Vor über einem Jahrzehnt, am 10. April 2015, trafen in der Freiburger Innenstadt zwei Gruppen aufeinander. Auf der einen Seite gab es Slogans wie "Abtreibung ist nicht nur Mord, sondern auch Selbstmord!" oder, mit Blick auf das ökonomische Potenzial: "Wirtschaftsmacht von morgen! Abtreibung – Nein Danke!". Der Gegenprotest konterte mit "Mein Bauch gehört mir!" oder "Christen lasst das Beten sein – zieht euch Marx und Feuerbach rein!". Und zwischen den Lagern ganz viel Polizei. Die erstgenannten Sprüche waren auf Schildern zu lesen, die Anhänger:innen der Piusbruderschaft trugen. Diese zieht stets am ersten Freitag nach Ostern laut betend durch die Freiburger Innenstadt und protestiert gegen Schwangerschaftsabbrüche und Homosexualität. Sie hat zudem wenig Berührungsängste mit dem rechtsextremen Spektrum: In der Vergangenheit war etwa der Holocaustleugner Richard Williamson Bischof der Bruderschaft. In Italien hatte sie 2013 zur Trauerfeier für den NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke eingeladen.
Ihren Marsch in Freiburg startete die Bruderschaft 2015 in der Humboldtstraße. Wenige Meter entfernt liegt das Martinstor. Dort sammelten sich rund 200 Menschen aus dem linken Spektrum. Einer von Ihnen ist Ernesto Aschka, der sich mit zahlreichen anderen Demonstrierenden dem Aufmarsch auch physisch in den Weg setzte. "Mir war es wichtig, für ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch und für sexuelle Vielfalt einzutreten", sagt er. Zudem seien verschiedene rechte Akteure beim Aufmarsch beteiligt gewesen. "Damals lief Dubravko Mandic mit." Mandic ist ein bundesweit bekannter Rechter, der sich selbst schon als "Obernazi" betitelte und für die AfD, der er mittlerweile nicht mehr angehört, im Freiburger Gemeinderat saß. Daneben gebe es weitere Verbindungen zwischen AfD, Identitärer Bewegung und Piusbruderschaft, Ernesto Aschka wollte diesem "gefährlichen Zusammenspiel", wie er es nennt, nicht einfach die Bahn frei machen. Nach etwa 30 Minuten übernahm das dann, nach mehreren Aufforderungen an die Protestierenden, die Straße zu räumen, die Beweis- und Festnahmeeinheit (BFE) der Polizei.
Aschka und andere Teilnehmer:innen der Sitzblockade wurden an den Rand gedrängt. Hier führen Gehwege entlang, auf denen zuvor problemlos gelaufen werden konnte, denn die Protestaktion hatte nur die größeren Torbögen blockiert. Der Einsatzleiter der Polizei sagte später vor Gericht, er habe die Piusbrüder nicht über die Gehwege führen wollen, weil dann vielleicht plötzlich Leute aus dem anliegenden Café gekommen wären, um zu stören. Die Polizei räumte die Blockade also aus dem Weg und tat das nicht gerade auf die sanfte Tour, wie zahlreiche im Internet veröffentlichte Fotos zeigen. Auf einem ist zum Beispiel zu sehen, wie ein Polizist mit gestrecktem Bein die Blockade attackiert. Anschließend wurden etwa 40 Teilnehmer:innen der Blockade fotografiert und etwa eine Stunde lang festgehalten, ihre Personalien festgestellt. Darunter war auch Ernesto Aschka.
Vorwurf: grobe Störung
Gegen ihn und zahlreiche andere wurde ein Strafverfahren eröffnet. Anders als die meisten, die einen entsprechenden Brief erhielten, stimmte Aschka einem Einstellungsangebot der Staatsanwaltschaft gegen die Zahlung von 200 Euro nicht zu. Und so fand im September 2019, über vier Jahre nach dem Protest gegen die Piusbrüder, am Amtsgericht Freiburg ein Verfahren statt. Vorgeworfen wurde Aschka ein Verstoß gegen Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes. Dort heißt es: "Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Gewalt ging von der Blockade am 10. April 2015 nicht aus. Es ging einzig und allein um den Begriff der groben Störung. Dieser "impliziert, dass nicht jede kleinere Störung strafbewehrt ist, es auch einfache Störungen gibt, die zwar rechtswidrig sind, gegen die die Polizei auch einschreiten darf, die aber nicht die Schwelle der Strafbarkeit überschreiten", hatte der Jurist Jakob Bach als einer von zwei Verteidigern vor der Gerichtsverhandlung erklärt. Das Freiburger Amtsgericht bestätigte in Aschkas Fall zwar, dass auch die Sitzblockade unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fiel, sah in ihr aber trotzdem eine grobe Störung des angemeldeten Protestzugs der Piusbrüder und verurteilte ihn zu zehn Tagessätzen.




0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!