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Billy Cobham

Fest mit einer Jazz-Legende

Billy Cobham: Fest mit einer Jazz-Legende
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 Fotos: Jens Volle 

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Chaouki Smahi stammt aus Algerien und lebt in Reutlingen. Am vergangenen Freitag stand er mit dem berühmten Jazz-Schlagzeuger Billy Cobham auf der Bühne des franz.K.

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Er spielte 1970 mit Miles Davis auf dem epochalen "Bitches Brew". Er spielte mit der Jazz-Legende George Benson und mit Larry Croyell, dem "Godfather of Fusion". Er wurde berühmt mit dem Mahavishnu Orchestra. Am Freitagabend sitzt Billy Cobham, der Schlagzeuger, in der Künstlergarderobe des soziokulturellen Zentrums franz.K in Reutlingen. "Chaouki hat mich angerufen", sagt er. Das war vor 13 Jahren und so hat alles angefangen.

Chaouki Smahi, ein Musiker aus Reutlingen, nahm damals "La Rose du Sable" auf, ein Album, das an Charlie Mariano erinnern sollte, den 2009 verstorbenen Jazzmusiker, mit dem er viele Jahre eng zusammengearbeitet hatte. Billy Cobham kam. Und so entstand eine neue Freundschaft, eine neue Zusammenarbeit. Und beide gaben damals schon ein Konzert in Reutlingen, im franz.K, das so heißt, weil dort einmal das Kino der französischen Garnison war.

Cobhams Spiel ist hochvirtuos, mit Präzision und perfektem Gefühl für Nuancen. Er war der Pulsgeber der Fusion-Ära, gilt als einer der besten Schlagzeuger der Welt. Und der Reutlinger Chaouki Smahi gilt als Meister der Oud, der orientalischen Kurzhalslaute.

Chaouki Smahi, der Weltmusiker

Geboren wurde Smahi in Oujda, einer Stadt in Marokko, aufgewachsen ist er im algerischen Oran. Früh schon lernte er die Oud zu spielen, beeinflusst auch durch die algerische Rai-Musik. Er studierte Informatik: "Mein Vater wusste, dass ich talentiert war, aber in Algerien ist es sehr schwer, von der Musik zu leben. Deshalb bestand er auf dem Studium." Mit 27 kam Smahi nach Deutschland, seit 1996 lebt er in Reutlingen, arbeitet weiterhin als Informatiker – und tritt in seiner Freizeit mit den Größen der internationalen Jazzszene auf.

Viele Jahre spielte er zusammen mit der Free-Jazz-Ikone Pharoah Sanders. Mit ihm stand er in Hollywood auf der Bühne oder im Iridium Jazzclub New York und 1997 im Theaterhaus Stuttgart. "Immer, wenn Pharoah nach Europa auf Tour kam, hat er mich angerufen", erzählt Chaouki Smahi. Sanders als Saxofonist zwischen Free Jazz und Spiritual Jazz, ein Wegbegleiter John Coltranes, und Smahi, der Weltmusiker, harmonierten.

Charlie Mariano, jenen anderen großen Jazzer, traf Chaouki Smahi zum ersten Mal vor 33 Jahren, erlebte ihn bei den Leverkusener Jazztagen. "Ich war begeistert davon, wie er verschiedene Kulturen zusammenbrachte, deshalb habe ich Kontakt zu ihm gesucht. Er hat mich eingeladen und ich habe ihm meine Stücke vorgespielt. Meine Brüder haben mich begleitet, spielten die Percussion." 15 Jahre lang sollte die Zusammenarbeit der beiden Musiker dauern, bis Charlie Mariano 2009 starb. Noch auf Marianos letztem Album "Sadaka" ist Chaouki Smahi zu hören.

Als Mariano an Krebs erkrankte, erwachte in dem Reutlinger Smahi der Wunsch, dem Freund ein Album zu widmen. Er stellte eine Band zusammen mit Mike Herting am Piano und Paul Shigihara an der Gitarre. Nur ein Schlagzeuger fehlte. Also rief er Billy Cobham an, zum ersten Mal. Und Billy Cobham kam. Nun ist er wieder da, sitzt neben Chaouki Smahi, in wenigen Minuten wird ihr Konzert beginnen. Mike Herting und Paul Shigihara sind mit dabei, dazu Heiner Wiberny an Saxofon, Klarinette und Flöte sowie Dave King am Bass.

In Deutschland findet Cobham musikalische Freiräume

"Chaouki", sagt Billy Cobham, "hat eine einzigartige und sehr positive Persönlichkeit. An seine Musik erinnert man sich, die Melodien, die er singt und die ihren Ursprung in den Traditionen Algeriens haben, bleiben im Gedächtnis."

