Ein bisschen Distanz! Durch eine Tür hindurch sieht die Kamera der Schriftstellerin Emmanuèle (Sophie Marceau), einer Frau Mitte fünfzig, bei der Arbeit zu. Sie trägt Turnschuhe und ein Kapuzenshirt, sitzt konzentriert am Schreibtisch und tippt in ihren Computer. Als der Anruf kommt – und immer sind es diese Anrufe! – bleibt sie auf schockverdrängende Art ruhig und sagt: "Ich komme". Auf der Treppe spürt sie einen leichten Schwindel, sie eilt in die Wohnung zurück, geht ins Bad und setzt ihre Kontaktlinsen ein. Und immer wieder wird Emmanuèle sich in diesem Film im Spiegel betrachten, aber ihre Blicke sind keine der eitel-koketten Selbstbestätigung, sondern eher solche der neugierig-kritischen Selbstinspektion. Was machen die Jahre mit einem? Wie schreiben sie sich ein?
Was das Leben anrichten kann, sieht Emmanuèle jetzt an ihrem Vater André (André Dussollier). Nach dem Anruf ist sie zum Hospital gefahren, hat dort ihre Schwester Pascale (Géraldine Peilhas) getroffen, zusammen stehen sie in der Notaufnahme. André hatte einen Schlaganfall, er ist an Schläuchen angeschlossen, liegt hilflos und verzweifelt wimmernd da, mit ruckendem Kopf, verdrehten Augen, schiefem Mund. Die Worte wollen nicht mehr so kommen, wie er will, sind verschliffen und fast unverständlich, einen grimmigen Befehl aber kann er gegenüber seinen Töchtern noch artikulieren: "Geht!" Später, als es mit ihm eigentlich schon wieder aufwärts geht, hat er noch einen speziellen Befehl für Emmanuèle: "Hilf mir, es zu beenden!"
François Ozons Film "Alles ist gutgegangen" basiert auf den 2013 erschienenen Erinnerungen der Autorin Emmanuèle Bernheim an das problematische Verhältnis zu ihrem Vater, einem bekannten Industriellen und Kunstsammler, und an dessen durch Sterbehilfe herbeigeführten Tod. Zunächst wollte Alain Cavalier den Stoff verfilmen, als Emmanuèle Bernheim jedoch 2017 starb, arbeitete er dies zwei Jahre später in seiner Doku "Être vivant et le savoir" mit ein. Auch für Ozon, der den Bestseller nun als Spielfilm adaptiert hat, ist dies eine Geschichte, die ihm nahegehen muss, schließlich hat Emmanuèle Bernheim an den Drehbüchern mehrerer seiner Werke mitgearbeitet, unter anderem an "Swimming Pool" (2003). Ob Ozon sich gerade deshalb dafür entschieden hat, nicht hochemotional zu inszenieren, sondern sich zurückzunehmen?
Selbst der Tod kostet 10.000 Euro
Der Regisseur übernimmt also die sachliche Haltung von Emmanuèle, die sich nicht gehen lassen, nicht fallen lassen will in den Schmerz. Wie selbstverständlich kümmert sie sich um den Vater, besucht ihn täglich, lehnt zwar zunächst seinen Wunsch ab, ihm beim Sterben zu helfen, informiert sich dann aber doch, wie das ginge. In Frankreich ginge es nicht, jedenfalls nicht legal, aber in der Schweiz. So spricht sie mit einer älteren und mütterlich wirkenden Frau (Hanna Schygulla), die ihr ebenso sanft wie detailliert erklärt, wie vorzugehen wäre. Mit einem Mittel gegen den Brechreiz etwa, weil der Todestrank so bitter schmeckt. Und noch was: Der Vater muss selber trinken. Einmal will André wissen, wieviel das alles kostet. "10.000 Euro", sagt Emmanuèle. "Plus die Fahrt mit dem Krankenwagen." Was denn die armen Leute machen würden, fragt André, und seine Tochter antwortet: "Die warten auf ihren Tod!"
1 Kommentar verfügbar
Gerald Fix
am 19.04.2022"Ozon will das Thema nicht durchdiskutieren" - ja, es ist kein Film über Sterbehilfe, es ist ein Film über eine Familie, die mit diesem Thema konfrontiert wird. Und an Marceaus Qualitäten gibt es ja inzwischen wohl keine…