Das neue "Stuttgarter Zeitung Magazin" vom 30. April mag dafür beleghaft als Beispiel genommen werden. Schlicht und einfach "Collien" steht auf dem Cover, in schwarzen Fünf-Zentimeter-Lettern auf zitronengelbem Grund, und darüber lehnt sich Collien Ulmen-Fernandes in einem Max-Mara-Mantel und einem geblümten Andrew-GN-Kleid zurück und schaut uns sehr ernst an. Sie hat nämlich was vor, verkündet die Bildunterschrift: "Collien Ulmen-Fernandes packt aus." Ihre Armbänder sind übrigens von Hermes, die Strümpfe von Falke. Bevor die 1981 in Hamburg geborene Collien Ulmen-Fernandes, die mit 15 zu Hause auszog, um als Model, Musikerin oder Moderatorin für "Viva", "Bravo TV", "The Dome", "Fashion Zone" oder "Fit for Fun" zu arbeiten, und außerdem für … äh, wo waren wir?
Voll reflektiert: Dior vorführen und denunzieren
Ach ja, bevor also Collien Ulmen-Fernandes im "Stuttgarter Zeitung Magazin" endlich auspackt, wird sie noch auf acht Seiten sieben Mal eingepackt. Und zwar, in chronologischer Reihenfolge, von Boss, Max & Co., Polo Ralph Lauren, Emporio Armani, Joop, Red Valentino, Dior, Zara, Sandro, Marc Cain, Tony Burch, Tom Rebl und Isabel Marant. Mehrfachverpackungen, etwa von Red Valentino oder Marc Cain, werden hier nicht extra erwähnt, den Schmuck haben, außer Hermes, noch Tiffany & Co. und Dior zugeblinkt, einmal firmieren die Ohrringe als "privat", genauso wie ein Paar Leggings. Und? Haben Sie gemerkt, wie der Kapitalismus bei dieser Aufzählung vor Furcht zusammenzuckt? Immer noch nicht?
Nun denn! Es wird ja einerseits schon am Anfang dieser im Berliner Schlosshotel aufgenommenen Fotostrecke groß überschriftelt, welches Accessoir, Pardon, welches Attribut Collien Ulmen-Fernandes auszeichnet, nämlich: "voll reflektiert". Es steht da auch noch: "Was eher wenige wissen: Sie kämpft auch als Aktivistin für Gerechtigkeit." Und was vielleicht noch weniger wissen: Collien Ulmen-Fernandes hat 2015 in Kambodscha die TV-Reportage "Hoher Preis für billige Kleidung" gedreht und danach noch erklärt, dass auch "ziemlich alle großen Labels" in diesen Sweatshops produzieren ließen. Wenn sie jetzt also solche Labels vorführt, dann ist das eine Hochglanzdenunziation derselben!
Denn es wird von diesen Labels ja weiter ausgebeutet, und weil im "Stuttgarter Zeitung Magazin" für Beispiele wahrscheinlich kein Platz mehr war, helfen wir gern mit einigen neueren Links aus:
https://www.reuters.com/article/us-italy-luxury-workshops-idUSKBN1XS27V
https://www.bbc.com/news/world-asia-54960346
https://www.theguardian.com/global-development/2018/jan/04/workers-held-captive-indian-mills-supplying-hugo-boss
https://www.nytimes.com/2018/09/20/fashion/italy-luxury-shadow-economy.html
https://www.fastcompany.com/90279693/did-a-slave-make-your-sneakers-the-answer-is-probably
https://goodonyou.eco/how-ethical-is-dior/
Collien Ulmen-Fernandes' Modenschau macht aber auch nicht halt vor Kritik an Geschlechterrollen, sie hat 2018 schließlich die TV-Doku "No more Boys and Girls" gedreht und dabei untersucht, inwiefern das Verhalten Erwachsener oder die Auswahl der Kleider dazu beitragen, dass schon Kinder konservative Rollenbilder übernehmen. Und so sind ihre nun präsentierten gehäkelten Kleidchen mit Rüschenkragen, ihre weißen Spitzenteilchen mit Puffärmeln oder ihre rosafarbenen Stücklein – einmal Joop-Mantel, einmal Max & Co. Schleifenbluse – eine fulminante Anklage jener Tradition, die Frauen in tradierte Farben und Muster zwängen will.
Selbst das Traumschiff ist nicht traumafrei
Und das ist noch nicht alles, es kommt noch der als Interview verkleidete Collien-Ulmen-Fernandes-Auspackteil, in dem die Fragen, wenn nicht eh selber gestellt, eine implizite Antwortvermutung von hundert Prozent und mehr ausweisen. Weil sie inzwischen auf dem "Traumschiff" angeheuert hat, will also das Magazin wissen – und weiß es natürlich schon –, wie oft Collien Ulmen-Fernandes während der Dreharbeiten gefragt wurde: "Und wer ist bei Ihrem Kind?" Die mit "häufig" beantwortete Frage trifft auch deshalb die richtige Antworterin, weil von der nach Drucklegung des Magazins, also rechtzeitig für die Einschaltquote, gerade die Scheinfrage-Doku "Rabenmütter oder Super Moms?" gesendet wurde.
Es ist aber nicht so, dass Collien Ulmen-Fernandes so taff ist, dass sie selber Ungerechtigkeit nicht mehr spürt. Weil nämlich "männlichen Kollegen vor Ort" die "Wer ist beim Kind"-Frage nicht gestellt wurde, gibt sie ihre Befindlichkeit preis: "Ich merke, wie mich das belastet." Sozusagen ein Traumschiff-Trauma. Dass Collien Ulmen-Fernandes – man kann diesen Namen gar nicht oft genug ausschreiben! – in der TV-Sendung "Late Night Berlin" gestanden hat, dass sie ihren Führerschein nur ihrem Prominentenbonus verdankt, sprich: dem Autogramm für den Prüfer, hat mit der Geschlechterungerechtigkeit übrigens rein gar nichts zu tun.
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Gaston
am 16.05.2021