Wenn es kleine Redaktionen wie die Kontext:Wochenzeitung trifft, ist es besonders bitter. (Falls das an Ihnen vorbeigegangen sein sollte: Ein rechtsextremer Mitarbeiter von zwei AfD-Abgeordneten hatte nach Veröffentlichung belastender Facebook-Chats 2018 Klage eingereicht. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat nun das Urteil zugunsten des Klägers geändert, was für die Zeitung ziemlich teuer ist – sie geht aber in Berufung. Die Veröffentlichung hatte das geheime Weltbild des Neonazis entlarvt, was auch zu einer Verschärfung der Kontrolle von Landtagsmitarbeitern führte. Das Verfahren führt dieselbe Anwaltskanzlei wie bei den Klagen gegen die "Remigrations"-Recherche von "Correctiv".)
Gerade lokaler Journalismus ist essenzieller Teil einer stabilen Demokratie. In lokaljournalistischen Recherchen, die etwa Korruptionsskandale in Städten und Kommunen enthüllen, zeigt sich die verbindende Kraft des investigativen Journalismus. Das sind die Momente, wo Gemeinschaft entsteht, wir uns als Gesellschaft spüren. Ich habe deshalb tiefen Respekt davor, dass die Kontext-Redaktion – die bei Weitem mehr macht als "nur" lokalen Journalismus – sich nicht einschüchtern lässt und den Fall in die nächste Instanz hebt.
Wenn Kollegen zur Front werden
Doch es ist nicht nur das Rechtssystem, das investigativen Journalismus bedroht. So kommt es immer wieder vor, dass Journalisten aus einem nicht-investigativen Ressort mit denjenigen im Investigativressort aneinandergeraten – ganz einfach, weil sie mit einem grundlegend unterschiedlichem Handwerk arbeiten. (Passen Sie, verehrte Leserinnen und Leser, jetzt ein bisschen auf, denn was ich nun schreibe, könnte den Geschmack einer beleidigten Leberwurst haben. Filtern Sie zu Ihrem reineren Informationsgehalt nur die Tatsachenbehauptungen heraus.)
Ein Beispiel: Der Wirtschaftsjournalist Götz Hamann hat sich vor Kurzem noch in der Wochenzeitung "Die Zeit" darüber beschwert, dass wir unsere Quellen zu der Recherche in Potsdam nicht offenlegen würden. Ich schrieb ihm, fragte, in welchen Fällen er es selbst für legitim halten würde, Quellenschutz aufzugeben. Aber er wollte mir auf meine Fragen nicht antworten. Oder die Autoren derselben Zeitung, Anne Hähnig und Marc Widmann, die uns zur "Geheimplan"-Recherche interviewten: Zu Beginn erklärten sie, ihr Auftrag vom Chefredakteur sei, das Treffen zu rekonstruieren – und vielleicht auch etwas Neues zu finden.
Ich gab ihnen also Neues. Etwa ein spannendes Detail, das vor Ort in der Villa Adlon passierte, eines, das den völkischen Charakter dieser Konferenz ein weiteres Mal belegt. Ein Detail, das bisher noch nicht veröffentlicht wurde und das ich jetzt auch hier nicht aufschreiben werde. Schon, weil die Kontext:Wochenzeitung in diesem Fall vermutlich Briefe von den Neonazi-Anwälten bekommen würde und meine Aufgabe hier nicht ist, den Tag in Potsdam zu rekonstruieren. Kurzum: Ich nahm mir viel Zeit, gab den Redakteuren einen bis dahin noch nie geteilten Zugang zu unserem Recherchematerial. Doch in ihrem später veröffentlichten Artikel kommen weder die neuen Details noch das Material vor.
Im Gegenteil: Der Zahnarzt, der das Potsdamer Treffen organisiert hatte, war im "Zeit"-Text in seiner Vergangenheit zwar einmal rechtsextrem, aber heute wohl nicht mehr. Lud er den ehemaligen Neonazi Martin Sellner als Hauptredner etwa nur aus einer Art nostalgischer Verbundenheit ein? Das Wort "völkisch" konnte ich im Text der "Zeit" jedenfalls nicht finden.
Ich schrieb sie für diesen Beitrag jetzt nochmal an, warum denn das. Doch anstelle mir persönlich zu antworten, solle ich eine Verlagssprecherin zitieren: Die Autoren hätten die Geschichte mit großer journalistischer Sorgfalt recherchiert und hätten sich nichts vorzuwerfen. Nun gut. Ihren Text: Ich persönlich fand ihn doof, zumindest fehlt die Auseinandersetzung mit der völkischen Ideologie. Ihre Chance: verpasst.
