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Rebellen-Romantik

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Die linke türkische Band "Grup Yorum" will am 1. Juni in Ludwigshafen ein Konzert geben. In der Friedrich-Ebert-Halle wollen sie unter dem Motto "Ein Herz und eine Stimme gegen Rassismus" auftreten. Ob die Veranstaltung stattfindet, ist fraglich. Immer wieder werden Konzerte der Band in Deutschland verboten.

Es werden BesucherInnen aus ganz Deutschland und dem westeuropäischen Ausland erwartet, sagen die Veranstalter. Doch wie immer bei den Konzerten der Grup Yorum, ist nicht sicher, ob die Gäste denn auch Musik erwartet, ein Polizeiaufgebot oder möglicherweise gar nichts. Das liegt allerdings nicht an der Band selbst. Der Grund für die Probleme mit den Auftritten in Deutschland sind politischer Natur und begleiten die Band seit vielen Jahren.

Verfassungsschutz und Bundesinnenministerium betrachten Grup Yorum als integralen Bestandteil der in der Türkei und Deutschland mittlerweile verbotenen linken DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front). Die marxistische Organisation bezieht sich auf den linken Aufbruch von 1968 in der Türkei. Sie war aktiv in der Arbeit in türkischen Großstädten, hatte aber auch einen bewaffnet kämpfenden Arm.

"Wie in den letzten Jahren an verschiedenen Orten gibt es auch aktuell Verbotsbemühungen gegen das Konzert in Ludwigshafen", berichtet einer der Konzertorganisatoren, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Das Innenministerium von Rheinland-Pfalz habe den Saalbetreiber Lukom nach Bekanntgabe des Konzerts angerufen und ihm mitgeteilt, dass Grup Yorum dem Organisationsverbot unterliege, erzählt der Mann. Das sei eine dreiste Lüge, meint er. Dem Saalbetreiber habe er alle Auftritte der Band in Deutschland und Europa in den letzten Jahren aufgelistet. "Eine Gruppe, die dem Organisationsverbot unterliegt, kann nicht bei mehr als zwanzig Veranstaltungen innerhalb eines Jahres auftreten", erklärt der Organisator des Ludwigshafener Konzerts.

Der Saalbetreiber habe daraufhiun zwar von einer Kündigung abgesehen. Die Behörden allerdings forderten die gesamte Performance der Band im Detail, verlangten, dass mehrere Lieder nicht gespielt werden dürfen. "Zudem hat die Polizei eine erhöhte Präsenz angekündigt und angekündigt, auch den Saal nach Belieben betreten zu können", sagt der Organisator. Ganz ähnlich sei es im vergangenen Jahr bei einem Grup Yorum-Auftritt im Frankfurter Rebstockpark abgelaufen: Dort sei eine Kundgebung mit Musikdarbietungen inklusive Kinder-Hüpfburg von mehr als 60 Mannschaftswagen, Wasserwerfern und Helikoptern der Polizei begleitet worden.

Dabei ruft Grup Yorum nicht zu Hass und Gewalt auf, wie etwa zahlreiche Neonazibands. Die können oft – vor allem in Thüringen und Sachsen – von der Polizei ungestört auftreten und gegen MigrantInnen und Minderheiten hetzen. In den Texten von Grup Yorum geht es dagegen um den Kampf gegen Faschismus und Rassismus, um die Proteste im Gezi-Park in Istanbul oder um türkische Bergleute, die wegen mangelhafter Sicherheitsbedingungen bei Unfällen gestorben sind.

Der populäre Grup Yorum-Song "Ugurlama" (Verabschiedung) thematisiert die Situation aktiver Linker in die Türkei, für die Repression, Verfolgung und Gefangenschaft zum politischen Alltag gehören. In diesem Lied setzt sich die Band sehr poetisch mit einem Liebes-Paar auseinander, das gewzungen ist, sich zu trennen, weil einer der beiden aus politischen Gründen verschwinden muss. Im Refrain heißt es:

» Wenn Einsamkeit in diese Stadt hineinbricht, stirbt ein Vogel in seinem Schlaf, ziehst du los und willst fort, die dunklen Straßen sind blind, taub und stumm. Hey du, der sich die Liebe umgebunden auf den Weg begibt, wisse, dass diese Wege durch Berge führen. Wenn du fällst, bevor du deine Liebe erreichst, bleibt deiner Lieber der Hall deiner Stimme.

