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Rechtsmissbrauch mit SLAPP-Klagen

Zwei Millionen Euro

Rechtsmissbrauch mit SLAPP-Klagen: Zwei Millionen Euro
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Jannis Große ist Fotojournalist und hat 2017 die Besetzung des Kohlekraftwerks Weisweiler bei Aachen dokumentiert. Der Stromkonzern RWE hat ihn daraufhin verklagt. Und will mehr als zwei Millionen Euro Schadenersatz.

Böse verklagt: SLAPP

Vor Kurzem haben wir einen Rechtsstreit gegen einen Neonazi verloren, der uns sieben Jahre lang vor diversen Gerichten beschäftigt hat (zusammengefasst hier). Vor allem die hohen Kosten, die die Klägerseite festgesetzt hat, zeigen: Es geht offenbar weniger um die Sache als darum, uns als kleines spendenfinanziertes Medium die finanzielle Grundlage zu entziehen und uns einzuschüchtern. Solche Klagen nennt man SLAPP – strategic lawsuit against public participation. Auf deutsch: strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung.

In dieser Serie wollen wir auf weitere SLAPP-Fälle oder andere massive juristische Angriffe aufmerksam machen. Manche Verfahren laufen noch, auch bei jenem gegen Jannis Große – Teil 3 unserer Serie – ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Teil 1:  Es bleibt immer etwas kleben – über die Angriffe auf die "Correctiv"-Recherche zum "Geheimplan", dem Treffen Rechtsextremer und Konservativer 2023 in Potsdam.
Teil 2: Einschüchterung misslungen – der Hamburger Verein "Rettet den Regenwald" hat sich drei Jahre lang gegen eine SLAPP-Klage gewehrt. Mit Erfolg.  (red)

Die Fotos sind großartig. Mehrere Aktivist:innen sind darauf zu sehen, die in der Dunkelheit ein Dreibein aufbauen, einer hängt im Klettergurt von der Spitze herunter, Flutlicht fällt von hinten auf die Szene, macht aus Menschen Scherenschnitte mit Mützen und Masken. Im Hintergrund die Kräne und Förderbänder des Kohlekraftwerks Weisweiler bei Aachen, Schaufeln groß wie Sofas mit massiven Metallzähnen. Mehrere Stunden standen sie still, blockiert von Klima-Aktivist:innen, auf Bildern und Videos festgehalten von Jannis Große, Fotojournalist.

Weil er die Aktion im Jahr 2017 fotografiert und gefilmt hat, will der Stromversorger RWE nun 2.071.484,26 Euro Schadenersatz von ihm. Das Medienmagazin "Zapp" hat vor Kurzem über seinen Fall berichtet. Große, 27 Jahre alt, sitzt da an einem Tisch gegenüber einer Journalistin und sagt: "Das ist eine Zahl, da fehlt mir ein bisschen die Vorstellungskraft."

Große ist gemeinsam mit fünf Aktivisten verklagt worden, gegen sie läuft noch ein Strafverfahren. Erst danach wird über die letztendliche Schadenersatzforderung entschieden. So lange hängt ihm diese enorme Summe – eine, die kein normaler Mensch jemals auf dem Konto hat – im Nacken. "Was passiert denn, wenn ich 2,1 Millionen Euro Schulden hab, die ja noch wachsen wegen der Zinsen?", fragt er. "Die Klage und vor allem diese Summe hat man bei jeder wichtigen Entscheidung in seinem Leben im Hinterkopf – im Beruflichen und Privaten."

