Wir sind im Oktober 2018 bei Walter Trefz zu Besuch. Vater und Tochter oben auf dem Kniebis, einem tausend Meter hohen Bergrücken bei Freudenstadt. Hier ist der Förster daheim. Schlohweißer Bart, langes Haar, goldener Ohrring, Wollmütze. Manchmal stellt er Teelichter um sein Haus herum auf. Wegen des romantischen Lichts. Von ihm wird der Lyriker Walle Sayer später sagen, so einen gebe es nur einmal im Leben. Er sei ein Naturphilosoph, Menschenfreund, sanftknorriger Aktivist gewesen, ein Bewahrer, seiner Zeit weit voraus.
Der Sommer war heiß und trocken, für den Schwarzwald sei es ein Katastrophenjahr gewesen, schreiben die Zeitungen, und verweisen auf die Bäume, die zu Zehntausenden abgestorben sind. Der Borkenkäfer habe sich wie im Paradies gefühlt. Trefz klappt sein Schweizermesser auf, trennt ein Stück Rinde vom Stamm, zeigt uns die Quer- und Längsgänge und die "Rammelkammer", in der die Männchen die Weibchen begatten. Dafür nimmt er eine Lupe. Hunderttausende von den Schädlingen entstehen hier. Die Fichten mögen sie besonders. Einmal befallen, treiben sie ganz viele Notzapfen aus, um ihre Art zu erhalten. Bis sie tot umfallen.
Kniebis-Rebell Trefz ist ein begnadeter Waldpädagoge, seine Biographie ist der Stoff, in dem sich der Schwarzwald in seiner ganzen Härte widerspiegelt. Der Borkenkäfer ist ihm nur ein Symptom dafür, was der Mensch mit der Natur macht, was über sein Revier hinwegfegt. Seien es die Orkane Vivian, Wiebke oder Lothar, das Waldsterben genannte Zusammenwirken vieler Faktoren, der saure Regen, das Ozonloch, das Schwefeldioxid. Und das Gift, das er auf Anweisung seiner Vorgesetzten spritzen sollte. Und nicht tat. "Wir Förster sind für den Wald da – und nicht fürs Geld", hat er gesagt, und damit den Grundkonflikt offengelegt.
Und ewig singen die Wälder. Nicht bei Walter
Annette Maria Rieger, Jahrgang 1971, Schwarzwälder Autorin, Seelenverwandte und Vertraute von Trefz, hat diesen steinigen Weg mit viel Gefühl und Sympathie in ihrem Buch "Der Walder vom Schwarzwald" beschrieben. Alles, bloß kein Bollenhut. Man muss sich das so vorstellen: Walter Trefz, geboren 1938, der Vater im Krieg gefallen, Zeitsoldat, nachträglich den Kriegsdienst verweigert, Pazifist, Aktivist in Wyhl und Wackersdorf, Försterlehre. Freudenstadt 1983: Ein aufstrebender Kurort, konservativ bis in die Wurzeln der Bäume, die ewig singen sollen, entdeckt am 1. Mai auf dem Paradeplatz eine 25 Meter hohe, dürre, gelbnadlige Fichte. "Der Mai ist gekommen, die Bäume sterben aus" steht auf einem angenagelten Schild.
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