KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Agentur für Arbeit

Analog ist einfacher

Agentur für Arbeit: Analog ist einfacher
|

Datum:

Die Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart ist mit der hohen Zahl an Arbeitslosen offenbar überfordert. Als Lösung verweist sie auf ihre digitalen Angebote namens E-Services. Doch wegen komplizierter und mangelhafter Verfahren landen viele Kund:innen auf Fehlerseiten – und am Ende wieder analog in der Warteschlange. Eine Betroffene schildert ihre Erfahrungen.

Die 40-jährige Akademikerin aus Stuttgart, zum Schutz ihrer Identität soll sie Frau Maier heißen, ist seit Anfang des Jahres nach einer Kündigung arbeitslos, nicht zum ersten Mal. Mit dem Prozess, sich arbeitslos zu melden, war sie bereits vertraut. Dass die Ineffizienz und fehlerhafte Digitalisierung, die sie aus anderen Behörden kennt, inzwischen auch zum Problem bei der Agentur geworden ist, hätte sie nicht gedacht. 2021 – mitten in der Coronakrise – hatte sie sich unkompliziert online arbeitssuchend melden können. Schnell war ein Online-Erstgespräch mit einer externen Dienstleisterfirma terminiert, welche alles Notwendige für ihre Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erfasst hatte. Dieses Mal verlief der Prozess deutlich holpriger.

Schon für die Anmeldung sollte Maier nun auf ihrem Smartphone eine Authenticator-App installieren, die bei jeder Anmeldung einen einmaligen sechsstelligen Code generiert. Das kannte sie bereits aus ihrem Arbeitsalltag und konnte das problemlos einrichten. Auch sich arbeitssuchend zu melden, klappte zunächst ohne Schwierigkeiten, die Arbeitslosenmeldung jedoch scheiterte: Kundennummer, Emailadresse und Passwort reichten nicht mehr aus, um die Identität der Kundin gegenüber dem System nachzuweisen.

Was ist Bund-ID?

Bund-ID ist ein zentrales Nutzerkonto des Bundes für alle Bürgerinnen und Bürger. Damit können sie sich online authentifizieren und bei verschiedenen Behörden von Bund, Land oder Kommune via Internet Anträge stellen. Viele Onlinedienste (zum Beispiel "Elterngeld Digital" oder "BAföG Digital") haben die Bund-ID bereits integriert.  (hg)

Um sich arbeitslos zu melden, verlangte das System eine Anmeldung über Bund-ID. Dazu musste Maier die "AusweisApp" auf dem Handy installieren, mit der ein Personalausweis oder elektronischer Aufenthaltstitel über den Chipleser des Smartphones gescannt werden kann. Mehrfach brach bei Maier der Vorgang ab, bevor sie überhaupt mit dem Scannen loslegen konnte, der Bildschirm zeigte eine Fehlermeldung. Erst als sie auf anderen Unterseiten der Agentur für Arbeit recherchierte, entdeckte sie den Hinweis, dass Apple-Nutzer die App auf dem Handy starten müssen, bevor sie sich auf der Seite der Agentur über Bund-ID anmelden.

Termin war Fehler statt Glücksfall

Auch einen Termin für ein Beratungsgespräch zu bekommen, erwies sich als schwierig. Nachdem sie den Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt hatte, folgte Maier den Hinweisen auf der Webseite und buchte einen Beratungstermin. Bei solchen Terminen soll das Profil für die Arbeitssuche verbessert werden, um so die Chancen auf einen schnellen Wiedereinstieg oder auf Maßnahmen und Fortbildungen zu verbessern. Der Termin lag vier Wochen in der Zukunft.

In der Zwischenzeit wurde sie zu einer Infoveranstaltung eingeladen, die kurz vor dem Termin stattfand. Maier erschien überpünktlich zur Präsenzveranstaltung. Der Saal war voll. Ein Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin der Agentur kamen mit zehn Minuten Verspätung und mit Kopien in der Hand, die sie an alle im Raum verteilten. Sie machten deutlich, dass die Kapazitäten für individuelle Betreuung stark begrenzt seien. Daher greife man auf Gruppenveranstaltungen zurück, um die Kundinnen und Kunden zu priorisieren und erst danach Beratungstermine zu vergeben. Verwundert hakte Maier nach, schließlich hatte sie bereits einen Termin vereinbart. Darauf erhielt sie nur die Antwort: "Wenn Sie einen Termin bekommen haben, behalten Sie ihn – sie hatten Glück!"

