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An der Bar mit Beuteblick

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Dieses verdammte mittlere Alter: Im Episoden-Drama "All my Loving" erzählt Edward Berger von drei Geschwistern in der Lebenskrise. Das hat Humor, meint unser Kritiker und freut sich, dass die Schauspieler aus dem Schematischen ihrer Rollen ausbrechen.

Der Prolog: Drei Geschwister treffen sich in einem Restaurant, das so identitätslos wirkt wie die Foyers durchgenormter Hotelketten. Aber der lächelnde Stefan (Lars Eidinger), der diesen Ort ausgesucht hat, seine nervöse Schwester Julia (Nele Mueller-Stöfen), die ein Anliegen hat, und der jüngere Bruder Tobias (Hans Löw), der schon ahnt, dass wieder alles an ihm hängen bleiben wird, sie sind sowieso nicht zum Vergnügen hier. Sie haben sich eigentlich auch nichts zu sagen, nur etwas zu besprechen. Wer kümmert sich um Julias verwöhnten Hund, während sie mit ihrem Mann ein paar Tage in Turin verbringt? Und wer schaut mal nach, ob der Vater wirklich so krank ist, wie die Mutter das am Telefon erzählt? Stefan übernimmt sofort den Hund, sodass Tobias, auch wenn er sich zunächst sträubt, zum Elternhaus fahren muss.

Edward Bergers Film "All my Loving" aber konzentriert sich in der ersten seiner drei Episoden auf Stefan, einen Piloten in mittleren Jahren, der von seiner Frau getrennt lebt und auch mit seiner halbwüchsigen Tochter nur losen Kontakt pflegt. In seiner schmucken Uniform lungert er an Bartresen rum, lässt seinen Beuteblick schweifen, greift zu und wird gegriffen, und zieht sich nach vollzogenem One-Night-Stand wieder zurück in sein egozentrisch-bindungsloses Leben. Stefans Pilotennummer ist allerdings ein bisschen Hochstapelei, der Arzt hat ihn nämlich wegen seiner Gehörprobleme für "fluguntauglich" erklärt. Ausgerechnet ihn, den Mann ohne Bodenhaftung! Und jetzt will dieser Porschemann und Poolpartygänger – Achtung, Projektion! – seine Tochter vor jungen Aufreißern retten. "Du Penner!", schreit sie ihm durch eine Glastür hindurch ins Gesicht.

Berger setzt auf Blicke, Gesten, Taten

Regisseur Edward Berger ("Jack"), der mit seiner Julia-Darstellerin Nele Mueller-Stöfen auch das Drehbuch geschrieben hat, erzählt seine Geschwister-Geschichten konzentriert, aber zurückhaltender und distanzierter als es etwa üblich ist im routinierten Mainstream deutscher TV-und-Kino-Dramen. Die Musik wird sparsamer eingesetzt, die Einstellungen dauern etwas länger, die Protagonisten erklären sich weniger durch funktionale Dialoge, sondern durch Blicke, Gesten, Taten. Und so wie in den Short Stories von Ernest Hemingway oder Raymond Carver auch durch Stille, Auslassungen oder Abschweifungen, die das Eigentliche verdrängen und wegsperren sollen. Wenn Julia sich nachts in Turin (und in der zweiten Episode des Films) plötzlich um einen angefahrenen Straßenköter kümmert, ihn trotz Protest ihres Mannes (Godehard Giese) ins luxuriöse Hotelzimmer mitnimmt und auch noch einen Arzt holen lässt, dann wird bald klar, dass sie damit einen tragischen Verlust kompensieren möchte.

In manchen Sequenzen nähert sich "All my Loving" der so genannten Berliner Schule an, aber ganz so karg, so spröde und auch so offen wie manche Filme von Christian Pätzold ("Transit"), Thomas Arslan ("Gold") oder Angela Schanelec ("Der traumhafte Weg") inszeniert Edward Berger nie. Er sucht vielmehr, auch wenn er sie dann eher im Beiläufigen halten will, die Metapher. Die Räume zum Beispiel sind äußeres Bild für das Innenleben der Figuren, das kahle Appartement von Stefan genauso wie das Eigenheim der Eltern, das bei Tobias' Besuch (und in der dritten Episode des Films) zur lauten Baustelle geworden ist. Der Vater (Manfred Zapatka) ist zwar todkrank, aber immer noch störrisch genug, ruppig jede Hilfe abzulehnen. Die Mutter (Christine Schorn) allerdings erkennt den Machtverlust ihres Mannes und nutzt ihn zu einem Akt der Befreiung, sie lässt das Heim auf eine Weise renovieren, die fast einem Abbruch gleichkommt.

Was also soll Tobias tun, dieser gutmütige, aber immer überforderte Ehemann, der zu Hause seiner Frau den Rücken freihält, sich um die Kinder kümmert und nachts auch noch versucht, eine Doktorarbeit zu schreiben? Letzteres natürlich vergeblich, denn kaum hat er sich in seine Lektüre vertieft, wird er schon wieder aus seiner Konzentration herausgerissen. "Ich kann nicht einschlafen!", sagt der Knirps, der sich ins Zimmer geschlichen hat. Sein eigener Vater aber wirft Tobias Totalversagen vor: "Du bist 39 Jahre alt und kriegst nichts hin!" Einmal aber sieht der sonst so gestresste Tobias ganz gelöst aus. Er ist in eine Party junger Leute und in ein Trinkspiel hineingestolpert, gibt sich der Stimmung hin und lässt sich ganz entspannt sacken. Aber dann ist er doch wieder allein und ernüchtert und zu alt. Und wie seine Geschwister in der Krise.

Ein bisschen zu sehr drängt in solchen Sequenzen das Verborgene, eben das, was nur angedeutet werden soll, an die Oberfläche, ins Bild, in die Bedeutung. Ein bisschen zu klar und ausdefiniert erscheinen dann die Figuren, so als wären sie, was der Film eigentlich nicht will, restlos erfasst. Den Schauspielern aber gelingt es immer wieder, aus dem Schematischen ihrer Rollen auszubrechen und Individuelles einzubringen. Und ein wenig Humor zeigt "All my Loving" auch. Wenn etwa Stefan bei seiner Ex-Frau klingelt, dann passiert in dieser Reihenfolge das: Die Tür geht auf; er kriegt von ihr wort- und ansatzlos eine gescheuert; danach sagt sie sachlich: "Komm rein!" So ganz ohne Hoffnung wird der Zuschauer übrigens nicht entlassen. Es folgt noch ein Epilog. Denn es muss und es wird doch mal was anders werden! Die Zeit läuft ja davon, und das Leben, wie immer es auch ist: Es ist endlich.

"All my loving" ist ab Donnerstag, 23. Mai, in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, sehen Sie hier.


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