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Die von der Fischfabrik

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In der krachig-herzhaften Thriller-Komödie "Rebellinnen" spielt Cécile de France eine ehemalige Schönheitskönigin, die es zurück in die nordfranzösische Provinz verschlägt. Dort findet sie eine Tasche voller Geld und zwei Komplizinnen. Unser Autor meint: gutes Handwerk, exzellente Darstellerinnen und immer was los!

Wer in Boulogne-sur-Mer aufgewachsen ist, der will später allen zeigen, dass er diesem Proleten-Kaff im französischen Norden entkommen ist. Der wird also, wie etwa der Fußballstar Franck Ribéry, im Luxusrestaurant Nusr-Et in Dubai ein goldüberzogenes (und inzwischen nach ihm benanntes) Steak für 600 Euro verspachteln und diesen Vorgang in die große, weite Welt hinausposten. Und wenn es dann nur vorübergehend geklappt hat mit dem Glamour-Leben, so wie bei Sandra (Cécile de France), der Miss Pas-de-Calais von 2005, dann kehrt man eben sehr widerwillig von der Côte d’Azur zurück, dies aber mit Sonnenbrille, Leopardenmantel, hohen Stiefeln und einer trotzigen Ihr-könnt-mich-mal-Miene. Jetzt noch verächtlich den Kaugummi ausgespuckt, den Rollkoffer über leere Straßen gezogen und dann der im Wohnwagen hausenden Mama verkündet, dass man wieder bei ihr einzieht.

"Ausbildung, Qualifikation, Tätigkeiten?", fragt der Mann vom Arbeitsamt. Sie sei Tänzerin gewesen, sagt Sandra, und spezifiziert auf Nachfrage gleichmütig, sie habe "Pole Dance" in Clubs ausgeübt und "an der Stange" geturnt. Und jetzt? Die Fischfabrik. Also mit weißem Häubchen und blauer Plastikschürze am Band stehen, wo die leeren Dosen vorbeirattern und gefüllt werden müssen. Da kann Sandra sich natürlich einiges von den Kolleginnen anhören ("Hat das mit dem Modeln nicht geklappt?"), aber sie nimmt es stoisch-gelassen und ist schon bald integriert im Kreis dieser Arbeiterinnen, die sich mit Witz und derben Sprüchen ihrem Alltag stellen. Wobei so ein Spruch nichts nützt, wenn der schmierige Vorarbeiter ("Du bist heiß!") zu routinierter Übergriffigkeit ansetzt, ja, es nützt nicht mal Sandras resolutes Wegschieben einer zupackenden Hand: Sie sitzt schon auf dem Boden des Umkleideraums und kann dem Angreifer nur noch eine metallene Spindtür vor der Nase zuschlagen.

Äh, also, um genau zu sein: Das Körperteil, das da unabsichtlich, aber in Notwehr abgezwickt wurde und nun noch ein bisschen auf den Fliesen herumzappelt, ist nicht die Nase – und nein, es ist jetzt auch nicht der Platz für vornehme Diskretion. Um den Ton dieser handfesten Komödie zu erfassen, muss also ganz direkt gesagt werden: der Kerl hat seinen Schwanz eingebüßt. Danach torkelt er eine Treppe runter und stürzt zu Tode. Und jetzt hat Allan Mauduits Film auch sein Thema gefunden, das er in Variationen, aber immer sehr fröhlich-ruppig vorantreibt: die Selbstermächtigung der Frauen und die Entmannung der Machos. Man könnte auch noch hinzufügen: die weibliche Eroberung eines männerdominierten Genres. Weil nämlich Sandra und die hinzugekommenen Nadine (Yolande Moreau) und Marilyn (Audrey Lamy) bei dem Toten eine Geldtasche entdecken und behalten wollen, findet sich das von Kolleginnen zu Komplizinnen gewordene Trio in einem Thriller wieder.

Sie sind nicht die Guten, aber die Besseren

Die Ex-Schönheitskönigin Sandra, die mütterliche Nadine und die überdrehte Alleinerziehende Marilyn vereint die materielle Not – und vielleicht noch das Geschlecht? Ob diese Frauen aufeinander zählen können, wenn es hart auf hart kommt – und es kommt hart auf hart! –, das ist eine immer wiederkehrende Frage. Zunächst geht alles gut. Denn wie man respektive frau einen Körper entsorgt, nun, in einer Fischeindosungsfabrik ergibt sich da eine Methode quasi wie von selbst. Auch einem weißen alten Mann in einer Karaoke-Bar das Mikro wegnehmen und dann selber euphorisch loslegen ist eine leichte Übung. Selbst mit dem korrupten Polizisten des Kaffs kann Sandra gut umgehen, sie setzt in einer Bar ihr geübtes Anmachprogramm ein und reißt ihn auf. Der lokale Gangster allerdings, der Anspruch auf das Drogengeld erhebt, lässt sich nicht so leicht abwimmeln, der haut richtig zu. Und das tut in diesem sehr physischen Film, in dem Aggressionen sichtbare Spuren hinterlassen, sogar dem Zuschauer weh.

Diese drei Frauen agieren in einem Milieu, in dem Me-too-Klagen zwar sehr angebracht wären, aber keine Rolle spielen. Opfer jedoch wollen sie auf keinen Fall sein! So greifen die "Rebellinnen", die in diesem Stück nicht unbedingt die Guten, im Vergleich zu den Männern aber doch die Besseren sind, selber zu den Waffen, hauen wie Sandra mit Schaufeln aufs Maul oder schießen wie Marilyn mit Knarren zurück. Sogar die betuliche Nadine findet Gefallen an der Schrotflinte, die sie sich von ihrem Mann "geborgt" hat. Ohne Aufrüstung geht es eben nicht, wenn sich auch noch eine gewalttätige Belgier-Gang einmischt. Und nein, subtil geht es in diesem Film nie zu, dafür aber wird gutes Handwerk geliefert, sind exzellente Darstellerinnen im Spiel, ist immer was los.

Wie weit der von einigen Kritikern nahegelegte Vergleich mit Tarantino trägt, das freilich muss jeder Zuschauer für sich entscheiden. Dass die Musik aber sehr bewusst und vor allem im Finale an Ennio Morricone erinnert, ist nicht zu überhören. Apropos Finale: Da kommt es zu einem exzessiven und recht gut choreografierten Shoot-Out in einem Kleinbürgerhäuschen. Und vor dem allerletzten Knaller und in einer unter diesen Umständen schon fast anrührenden Sequenz kauft ein Papa seiner Tochter am Strand noch ein Eis, das erste überhaupt und gleichzeitig das letzte. Das war es dann mit diesen Notizen aus der Provinz, die in Frankreich zum Überraschungserfolg wurden. Ein herzhaft-rustikaler und, wenn schon nicht frauenbewegter, dann doch überwiegend von Frauen bewegter Film, der auch Männern gefallen könnte. Zum Beispiel Franck Ribéry, diesem Fußballer von da unten, aus Boulogne-sur-Mer, der sich in der weiten Welt oder jedenfalls in Dubai bloß ein bisschen verlaufen hat.


Allan Mauduits "Rebellinnen" ist ab Donnerstag, 11. Juli, in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, sehen Sie hier.
 


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