(Grup Yorum – Ugurlama)

"Die Musik hat ihre Wurzeln vor allem in dem Vielvölkerstaat der Türkei", erklärt Wolfgang Lettow. "Grup Yorum interpretiert allerdings auch internationale Lieder, beispielsweise Commandante Che Guevera." Der linke Hamburger Aktivist engagiert sich beim Netzwerk "Freiheit für alle politischen Gefangenen". Er hat Grup Yorum vor fast 20 Jahren kennengelernt, als die Band auf Solidaritätskonzerten mit politischen Gefangenen aufgetreten ist.

Gökay Akbulut hält die Maßnahmen gegen die Band für rechtswidrig

Tatsächlich füllt die Band in der Türkei große Säle. "Grup Yorum ist die populärste linksgerichtete Musikgruppe in der Türkei", erklärt Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete der Linken in Mannheim. "Sie hat seit Jahrzehnten die Kultur der Linken in der Türkei geprägt. Generationen sind mit ihren Liedern aufgewachsen." Ihre Fans seien vielfältig, sagt Akbulut. Sehr wahrscheinlich könne sich nur ein Bruchteil der Fans mit der DHKP-C identifizieren.

Die Bundestagsabgeordnete hält die Maßnahmen gegen die Musikgruppe für rechtswidrig und verweist auch auf zwei Urteile von Gerichten in Kassel und Frankfurt am Main aus dem Jahr 2018. Dort wurde festgestellt, dass Grup Yorum eben kein Teil der DHKP-C ist und daher auch von deren Verbot nicht betroffen ist.

Doch diese Urteile der hessischen Justiz konnten nicht verhindern, dass die staatliche Reglementierung von Grup Yorum-Konzerten in Deutschland oft stärker als in der Türkei ausfällt. 2017 wurde im osthessischen Fulda die gemietete Halle für den Auftritt auf Druck von Polizei und der Stadt Fulda gekündigt. Das Konzert konnte schließlich doch über die Bühne gehen – auf einer Wiese am Stadtrand. Die Behörden legten in ihrem umfangreichen Auflagenkatalog fest: das Konzert musste kostenlos stattfinden. Das Sammeln von Spenden war ebenso verboten wie der Verkauf von T-Shirts oder Platten der Band. Selbst Speisen und Getränke durften nur gratis ausgegeben werden, um zu verhindern – so die offizielle Darstellung – dass im Rahmen der Konzerte Geld für die DHKP-C gesammelt würde. Das Ende vom Lied: Die OrganisatorInnen blieben auf einem Schuldenberg sitzen.

Selbst die Vorbereitung auf Konzerte der Band führte in der Vergangenheit immer wieder zu Ermittlungen. Im Jahr 2015 wurden vom OLG Stuttgart Mitglieder des linken türkischen Vereins "Anatolische Föderation" zu sechs Jahren Haft wegen Unterstützung der DHKP-C nach dem Paragrafen 129b verurteilt, der die Unterstützung für eine ausländische terroristische Vereinigung unter Strafe stellt. Unter anderem sitzen sie auch deshalb im Gefängnis, weil sie Grup Yorum-Konzerte mitorganisiert hatten.

Die Angst vor weiteren Ermittlungen ist auch der Grund dafür, dass die OrganisatorInnen des Konzerts in Ludwigshafen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Die nächsten Tage dürften für sie besonders stressig werden. Denn noch ist unklar, ob und wie das Konzert in Ludwigshafen stattfinden wird. Sollte es tatsächlich über die Bühne gehen, rechnen die VeranstalterInnen mit einer vierstelligen TeilnehmerInnenzahl. Auch die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut und Wolfgang Lettow aus Hamburg werden dabei sein. Sie wollen damit gegen einen Eingriff in die Kunstfreiheit in Deutschland protestieren.


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