Der "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo bekam auch einmal eine Anfrage zugeschickt. Er habe mindestens fünf Journalisten losgeschickt, wütend auf die “Correctiv”-Recherche: Diese sollten belegen, dass die Geschichte aufgeblasen gewesen sei, hieß es. Lorenzo ließ offenbar nur bestreiten, wütend gewesen zu sein.
Mit "Zeit"-Texten Journalist:innen einschüchtern
Für ein tieferes Verständnis hätten sie dabei nicht mal zu uns kommen müssen: Googlen Sie mal Carl Schmitt, Zeit, Potsdam, Correctiv. Im eigenen Hausarchiv hätten sie einen Text gefunden, veröffentlicht sieben Tage nach unserer Potsdamrecherche, der das Treffen hervorragend einordnet. Der aktuellere "Zeit"-Text, offenbar monatelang recherchiert, bestätigte zwar unsere Recherche, säte aber stilistisch Zweifel (deswegen: "doof"). Mittlerweile wird er in AfD-Kreisen als Kronzeuge gegen uns genutzt, als Beleg, dass die "Mainstreammedien" eingeknickt seien. Einschlägige Anwälte schicken ihn kommentarlos Journalisten, die zu extremen Rechten recherchieren. Auch dazu kein Kommentar der Autoren, nirgends. Auch auf diesem Weg verfestigen sich "Gegenerzählungen" zu investigativen Recherchen.
Warum ich das schreibe? Einerseits um zu demonstrieren: Es ist journalistisch völlig legitim, unangenehme, subjektive, sogar giftige Texte zu veröffentlichen. Daran wachsen wir, erproben uns, checken uns gegenseitig, auch wenn es mal nervt: Das gehört dazu und das können wir aushalten.
Indes kann in den USA eine Journalistin durch Zivilklagen ruiniert werden, in Deutschland ist die Lage anders. Zwar fehlt es an speziellen Rechtsschutzinstrumenten für Journalist:innen, aber es gibt immerhin Hilfsfonds wie den "Gegen-Rechts-Schutz", der Anwaltskosten bei rechtsmotivierten Klagen übernimmt.
Aber ich schreibe das auch, weil die steigende Zahl von SLAPPs und Einschüchterungsklagen gegen Journalisten die Rolle der Medienkritik unter Druck setzt, ihre Verantwortung gestiegen ist. Passt man als Journalist nicht auf, kann ein Text schnell zu einer Vorlage im politischen Kampf werden. Bei der Verharmlosung des Treffens der Neuen Rechten in Potsdam geht es am Ende um die Relativierung der völkischen Konzepte, die auch in der AfD verankert sind, ob man es will oder nicht. Im öffentlichen Diskurs und vor Gericht. Die Medien, die das ignorieren, sind naiv.
Damit hat man auch nicht die Wahl: Man ist immer Teil eines konkreten politischen Diskurses. Nur dann, wenn diese gefährliche Verharmlosung nicht gelingt, bleibt auch der Weg für eine Prüfung eines AfD-Parteienverbots frei.
Sie greifen uns an, weil wir sie aufdecken
Als Journalist:in muss man sich heute also mehr denn je vor rechten Einschüchterungs- und PR-Klagen gefeit machen. Das liegt auch daran, dass investigative Arbeit wirkt. Dass sich Rechtsextreme, korrupte Unternehmen oder Politiker eben auch nicht mehr sicher vor jenen Recherchen fühlen können, die ihnen mit der Wahrheit die Pläne durchkreuzen.
Ja, ich war "unwillig", auf die Frage zu antworten, ob in Potsdam das Wort "Deportationen" gefallen sei, wie die "Zeit" dann schrieb. Ich hatte es ihnen ja bereits lang und breit erklärt. Zudem war das Gespräch am 6. November, dem Tag, an dem der US-Präsident gewählt wurde, der die größten Massendeportationen der US-Geschichte versprochen hatte. "Was machen wir hier gerade?", fragte ich zurück. Aber ja, es gibt auch Dinge, über die ich mich freue: Dass der Wille im Allgemeinen frei zu sein scheint. Auch launige, auch emotionale, auch subjektive Texte zu schreiben, nicht nur Investigatives.
Sonst dürfte auch ich diesen Text nicht veröffentlichen. Sagt der Erfahrungsjurist in mir.
2 Kommentare verfügbar
Gun Wille
vor 2 Wochen