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Wahnsinn

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Millionen Menschen, Lebende und Sterbende, verfolgen in diesen Augenblicken diese kühne, ja grandiose Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Und sie vergessen vielleicht für einen Augenblick, vielleicht auch für immer, was sie bislang bedrückt oder beflügelt hat, Mord und Totschlag in der Welt, Hunger, aber auch Fettleibigkeit, oder, wie der Italiener gern sagt: Adipositas. In diesen Augenblicken brandet beispielhafter Jubel auf, zum Teil sogar Trubel. Viele der Zehntausende haben Tränen in den Augen, selbst Frauen, als die beiden Mannschaften, angeführt von dem umstrittenen, aber dynamischen Schiedsrichter Master Card aus Purchase (NY), auf dem im saftigen Grün angespritzten Rasen einlaufen. Konterfußball und Foulspiel pur – das erwartet hier der einfache Mafiosi genauso wie der Profi von Respect! Und just in diesem Moment wird angepfiffen, und Adidas sofort vorn, ganz vorn, wunderbar, schiebt den Ball fast lässig rüber zu Sony, dem Linksaußen, direkt auf die Socke – doch gaaaaaanz knapp verfehlt! Samsung greift sich sofort das Leder, mit einem zielgenauen Schuss rüber zu Pepsi, gekonnt, jetzt stürmt Lufthansa vor, gibt ab zu VW, Adidas – aber sicher gestoppt von Emirates! Was für ein fulminanter Auftakt. Die Viererkette mit Castrol steht, mit Oi, Apex und ihrem stärksten Mann Continentals. Auf der anderen Seite lauert Coca-Cola, komplett ungedeckt von Blattner, völlig abgefüllt von Budweiser ganz rechts jetzt Johnson Johnson. Knappe sechs Minuten nach dem Anpfiff die erste richtig gute Chance für Yingli, der haut den Ball im letzten Augenblick auf Emirates, Klasse gemacht. Kann sich aber nicht durchsetzen, Ballverlust, jetzt Freistoß Cola, das Leder hart auf Kante.

An der Außenlinie jetzt auch der 12. Mann, die erste richtig gute Chance mit der Aussicht auf Ausschreitungen nach der dritten Halbzeit – wenn nicht der Assistent wieder die Fahne hebt ... Aber das Spiel verliert an Spannung, zu viele Pässe, zu wenig Tempo, und so mancher Hardliner hofft vergeblich auf eine Blutgrätsche, die dem Spiel noch eine Wendung geben könnte – Foul, rufe ich vorsichtshalber noch – da knallt mir einer das Rund in die Eier. Jetzt, spätestens jetzt zeigen mir alle, die noch lesen können, die Rote Karte. Ich, der beste Mann für einen gezielten Fernschuss im Zwölf-Meter-Raum, muss vom Platz. Welche Schande für den Meister aus Deutschland, für meine Omi Glimbzsch, die bei BSG Lokomotive Zittau die Wäsche gemacht hat. Und die hätte schon viel früher abgeschaltet.


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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Grohmann
    am 10.07.2014
    Antworten
    freut mich, ihr lob!
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