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Baustelle öffentlichen Rechts

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Viel ist in den Wochen vor und nach der Intendanten-Wahl beim SWR die Rede von Gebühren, Crossmedia und linearen Programmen. Dabei müsste es darum gehen, Land und Leute wieder politischer zu machen. Sonst werden die Öffentlich-Rechtlichen ihren Kampf ums Überleben verlieren.

Der Ansatz war eindeutig der bessere: Stefanie Schneider, die Stuttgarter Landessenderdirektorin, formulierte einen präzisen Anspruch. Die erste Frau, die im obersten Stock des Hochhauses an der Neckarstraße einziehen wollte, sprach über die große Bedeutung von seriösem Journalismus in Zeiten wie diesen, schlug den Bogen zu den Europa- und Kommunalwahlen drei Tage später. Wenn die Wahlbeteiligung hoch sei, werde auch der SWR seinen Anteil daran haben – denn: "selbst wer nur die Fallers schauen wollte, hat Informationen darüber bekommen". Das sei ein "unschätzbares Gut des Senders".

Es sollte nicht genügen für die Intendanz beim zweitgrößten ARD-Sender, ebenso wenig wie der Einwurf des Ministerpräsidenten. Jeden Vorwurf verbotener Staatsnähe knitz umschiffend, sprach der Grüne ganz grundsätzlich über den Gendergap und darüber, dass jeder seine Sonntagsreden im Hinterkopf haben müsse. Denn es gebe ja einen "gesellschaftlichen Grundkonsens", Frauen bei gleicher Eignung und Befähigung zu fördern.

Zügig wurde das Argument abgeräumt, von Männern, die sich von Anfang an eingemauert hatten: Von gleicher Befähigung könne keine Rede sein, meinten sie, denn Kai Gniffke, der Hamburger Tagessschau-Chefredakteur, bringe von dort die Außensicht mit. Diese Haltung zu Ende gedacht, könnten Männer und Frauen künftig gleich auf jede interne Bewertung verzichten, sobald MitbewerberInnen von außen kommen. Eine Untersuchung würde lohnen, ob davon wirklich beide Geschlechter paritätisch betroffen sind.

Schwamm drüber, obwohl die Enttäuschung groß war, vor allem unter altgedienten weiblichen Gremienmitgliedern und unter erfahrenen, nicht zuletzt hausinternen Journalistinnen. Manche konnten kaum glauben, wie geschmiert der zweite Wahlgang für Gniffke lief. Smart wusste sich der Kandidat zu präsentieren: Ein Schlenker hier auf seine dörfliche Herkunft aus der Eifel, der nächste auf den eigenen Führungsstil ("Wir müssen gucken, dass wir Fernsehen effizienter produzieren. Das wird nicht ohne Konflikte abgehen, aber wenn man zusammen lacht, dann kann man sich auch wie die Kesselflicker streiten").

Nicht zu vergessen: reichlich Versprechungen. Etwa zur Schaffung eines neuen Kompetenzzentrums in Baden-Baden, einer lebendigen "Hexenküche". Talente will Gniffke dazu "in den Schwarzwald holen", junge, innovative Leute sollen die europäische Alternative zu Facebook und Youtube entwickeln, mit einer neuen Serie will der Fernseh-Profi Netflix Konkurrenz machen. Eine Bewerbungsrede wie ein Posamenten-Shop, in der natürlich die Frauenförderung nicht fehlen darf: Führungspositionen möchte der NDR-Mann halbe-halbe besetzen und denkt nebenbei daran, "Mitarbeiter auch mal in den Arm zu nehmen".

SWR erstmals ohne schwarzes Parteibuch

WeggefährtInnen, die ihn gut kennen, erwarten die alsbaldige Häutung, weg von der Marketing-Tonlage der Rede vor Rundfunk- und Verwaltungsrat, hinein in den harten Intendanten-Alltag. Gniffke ist old-school-Fernseh-KonsumentInnen nur zu gut bekannt als pointierter Tagesschau-Kommentator. "Ihr werdet euch noch wundern", sagt einer der roten Rundfunkräte zu der Journalistenschar im alten Sendesaal.

Eines ist – egal, ob Mann oder Frau – ohnehin wahr: Zum ersten Mal in seiner 21-jährigen Geschichte bekommt die Zwei-Länder-Anstalt SWR einen Chef ohne CDU-Parteibuch. Peter Boudgoust, Ex-Spitzenbeamter aus Erwin Teufels Staatsministerium, werden von RätInnen und Beschäftigten gleichermaßen Kränze geflochten. Wegen seiner internen Verdienste in multimedialen Zeiten, als Teambuilder und Mann des Ausgleichs. Selbst wenn er an den notorischen Eifersüchteleien zwischen Stuttgart, Mainz und Baden-Baden wenig ändern konnte.

Im Programm, vor allem in seinen politischen Teilen, führten in den vergangenen Jahren allerdings diejenigen die Hand, die sich nicht vorwerfen lassen wollten, gut oder gar zu gut, oft oder gar zu oft über Kretschmann und seine Grünen zu berichten. Also spielte die (Landes-)Politik nur noch eine der Zweiten Geigen in der zweiten Reihe. Und der Umgang mit den permanenten ZündlerInnen von der AfD wirkt orientierungslos. Man berichte eben nicht über sich selber, heißt es oft im Landtag, wenn nahezu an jedem Sitzungstag von rechtsaußen eine der Tiraden über den grässlichen gelenkten "Staatsfunk" mitsamt seinen Zwangsgebühren angestimmt wird. 

Gniffke will den SWR, mit seinem als "Spätzlessender" verschrienen Fernsehprogramm, zum Innovationstreiber Nummer eins in Deutschland machen und selber weiterhin aktiv sein in sozialen Medien. Es ist ihm, dem Sender, dem Publikum und der Demokratie nur zu wünschen, dass er die richtige Tonlage findet. Wie sagte Armin Wolf, der hochdekorierte und von den Rechtspopulisten regelrecht gejagte Anchorman des ORF kürzlich: "Ich würde mir wünschen, dass wir weiterhin aufrecht und selbstbewusst, unabhängig nach allen Seiten kritischen Journalismus machen, schmissige Dokumentationen und scharfe Satire nicht nur produzieren, sondern auch senden (…), denn zu Tode gefürchtet ist auch tot."


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3 Kommentare verfügbar

  • Philippe Ressing
    am 31.05.2019
    Antworten
    Die Sitzung zur Wahl des neuen SWR-Intendanten war eine Farce, eine ernsthafte öffentliche Debatte um Ziele und Aufgaben fand nicht statt. Die Kandidaten ergingen sich in Platidüden, Themen wir Sparzwang, Heimattümelei oder Sinn und Zweck des Digital-Hypes - Felhanzeige. Nach den Statements kaum…
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