Jazz ist für Billy Cobham eben dies: der musikalische Ausdruck einer Persönlichkeit. Und er gehört niemandem. Wo er herkommt, der Jazz, wo er hingeht – das ist für ihn ganz offen. Jazz habe zwar längst keinen komischen Geruch mehr, sagt Billy Cobham – "At least it doesn't smell like cow manure" –, aber Jazz sei auch nicht tot. "Ich glaube nicht, dass der Jazz jemals sterben wird, solange es Menschen gibt, die ihn spielen wollen. In unterschiedlichen Bereichen der Erde haben Menschen unterschiedliche Vorstellungen vom Leben, und Jazz ist das Medium, mit dem sie das ausdrücken."

Seit 45 Jahren lebt Billy Cobham in der Schweiz, in Bern; er spricht von all den amerikanischen Jazzmusikern, die nach Europa kamen und oft bleiben – von Dexter Gordon, der lange in Paris lebte, Quincy Jones in Stockholm und vielen anderen. "Ich habe zuerst nicht verstanden, was das bedeutete – politisch, gesellschaftlich. Ich kam nach Europa und dachte mir: Ich bleibe ein paar Wochen und lerne alles. Ich bin noch immer hier, und ich habe nur an der Oberfläche gekratzt."

In Westdeutschland vor allem, in den 1970er- und 1980er-Jahren, entdeckte Cobham große musikalische Freiräume. Hier hatte sich der Jazz auf nahezu entgegengesetzte Weise entwickelt als in den USA: "Es gab Musiker, die großartig frei spielen konnten, aber als Solisten. Die sagten: Ich spiele, was ich will, und kümmere mich dabei um niemanden. Das waren Einzelpersönlichkeiten und es ging ihnen immer um Protest. In den USA dagegen gab es Bands wie das Art Ensemble of Chicago, bei denen Freiheit bedeutete, dass die Musiker ihre eigenen Wege gehen konnten – innerhalb eines bestimmten Rahmens. Dort trat das Chaos aus der Form heraus, hier wurde aus dem Chaos heraus etwas gesagt. Das ist ein großer Unterschied."

"What a crazy Place!"

Zu den USA allerdings will Billy Cobham, der in Panama geboren wurde und in New York aufwuchs, nichts weiter sagen. Er vermisst die Heimat nicht, im Gegenteil. "Die USA? Wer soll das sein?", sagt er und beginnt schallend zu lachen. Lieber erinnert er sich an seinen Auftritt mit der SWR Bigband 2016 im Scala in Ludwigsburg oder an sein Konzert bei der Zappanale in Bad Doberan im Sommer 2023: "What a crazy Place!"

Kurz vor seinem 80. Geburtstag ist Billy Cobham noch überaus aktiv, gibt zahlreiche Konzerte. Den rechten Zeitpunkt für den Reutlinger Auftritt zu finden, mit allen beteiligten Musikern abzustimmen, war keine leichte Aufgabe. Chaouki Smahi hat sich um diesen Teil der Organisation gekümmert, das franz.K die Logistik übernommen, der Jazzclub Mitte in Reutlingen kooperiert. Das Konzert findet statt im Rahmen des Reutlinger Jazzfrühlings von März bis Mai und wird zu einem Fest der Freundschaft und Musik.

Energisch klares Piano, fantastische Synthesizer-Soli

Es beginnt mit dem trockenen, erdigen Klang von Chaouki Smahis Oud. Bald treten alle Instrumente hinzu, schwebt Heiner Wiberny auf Melodiebögen zwischen Ost und West umher, steigt Paul Shigiharas Gitarre packend ein, spielt Mike Herting energisch klar das Piano und fantastische Synthesizer-Soli, rührt Dave King am Bass.

Früh schon sind Anissa und Karima auf der Bühne, Überraschungsgäste des Abends, die Töchter von Chaouki Smahi. Sie studieren Musik, sie geben mit Klarinette und Cello der Musik einen eigenen lyrischen Ton, bringen auch klassische Momente ein, spielen mit "Disco Toccata" eine erstaunliche Komposition des französischen Komponisten Guillaume Connesson. Fast alle anderen Stücke des Abends – "Ichtiak", "Karima", "Thing of you", "Oran", "La Rose du Sable" und "Anissa" – wurden von Chaouki Smahi komponiert und entführen in schwebende, tänzelnde Klangwelten, beseelt von seinem Gesang, seinem Instrument.

Und Billy Cobham ist in jedem Augenblick präsent, mit jedem Schlag auf seine Trommeln, seine Becken, lässt sich ganz ein auf das Setting, diesen Weltjazz der manchmal leisen Töne, spielt mit Chaouki Smahi im Duett. Ganz zuletzt schließlich wechselt der Stil – die Band spielt "Red Baron", ein Stück von Cobhams erstem Solo-Album "Spectrum", und den treibenden, komplexen Fusion-Jazz von 1973. Der Abschied ist ein Lied, wiederum aus Chaouki Smahis Feder: "Amoulati" heißt es, Mike Herting steht mit Anissa und Karima am Mikrofon, singt, und Billy Cobham begleitet diesen heiteren, ganz familiären Ausklang mit federndem Schlag, geht dann mit allen Musikern von der Bühne. Und winkt Reutlingen noch einmal zu.

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