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Rasante Autokritik

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Seit fünf Jahren bespielt die Dreier-Combo Dietrich Krauß, Max Uthoff und Claus von Wagner die Polit-Satire-Sendung "Die Anstalt". Zum Geburtstag gibt Backstage-Mann Krauß ein Buch heraus. Darin ein amüsanter Beitrag der Journalistin Mely Kiyak, die Kontext gern verbreitet – so viel Lobhudelei muss schon sein.

Als Dietrich Krauß, der Mitautor und geheimnisvolle Dritte hinter der Sendung "Die Anstalt", mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, anlässlich der Verleihung des Medienpreises der Deutschen Umwelthilfe zu laudatieren, dachte ich: Endlich! Endlich weiß ich, wofür meine Eltern die beschwerliche Reise vom Ende der Welt nach Westeuropa unternahmen. Endlich ergibt es einen Sinn, warum ich mich mühsam alphabetisierte. Endlich, endlich, endlich werde ich um etwas gebeten, das ich aus voller Überzeugung und ganzem Herzen machen möchte. Und gleichzeitig dachte ich: Das ist doch ein Witz, oder? Die drei elegantesten Kabarettisten innerhalb und außerhalb des deutschen Fernsehens bitten mich um öffentliches Lob?

So schrieb ich die erste Laudatio meines Lebens. Nie zuvor wurde ich um einen solchen Text gebeten. Und dennoch fiel es mir überhaupt nicht schwer. So gibt es doch für mich nur drei Sendungen, die ich im Fernsehen schaue. Das sind die beiden Sendungen vom Schweizer Fernsehen, "Sternstunde Philosophie" und "Literaturclub", die aus Zürich gesendet werden, und "Die Anstalt" aus München. Es gibt sicher noch andere gute Formate, ich aber schaue nur das. Ich schrieb das Manuskript in einer einzigen Sitzung. An die Sendung zum Thema "Dieselskandal" (die Auszeichnung galt für diese Folge) konnte ich mich nahezu minutengenau erinnern. Ich kann das bei fast allem, was die drei machen, obwohl ich ein miserables Gedächtnis habe. Die Sendungen sind wie eine Art Vortrag mit Pointe, lecture performances mit Gaggarantie, Investigativstadl mit Kirmes-Charakter. Man lacht, lernt und merkt sich alles. Ich habe nie verstanden, warum die "Anstalt" in der ZDF-Mediathek unter Comedy und Satire gelistet ist und nicht unter Politmagazin, oder ach was, noch besser, unter Nachrichten.

Mit meinem Redemanuskript fuhr ich zum Berliner Meistersaal am Potsdamer Platz. Claus, Dietrich und Max waren natürlich die absoluten Stars des Abends. Das Publikum konnte einfach nicht fassen, dass sie es wirklich sind. In echt! Das ist das Besondere am Fernsehen. Obwohl die Zuschauer wissen, dass die Menschen, die sie abends in der kleinen Kiste bei sich zu Hause sehen, tatsächlich leben und existieren, sind sie sehr bewegt, wenn sie auf "Fernsehprominente" in der Realität treffen.

Bevor die Preisverleihung begann, wollte sich jeder mit "der Anstalt" fotografieren lassen. Immer kam noch ein Geschäftsführer irgendeines Verbands oder einer Organisation und bat um ein gemeinsames Foto. Einmal hatte jemand die Idee, dass nur wir vier auf ein Bild sollen, und doch hüpfte jedes Mal im letzten Moment doch noch jemand ins Motiv hinein. So kam es, dass es kein einziges Bild von uns vieren – Claus, Dietrich, Max und mir – gibt.

