Es klingt wie Hohn, wenn SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel am vergangenen Wochenende wieder einmal verlangt, die Fluchtursachen zu bekämpfen. An wen richtet sich dieser Appell? Seit Anfang der Siebziger gilt die Selbstverpflichtung – getragen von fast 200 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen –, 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Entwicklungshilfe zu stecken. Seit Anfang der Siebzigerjahre hat die Bundesrepublik diese Vorgabe nicht erfüllt, dafür aber das Versprechen regelmäßig erneuert. 2015 sollte die Marke nach den jährlich neu bekräftigten Beschlüssen der EU endgültig erreicht sein. Tatsächlich liegen die Ausgaben knapp unter 0,4 oder knapp unter 0,5 Prozent, je nach der Variante, mit der die reale, noch geringere Quote schöngerechnet wird.
Schönrechnen, Schönfärben, Schönreden und vor allem Verschleiern: Entwicklungshilfe heißt längst Entwicklungszusammenarbeit, aus klaren Statistiken wurden verschwommene Vergleiche. Im Land ist die Aufgabe schon seit 1991 ausgelagert in die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit. Ursprüngliche Millionenausgaben, finanziert aus dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums, sind auf null gestellt. Eigentlich sind die Mittel für Studierende aus den armen und ärmsten Regionen der Welt an heimischen Unis nicht in die Official Development Assistance (ODA) einzurechnen. Werden sie aber, weil sonst die Bilanz noch verheerender wäre: Für das Jahr 2016 sind 4,5 Millionen Euro für Entwicklungszusammenarbeit im Landesetat eingestellt, davon aber 3,4 Millionen für Studierende.
Die grün-rote Landesregierung bringt es fertig, neue und sogar in einem Beteiligungsprozess entstandene "Entwicklungspolitische Leitlinien" vorzulegen, in denen auf 16 Seiten keine einzige konkrete Summe genannt wird. Statt verlässlicher Zusagen verantwortet der zuständige Minister Peter Friedrich (SPD) jede Menge Nichtssagendes: "Eine zentrale Aufgabe der Entwicklungspolitik des Landes besteht deshalb darin, bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Strukturen zu unterstützen sowie die Vernetzung und Qualifizierung der unterschiedlichen entwicklungspolitischen Akteurinnen und Akteure zu fördern." Oder: "Die Vielfalt der entwicklungspolitischen Partnerschaftsbeziehungen ist eine wesentliche Ressource für die Entwicklungspolitik des Landes Baden-Württemberg." Oder: "Die Landesregierung unterstützt eine stärkere Vernetzung von Wirtschaft und entwicklungspolitischen Akteurinnen und Akteuren."
Warum baut Porsche keine Autos in Albanien?
Überhaupt die Wirtschaft. Jörg Rupp, der Grüne vom linken Parteiflügel, will Fluchtursachen bekämpfen, durch Ver- und Gebote. "Schon in den ersten sechs Monaten 2015 hat die Bundesregierung fast so viele Waffenexporte genehmigt wie im ganzen vergangenen Jahr, für etwa 6,5 Milliarden Euro", schreibt er in seinem Blog und dass die Exporte "in konfliktgeladene Nahost- und Golfstaaten und in die Krisenregion Nordafrika besonders zunehmen: Spürpanzer für Kuwait, Kampfpanzer nach Oman, Patrouillenboote für Saudi-Arabien und so weiter". Zum ehrlichen Kampf gegen Fluchtursachen gehöre, die Wirtschaft konkret in die Pflicht zu nehmen: "Warum nicht als Ausgleich für die Gigaliner ein Mercedes-Werk in Mazedonien, in Bosnien, im Kosovo – verbunden mit einer Ausbildungsoffensive für junge Roma? Porsche – gebaut in Albanien? Sonnenkollektoren in Pristina? Ein Bosch-Werk in Serbien? Es gibt so vieles, was wir tun können."
4 Kommentare verfügbar
Theodor Holtendorp
am 08.10.2015Außer in diesem Artikel habe ich diese Zahlen noch nicht gesehen. Wo finde ich…