu meistern sein sollte:
Nicht so beim A380 (Kabelkanal), Euro Hawk Drohne (keine Zulassung),
Und jetzt sollen wir Nettozahler (über Steuern, Bahntickets, etc.) den Stuttgarter Planern einfach nur vertrauen, dass ausgerechnet bei einem Projekt für das es keine Blaupause gibt (z.B. Kelchstützen) alles glatt läuft. Ich frage Sie, Herr Müller, WARUM? Aber, so intensiv wie sie sich morgens kurz nach 7 schon um Kommentare kümmern, vermute ich, dass Sie vielleicht persönlich an S21 was verdienen. Darf ich fragen, woher kommen ihre tiefen Einsichten in S21, was machen Sie beruflich?
Horst Ruch
am 31.01.2016Der beste Beweis, wie undurchsichtig das Gestrüpp aus Dichtung und Wahrheit S21 zumindest für die Stuttgarter Bevölkerung ist.
Die 20 000 Löffelkratzerarbeitskräfte von Frederike Groß waren doch nur das Symbol für die Desinformation der Werbung. Einerseits die 20 000 für Ökonomie, die Kratzer für Ökologie.
Müller
am 28.01.2016Volksabstimmung, Kretschmann, Künstler, Wendehälse, Ex-OBs und Ehrenprofessoren, Löffelkratzerarbeitskräfte, Karikaturen von Frederike Groß, das bestgeplante Projekt Europas"....
Sorry, ich verstehe überhaupt nicht was Sie mir mitteilen möchten.
Im Artikel und in meinem Kommentar geht es um S21 und Umweltschutz.
Das ist übrigens eine Schwäche nahezu aller Gegner.
Es gibt bei einem großen Infrastrukturprojekt tausende Pros und Contras.
Es ist meist unmöglich, mit einem Gegner über einen einzelnen Punkt zu diskutieren.
Wenn ich nicht in der Lage bin einzelne Punkte isoliert zu betrachten, wie soll ich dann das Große und Ganze bewerten können.
Ich glaube manche sind schlicht wegen der Komplexität dagegen.
Nach dem Motto: "Was ich nicht verstehe ist doof!:
D. Hartmann
am 27.01.2016"Zur Zeit des römischen Reiches waren die Alpen bekanntermaßen eisfrei."
Echt!? Jetzt wird's richtig spannend!
Wie kam dann der Ötzi wieder ins Eis, nachdem er zur Römerzeit schon ca. 3000 Jahre tot aber bereits aufgetaut war?
Erklärung:
Vor lannger, langer (Römer-) Zeit, als das Eis in den Alpen schmolz, fanden die Römer den Ötzi auf dem Gletscher und trugen ihn ins Tal. Sie legten ihn in Formalin ein (Römertopf?) und bauten ein schönes Museum drumherum. Das, erzählt man sich, sollen auch hunderttausende Römer auf ihrem Weg über die (eisfreien) Alpen besucht haben.
Als das Eis dann wiederkam und Römer verschwanden, haben sich die Tiroler gesagt: "Jetzt ist die Zeit gekommen, den Ötzi auf den neuen Gletscher zurückzubringen und wieder in sein kaltes Grab Eis einzubetten, damit auch unsere Nachfahren ihn finden und in Bozen ausstellen können". Gesagt getan.
Ja, solche Schlawiner sind es, diese Tiroler.
Ande Leucht
am 27.01.2016Horst Ruch
am 27.01.2016Auch hier wurde -höflich ausgesagt: gemogelt,- verständlicher gesagt gelogen, oder wie kürzlich auf der Montagsdemo vorgetragen, es waren Lügen"Künstler" am Werk.
Echte Künstler gab's allerdings auch, die sich satirisch mit den S21-Münchhausensymptom auseinandergesetzt hatten:
Man denke nur zurück an die Zeit als die Stuttgarter Zeitung noch die herrlichen Karikaturen von Frederike Groß zeigen durfte. Zum heutigen Thema: wer kennt sie nicht,
die Zeichnung mit den 20 000 -von ExOB Schuster prognostizierten- Löffelkratzerarbeitskräften für die Tunnelarbeiten wo F. Groß Ökonomie und Ökologie unter einen Hut gebracht hat. Wahrlich eine Weissagung.
Überschneidungen von Dichtung und Wahrheit sind leider erst ab der übernächsten Generation durch Chronisten -sofern das Geld bis dahin noch nicht ausgegangen ist- erklärbar.
"Kunst" darf eben Alles. Auch den Pakt zum Lügen bilden.
Blender
am 27.01.2016Herr OB Kuhn und Herr Landesminister für Verkehr und Infrastruktur Winfried Hermann (beide B90/Grüne), wie wäre es mit einem S21 Baustopp bei Feinstaubalarm, der Stuttgarter zuliebe..., das würde mehr bringen als die paar offenen Kamine die in den Wohnzimmern stillzulegen.
Müller
am 27.01.2016Aber für tendenziöse Berechnungen werden sie gerne benutzt.
Mit diesen und anderen wilden mathematischen Konstrukten wird herbeigerechnet was wir alle schon lange wussten:
S21 ist schuld am Klimawandel!
Aber da hechelt der Autor dem Trend hinterher:
Die Feinstaubbelastung ist auf allen Kanälen die Nummer1.
Es gibt sogar Leute, die sich selbst Messstationen zusammenlöten.
Und für all diejenigen, die sich wirklich um das Städtle sorgen kommt jetzt die gute Nachricht:
S21 reduziert den Feinstaub in Stuggi:
https://www.pro-rheintal.de/bahnlaerm_weitere-umweltthemen_feinstaubbelastung.html
Wer für S21 ist gestimmt hat dem liegt auch die Gesundheit der Stuttgarter am Herzen.
Aber auch sonst findet man tolle Thesen im Artikel:
Am Ende wird tatsächlich die Theorie aufgestellt, dass die Bahn in Zukunft weniger Fahrgäste transportiert.
Oh mein Gott.. Wenn das Dr. E erfährt. Das bedeutet ja im Umkehrschluss, dass S21 vollkommen überdimensioniert ist.
Also brauchen wir die Kapazitätslügensau zukünftig nicht mehr durchs Kontextdorf jagen, oder?
Außerdem: Hätte (hätte Fahrradkette) man sich für K21 entschieden, würde man z.B. bei der Anbindung an die NBS 10km böse Klimakillertunnels und div. Brücken errichten. Ganz zu schweigen von den restlichen Baumaßnahmen des Milliardenprojekts K21. Also steht auch hier wieder etwas auf der anderen Seite der Gleichung. Für die Bilanz muss man das abziehen.
Mathematik fünfte Klasse.
Bei S21- Genern gibt es stets nur eine Seite. Setzen. Sechs.
Und K21 hat keine positiven Effekte bei der Minderung Feinstaubbelastung.
Wer also nicht möchte, dass tausende Menschen in Stuttgart den Feinstaubtod sterben ist Proler.
Ferdl
am 27.01.2016