Es ging los. Während die anderen Preisträger laudatiert wurden, wir waren als Letzte dran, kramte Claus immer wieder einen Bleistift hinter seinem linken Ohr hervor und machte sich Notizen. Als die beiden Filmemacher Craig Leeson und Tanya Streeter für ihren Film "A Plastic Ocean" vorgestellt wurden, diskutierten Max und Claus das Thema Plastikmüll, flüsterten, machten kleine Witzchen, erfanden ein paar Pointen. Es war, als ob sie kurz die Möglichkeit durchprobierten, eine Sendung zum Thema zu machen. Immer, wenn jemand auf die Bühne kam, dessen Engagement besonders herausragte, fingen sie sofort an, laut mitzudenken. Ich war nie dabei, als sie eine Sendung konzipierten und schrieben, aber genau so stelle ich es mir vor: Ganz schnell wird ausgecheckt, ob das Thema für eine Stunde trägt, ob es etwas Neues gibt, das man noch nicht kennt, ob die Möglichkeit besteht, einen Anker zu werfen, um von dort aus zu recherchieren.

Mein Problem war etwas ganz anderes. Ich hätte mir lieber gewünscht, dass Dietrich von links, Claus von rechts und Max von hinten beruhigend auf mich einwirken, denn ich dachte, ich werde vor Angst ohnmächtig. Ich stehe berufsbedingt hin und wieder auf einer Bühne und muss sprechen, was mir nichts ausmacht, dieses Mal aber war alles anders als sonst und ich dachte: was für ein lächerlicher Wahnsinn. Ich laudatiere die? Es ging mir wirklich schlecht. Ich fühlte mich unterqualifiziert und albern deplatziert.

Dann war ich dran. Ich ging hoch und hielt meine Rede. Und – ich schwöre! – die drei saßen unten und unterstützten mich. Nicht leicht zu beschreiben, wie sie das taten, ohne dabei esoterisch zu wirken. Es war, als ob sie eine Energie hochsenden, die sagen soll: Du kannst nicht scheitern, wir sind hier und verhindern das. Sie saßen unten und lachten und kommentierten mit, spielten entrüstet oder empört (ich erlaubte mir an einer Stelle einen kleinen Spott) und waren alles in allem so voller Freude, dass sich ihre Stimmung einfach auf das Publikum übertrug. Und irgendwie war es mir eine Lektion: Bei allem Vor-Kummer-Brennen über das politische Scheitern (ich nehme ihnen das Bedauern über gesellschaftliche Missstände ab), es ist immer auch alles amüsant und es gibt immer auch Platz für Fröhlichkeit. Und darum geht es. Um nichts anderes. Und das ist überhaupt das Allerwichtigste, das ich über die drei erwähnen möchte: Ihre wahnsinnige Freundschaft, das Wort Solidarität ist hier präzise und richtig am Ort. Wenn man mit ihnen zu tun hat, ist es, als ob man einen Berg besteigt, und wenn man fällt, stehen sie zu dritt da und schubsen einen wieder hoch. Ich kenne viele Künstler, die in der "Anstalt" mitwirkten, sie erzählen alle genau das.

Später, es gab Häppchen und Schlückchen, kam Arnulf Rating auf mich zu und machte mir ein schönes Kompliment: "Ich mochte Ihre Laudatio. Sie versuchten erst gar nicht, witzig zu sein."

Ich fiel vor Lachen in eine Schüssel Matjessalat, es war ein wunderbarer Abend.

Meine Wertschätzung für Claus, Dietrich und Max hält an. Von Folge zu Folge, von Jahr zu Jahr beobachte ich diesbezüglich eine fortschreitende Radikalisierung. Ich bin ein Fan – oh mein Gott, ich bin ein Fan! Und ich besitze immer noch kein einziges, gemeinsames Foto von uns.


Mely Kiyak, Jahrgang 1976, ist Publizistin, sie veröffentlicht Essays, Analysen und Radiofeuilletons. 2011 wurde sie mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet.

Das von Dietrich Krauß herausgegebene Buch "Die Rache des Mainstreams an sich selbst – 5 Jahre DIE ANSTALT" ist am 1. Februar im Westend-Verlag erschienen, umfasst 312 Seiten und kostet 20 Euro.


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2 Kommentare verfügbar

  • M. Aldinger
    am 08.02.2019
    Antworten
    Dieser ziemlich peinliche Ich-Ich-Ich-Beitrag hat leider die Wirkung, dass ich das Buch nicht kaufe werde.
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 9 Stunden
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