Darin wird Douglas Wolfsperger selbst zum Protagonisten, wenn er vor die Kamera tritt und aus dem Off über seine Kindheit in Konstanz spricht: "Als Kind dachte ich, Konstanz, das ist die Welt. Das Kino wurde für mich später zum Fenster in die Welt jenseits des Bodensees." Das macht von Anfang an klar, wie persönlich motiviert dieser Film ist. Kein Wunder: Gegenüber vom Scala hatte seine Mutter, eine Augenärztin, ihre Praxis. Im Scala hat Wolfsperger seine ersten Filme gesehen, seine ersten Super-8-Filme wurden hier gezeigt. Es spricht also jemand, der die Kino-Schließung sehr persönlich nimmt. In den folgenden 80 Minuten des Films tritt Wolfsperger immer wieder auf. Man sieht ihn denkend, lesend, sinnierend, durch die Stadt laufend. Dazwischen lässt er andere reden: Filmliebhaber, Gründer der Bürgerinitiative, den Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt, einen Stadtrat.
Ein kluger Film über die Bedeutung von Kino
Entstanden ist auf diese Weise ein Film, den man auf vielen Ebenen anschauen kann: Als Liebeserklärung an das Kino, als Anklage gegen investorengelenkte Stadtentwicklung, als Plädoyer für eine mutigere Kulturpolitik und als Verarbeitung der spezifischen Konstanzer Ereignisse. Die Protagonisten sind gut ausgewählt, sie sagen kluge und rührende Sätze über ihr Leben mit dem Kino. Wolfsperger selbst kommentiert süffisant, beobachtet scharf und formuliert in seinen Urteilen bewusst provokant: "Was der Zweite Weltkrieg nicht geschafft hat, schafft heute ein Investor, dem die Innenstadt scheißegal ist. Nur der Reibach zählt." Zu den besten Szenen des Films gehören jene Sequenzen, in denen er ohne jeden Kommentar aus dem Off Menschen zeigt, die gerade einen Kinofilm sehen. Wie sie lachen, wie sie ein Tränchen vergießen, wie sie gebannt sind von dem, was da auf der Leinwand abläuft. Viel besser kann man die Bedeutung von Kino und Filmkunst nicht darstellen.
Schwieriger wird es, wenn man den Film als Abbildung der konkreten Konstanzer Ereignisse sehen will. Da ist "Scala Adieu" nicht ganz so überzeugend, weil er nur eine Version der Geschehnisse zeigt: Die der Kinofans. Das Problem an "Scala Adieu" ist: Douglas Wolfsperger lässt dem Zuschauer keine Möglichkeit, eigene Schlüsse zu ziehen. Es gibt hier nur eine richtige Seite. Alle Protagonisten, die an Wolfsperger Seite stehen, werden akustisch und visuell zu Helden stilisiert, während die wenigen auftauchenden Gegner zu Karikaturen, zu Zerrbildern ihrer Selbst verkommen. Das Interview mit dem Oberbürgermeister Uli Burchardt wird in Kontexte gestellt, die das eigentliche Gespräch vermutlich nicht hergab, ein Auftritt des korpulenten CDU-Stadtrats Marcus Nabholz wird von einem klamaukigen Elefantenmarsch-Klangteppich unterlegt. Mit solch billigen Tricks setzt der Film seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Dabei hätte es solche übertriebenen Schwarz-Weiß-Malereien überhaupt nicht gebraucht. Die Aussagen, mit denen Nabholz und Burchardt vor die Kamera treten, sind entlarvend genug. Zum Beispiel, wenn Burchardt erzählt, dass er sich mehr Demut und Dankbarkeit von der Stadtbevölkerung wünsche, wenn ein tolles Unternehmen wie dm eine weitere Filiale in Konstanz eröffne. Jeder Kommentar aus dem Off dazu ist überflüssig. So wie Wolfsperger den Oberbürgermeister in Szene setzt, verstört es einen neutralen Zuschauer eher, weil man das Gefühl bekommt, es gehe ihm nicht um echte Auseinandersetzung, sondern ausschließlich darum, jemanden vorzuführen.
Vorgeführt statt konfrontiert
Tatsächlich wäre es gar nicht so schwer gewesen, Burchardt inhaltlich zu stellen. In seinem Buch "Ausgegeizt" schreibt der frühere Unternehmensberater viel über Nachhaltigkeit. Douglas Wolfsperger folgt dem richtigen Impuls, wenn er gegen Ende seines Films genüsslich daraus zitiert: "Es ist an der Zeit zu verstehen, dass unsere Gier und unser Geiz eine Wirtschaft geformt haben, die umzufallen droht wie eine Fichtenmonokultur im Orkan. Zu verstehen, wie unser Billigkonsum, der Kostenfetischismus der Unternehmen und die blinde Profitmaximierung in der Wirtschaft sich gegenseitig verstärken. Wie der Mainstream unserer Gesellschaft in einer langsamen, lethargischen Abwärtsspirale der Mittelmäßigkeit die lebenswichtige Mitte unserer Märkte in armselige Wüsten verwandelt." Was der Regisseur jedoch versäumt hat, ist, den Oberbürgermeister damit zu konfrontieren und ihn zu fragen, wie diese Worte mit seinen Taten im Fall Scala zusammenpassen. Das ist schade, weil das Ergebnis sicher spannender gewesen wäre als dem Oberbürgermeister beim Däumchendrehen zuzuschauen.
Bei aller Kritik: Zur Wahrheit gehört auch, dass der Film unter schwierigen Bedingungen entstanden ist. <link https: www.kontextwochenzeitung.de kultur bitte-nicht-filmen-3907.html external-link-new-window>Lange musste Douglas Wolfsperger um die Finanzierung ringen, Stadt und Investor versuchten, das Projekt zu verhindern. Wichtige Gesprächspartner für den Film wie der Investor oder der Betreiber des Scala lehnten von Anfang an eine Zusammenarbeit ab. Douglas Wolfsperger hat sich von all diesen Widrigkeiten nicht aufhalten lassen und auf eigenes finanzielles Risiko weitergedreht. Vielleicht ist so auch der trotzige Unterton des Films entstanden.
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Peter Hermann
am 29.11.2018