Beim Beratungsgespräch eine Woche später stellte sich aber heraus, dass es gar kein Glück war, sondern ein Fehler im System. Die Sachbearbeiterin, bei der Maier den Termin hatte, war gar nicht für Akademiker:innen zuständig. Immerhin versuchte sie, beim Erstellen des Profils zu helfen und die Verzögerung bei der Bearbeitung des Antrags auf Arbeitslosengeld mit der zuständigen Kollegin zu klären. Zum Schluss ermutigte sie Frau Maier, doch auch die Stellenangebote der Agentur für Arbeit durchzusehen: Schließlich suche die Agentur für Arbeit immer nach qualifizierten Mitarbeitenden und sei als Arbeitgeberin zu empfehlen!

Nach einem weiteren Monat vergeblicher Arbeitssuche erkrankte Frau Maier und wurde für mehr als acht Wochen krankgeschrieben. Wie gesetzlich geregelt, wurde sie nach sechs Wochen von der Agentur abgemeldet, die Krankenkasse sollte Krankengeld zahlen. Doch auch das klappte nicht automatisch. Die Krankenkasse behauptete, sie habe von der Agentur keine Anmeldung zur Krankenversicherung erhalten. Ob den Fehler tatsächlich die Agentur oder die Krankenkasse zu verantworten hatte, konnte Maier nicht herausfinden. Die Lösung war schließlich, dass sie den Bescheid der Bundesagentur zur Zahlung von Arbeitslosengeld per E-Mail – über den unsichersten Weg – an die Krankenkasse weiterleitete, damit sie ihr Krankengeld erhielt.

Als Maier wieder gesund war, musste sie sich erneut arbeitslos melden – und scheiterte abermals an technischen Hürden. Dieses Mal reichte es nicht mehr, sich wie zuvor mit App und Ausweis einzuloggen – sie benötigte zusätzlich die Pin für ihren Personalausweis. Eine solche Pin hatte sie aber bei der Ausstellung ihres Ausweises vom Bürgerbüro nie erhalten. Ein Besuch dort noch am selben Tag scheiterte an den Öffnungszeiten und langen Wartezeiten. Also stand sie am nächsten Tag in einer langen Schlange bei der Agentur für Arbeit in Stuttgart.

Laut Hotline-Auskunft durfte man ohne Termin erscheinen. An allen Türen der Agentur hingen jedoch Schilder, dass dies ab Mitte September nur noch mit Termin möglich sei. Das Sicherheitspersonal verteilte Flyer, die für die E-Services warben – während mehrere Wartende berichteten, dass genau diese bei ihnen nicht funktionierten.

Erklärvideos "nicht verfügbar"

Nach über einer Stunde Wartezeit konnte sie schließlich bei einer Mitarbeiterin persönlich vorsprechen. Auch bei ihr hakte das System, sodass eine Kollegin sich erstmal anmelden musste, um die Arbeitslosenmeldung von Frau Maier zu bearbeiten. Ganz abgeschlossen war damit der Prozess jedoch nicht: Den Antrag auf Arbeitslosengeld sollte sie erneut online ausfüllen, obwohl sich ihre Situation seit der letzten Meldung, bevor sie krank wurde, nicht geändert hatte. Erstaunlicherweise ist bis heute auf Maiers Online-Profil immer noch nicht zu sehen, dass sie sich arbeitslos angemeldet hat. Das Analoge und das Digitale kommunizieren bei der Agentur offensichtlich nicht.

Jetzt, da sie weiterhin auf die Bearbeitung ihres Antrags wartete, versuchte Frau Maier sich online über Bund-ID anzumelden und ihre Bankdaten zu ändern. Ein Schildsymbol zeigte drei Stufen der Anmeldeoptionen: Sie sei aktuell nur über die niedrigste, die "Basisregistrierung", angemeldet und solle sich bei Bund-ID anmelden.

