Am Lagerfeuer, beim Tee, an der Bettkante von den Großeltern an die Enkel, die später selbst zu Großeltern werden: Seit Jahrtausenden werden kleine und große Geschichten mündlich überliefert. Dem Erzählen als uralter Tradition widmen sich am Mittwochabend in der nächsten Woche, 25. Oktober, das Welthaus in Zusammenarbeit mit den AnStiftern und Kontext an einem literarischen Abend im Rahmen des Lesefestivals "Stuttgart liest ein Buch". Begleitet wird der Abend von der Band "Hindukusch", eine Gruppe aus Afghanistan geflüchteter Musiker, die in Bad Cannstatt zusammengefunden haben. Zu Gast sein werden auch die beiden professionellen Erzählerinnen Odile Néri-Kaiser und Laiea Nekoufar, die kleine und große Geschichten aus dem Iran erzählen werden, die Moderation übernimmt Kontext.
"Als Einwanderungsland birgt Deutschland viele Erzählungen, die hier mit hineingekommen sind, aber viel zu selten aufgeschrieben werden", sagte die Autorin Shida Bazyar in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel", nachdem im Februar 2016 ihr Debütroman erschien. "Nachts ist es leise in Teheran" eine vielschichtige Familiengeschichte erzählt aus vier Perspektiven, der sich das Schriftstellerhaus in seiner losen Reihe "Stuttgart liest ein Buch" in diesem Jahr widmet.
Es ist ein Ausnahmeroman, da sind sich die Kritiker von taz bis FAZ einig, "so lebendig, so berührend und aktueller denn je", "brillant", "herausragend", "intelligent konstruiert, schlau komponiert und toll geschrieben, eigenwillig im besten Sinne, ein glänzendes Debüt". Tragisch, traurig und wunderschön erzählt. Jedes Komma, jedes Wort der 275 Seiten scheint mit Bedacht gewählt und gesetzt und zu einer mehrschichtigen Familiengeschichte verwoben, die historisch ist und zugleich hoch aktuell.
Zwei Welten in zehn Tagen
Und so beginnt das Buch der knapp 30-jährigen Autorin mit der Erzählung von Behsad, dem Vater, dem jungen kommunistischen Revolutionär, der sich Ende der 70er Jahre gegen das von den USA unterstützte Regime des Schahs auflehnt. "Über dem Lehrerpult sein stolzer Blick, wir haben gelernt, was wir lernen mussten, wir sind älter geworden, und wir haben beschlossen, Egal, was in unseren Schulbüchern steht, wir wollen das Gegenteil davon. Wir lasen Es lebe der Schah und dachten, Tod dem Schah. Wir hörten Alle Arbeit gebührt dem König und sagten, Die Arbeit gehört den Arbeitern. Und wenn dort steht, Er führt uns zum Wohlstand, dann spucken wir auf seine Paläste, auf die Engländer, auf die Amerikaner, und schmuggeln die Bücher, kopieren sie, lernen sie auswendig, geben sie von Hand zu Hand. Wir haben gelesen, haben gelesen, haben gelesen, haben zu Hause geschwiegen und auf den Straßen geschrieben, haben unsere Eltern verflucht und sind für unsere Kinder gestorben."
Mitten in seinem Kampf lernt Behsad Nahid kennen, eine politische und intellektuelle Frau. Das Paar bekommt zwei Kinder, muss aus dem Iran nach Deutschland fliehen – in ein Leben, in dem sich Sicherheit, Sehnsucht und Fremde gegeneinander ausspielen.
Eine Parallele zum Heute ist nicht nur die Fluchtgeschichte der Eltern, das Entwurzeltwerden, das Ankommen in einem fremden Land und die fast gruseligen Begegnungen mit den netten, aber anstrengend bemühten Deutschen Walter und Ulla. Den Kindern Laleh und Mo, die in Deutschland aufwachsen als Menschen mit Migrationshintergrund, ist das Land ihrer Eltern nicht ganz, aber doch sehr fremd. Es geht in diesem Roman um Integration, um Lebensträume, Zugehörigkeit und Fremde, politisches Engagement und seine Grenzen, um die Identität von vier Menschen zwischen zwei Welten.
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Astrid Braun
am 19.10.2017