Fotos auch für Öffentlich-rechtliche

Die Bilder, die er während der Blockade gemacht hat, hat Große später an verschiedene Medien verkauft, unter anderem an die taz, die Videos gingen an ein öffentlich-rechtliches Format. Ein Schwerpunkt von Großes Arbeit liegt auf Protesten, auf Demonstrationen und Aktionen von Aktivist:innen. Er berichtet über Klimaproteste, Demos gegen Nazis, den Castor-Transport auf dem Neckar vor einigen Jahren, über Geflüchtete. Immer geht es um zivilgesellschaftliches, politisches Engagement. Er hat sich vor allem auf Protest-Fotografie spezialisiert, sagt Jannis Große, weil es in diesem Themenfeld oft nur wenige Quellen gibt, die dazu berichten. Häufig sind das nur die Polizei und die Aktivist:innen selbst, Menschen also, die ihre eigenen Interessen vertreten. Unabhängig berichtet nur die Presse: Reporter:innen, Fotograf:innen, Kamerateams, die das Geschehen dokumentieren.

Das Jahr 2017, als die Aktivist:innen die Förderbänder und Bagger des Kohlekraftwerks besetzten, fällt in die Hochzeit des Protests um den Hambacher Forst. Seit Jahren wird der Wald zwischen Aachen und Köln Stück für Stück gerodet, damit RWE dort Kohle abbauen kann. Aktivist:innen haben Baumhäuser in die Kronen der Bäume gebaut, es gibt Klimacamps, auch Anwohner haben sich dem Protest angeschlossen, denn viele von ihnen müssen für die Kohlebagger ihre Häuser räumen und werden umgesiedelt. Mehr als 50 Dörfer mussten bis dahin bereits weichen.

"In gelben Westen, mit Funkgeräten und mit Rottweilern an der Leine bewachen die Männer die Zufahrt zum Braunkohletagebau Hambach, der mit einer Fläche von 85 Quadratkilometern das größte Loch Europas ist", schreibt die Wochenzeitung "Die Zeit" damals in einer Reportage. "Der etwa 12.000 Jahre alte Wald ist für die Förderung der Braunkohleflöze in bis zu 450 Metern Tiefe bereits zu großen Teilen abgeholzt worden. Von den ursprünglich 4.100 Hektar sind noch 800 übrig." In der "Bild" bezeichnet der damalige RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz die Menschen, die gegen diesen Raubbau demonstrieren, als "Ökoterroristen".

In Bonn tagt im November 2017 die UN-Klimakonferenz, im Kraftwerk Weisweiler ketten sich zeitgleich Aktivist:innen an Metallstangen. Die Polizei braucht eine ganze Weile, bis sie das Gelände geräumt hat. So lange muss die RWE das Kraftwerk drosseln.

"Das schreckt auch andere Journalisten ab"

Ein Jahr später bekommt Jannis Große Post von der Anwaltskanzlei Redeker, Sellner, Dahs, die den Stromkonzern vertritt. Die Kanzlei nennt ihn in ihrem Schriftsatz einen "vermeintlichen Pressevertreter", er sei nicht als neutraler Journalist, sondern aktiv an der Blockade und somit an einer Straftat beteiligt gewesen. Die zwei Millionen Euro, so sagt es die RWE, sei der Betrag, den der Konzern habe aufbringen müssen, um den Strom während der Blockade an der Strombörse einzukaufen. Auf Anfrage von "Zapp" findet der Konzern ernsthaft, das sei "verhältnismäßig".

Großes Anwalt Jasper Prigge nennt sowohl die Klage als auch diese unfassbare Summe Schadenersatz "Einschüchterung", eine SLAPP-Klage (strategic lawsuit against public participation, deutsch: strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung). Eine solche Klage am Hals zu haben, beeinträchtige "journalistische Arbeit massiv", sagt er am Telefon. Im Zusammenhang mit einem Presseverfahren habe er noch nie zuvor von einer so großen Summe Schadenersatz gehört. "Das schreckt auch ganz konkret andere Journalisten ab".

Und genau das soll eine SLAPP-Klage auch: abschrecken, einschüchtern, psychisch belasten, kleinmachen. In diesem Fall mit einem drohenden Mondbetrag von 2,1 Millionen Euro für RWE – "Das beste Energieunternehmen, das wir sein können!"

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