Vergebens. Es kam eine Fehlermeldung, obwohl sie jetzt einen Pin für ihren Personalausweis vom Bürgerbüro bekommen hat. "Hier finden Sie ein Erklärvideo", stand dann da, sie klickte darauf – und bekam die Info, dass das Video "nicht verfügbar" sei. Ein anderes Video mit dem Titel "Digitale Grundinformationen" auf YouTube soll den digitalen Service erläutern. Auch hier: nicht verfügbar.

Google-Bewertungen bestätigen das Bild

Dass der Fall von Frau Maier kein Einzelfall ist, belegt eine Auswertung der Google-Rezensionen von Arbeitsagenturen in Deutschland durch das Verbraucherportal " Allright". Das hat alle Agenturen berücksichtigt, die mehr als hundert Mal bewertet wurden, und insgesamt über 46.000 Bewertungen zusammengetragen. Im Durchschnitt wurden die Agenturen mit 2,96 von fünf Sternen bewertet. Die Stuttgarter Agentur liegt mit 2,8 Sternen sogar unter diesem ohnehin niedrigen Durchschnitt. Das beste Ergebnis in Baden-Württemberg erzielt Ravensburg mit 3,1 Sternen. Laut den Google-Rückmeldungen sind die Kund:innen in Düsseldorf am meisten mit ihrer Agentur zufrieden.

Auch wenn solche Bewertungen nicht gerade wissenschaftlichen Standards entsprechen, machen sie doch deutlich, wie groß die Frustration vieler Kundinnen und Kunden ist. In den Bewertungen geht es immer wieder um fehlerhafte oder unübersichtliche Digitalprozesse, lange Bearbeitungszeiten bei Anträgen auf Arbeitslosengeld und eine nur oberflächliche Unterstützung bei der Jobsuche – oft werden Kompetenzen nur mit Checklisten abgefragt. "Die Organisation ist eine Katastrophe", schreibt ein Nutzer auf Google. "Digitales Zeitalter", kommentiert ein anderer sarkastisch und beschreibt, dass er zwei Stunden damit beschäftigt war, sein Bund-ID-Konto mit dem der Agentur zu verknüpfen. Manche fragen auch, wie Menschen zurechtkommen sollen, die keinen deutschen Personalausweis haben? Oder die mit Online-Diensten nicht vertraut sind?

Digitalisierung erst im Pilotprojekt

Wenn die Agentur für Arbeit ihre Klientinnen und Klienten so langsam bedient, bedeutet das nicht nur einen Verlust für die Wirtschaft, sondern auch, dass Menschen langfristig arbeitslos bleiben und schließlich beim Jobcenter landen könnten, um dort Bürgergeld – bald Grundsicherung – zu beantragen. Ob dort die Digitalisierung besser läuft? Ende September kam die Pressemitteilung, dass drei kommunale Jobcenter in Baden-Württemberg ein Pilotprojekt zur Digitalisierung starten. "Digitale Jobcenter sind kein Zukunftsthema mehr – wir machen es möglich. Wir modernisieren den Staat Schritt für Schritt", wird Wirtschafts- und Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut zitiert.

Die revolutionäre Lösung: Daten sollen von den Behörden nur einmal erhoben und dann für weitere Verwaltungsverfahren wiederverwendet werden. Bürgerinnen und Bürger müssten dieselben Informationen also nicht mehrfach bereitstellen, stattdessen fließen die Daten digital zwischen den Behörden. Klingt nach einer echt zukunftsweisenden Revolution im Jahr 2025.

Am Ende interessiert die Arbeitslosen, die Wirtschaft und den Sozialstaat eines: die Menschen schnell wieder in Arbeit zu bringen. Warum nicht bei der Agentur für Arbeit, wenn sie so eine tolle Arbeitgeberin ist?

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Michael S.
    vor 14 Stunden
    Antworten
    Als Arbeitgeber (!) bin auch ich mehr als entsetzt über die aktuellen "digitalen Abläufe" der Bundesagentur für Arbeit:
    es funktioniert nichts, wirklich gar nichts: schon eine Arbeitsbescheinigung zu erstellen, wird einem maximal schwer gemacht, die BA-MitarbeiterInnen sind fast nie erreichbar und…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!