Seit 2017 vergibt die Einrichtung ein solches Stipendium und ist, wie Norbert Peichl sagt, damit die einzige ihrer Art in Deutschland. Peichl ist ein ehemaliger Leiter von Rappertshofen und aktuell Vorsitzender des Beirates, der das Kunststipendium vergibt. Der Sinn des Stipendiums, sagt er, bestehe nicht nur darin, den Bewohner:innen eine sinnvolle, identitätsstiftende Beschäftigung zu geben. Ziel sei es auch, die Einrichtung nach außen hin zu öffnen. "Lilli Weinsteins sensible Art, Kontakte aufzubauen und in ihre künstlerische Arbeit zu integrieren", sagt Peichl, "fand ich sehr mutig und gewagt."
Eine kleine, aber sichere Welt
"Eigentlich", sagt Lilli Weinstein, "bin ich eher schüchtern. Es fällt mir schwer, auf Menschen zuzugehen." Die Kamera ist für sie ein Instrument, das Brücken baut, Zugänge öffnet. Mithin das richtige Instrument also, sich einer Welt zu nähern, die oft unsichtbar bleibt. Denn eines entdeckte Lilli Weinstein schon bald: "Um Inklusion geht es hier eigentlich nicht. Es fühlt sich alles viel eher sehr exklusiv an."
Die Bewohner:innen des Pflegeheims leben in einer kleinen Welt, die sie oft wochenlang nicht verlassen. Diese kleine Welt aber bietet Sicherheit. Sie hat ihre eigenen Regeln und weniger Hürden. Es ist eine Welt, die abgestimmt wurde auf die Bedürfnisse der Menschen, die in ihr leben. "Draußen" dagegen sind es die Menschen, die sich anpassen müssen. "Es wäre ein Traum, der nächste Schritt, wenn diese Blase sich öffnen und all das überschwappen würde auf ein ganzes Stadtviertel, ohne dass diese Sicherheit dabei verloren geht", sagt Weinstein. Eine Utopie, geboren aus Solidarität mit jenen, die den Standards einer leistungsorientierten Gesellschaft nicht gerecht werden.
Es gibt auch jene zweite unsichtbare Welt, die der Pfleger:innen und Therapeut:innen, die in Rappertshofen arbeiten. Ihr ist Lilli Weinstein in den Monaten, die sie dort bislang verbrachte, wenig nahegekommen. Der Pflegenotstand macht sich auch in Rappertshofen bemerkbar, die Stimmung hat sich geändert. Darko, ein Bewohner, erzählt, in "Rappaz": "Ich habe zu einer Pflegeperson gesagt, dass sie mir die Socke hochziehen soll. Sie hat es nicht gemacht, sondern gesagt: 'Mach es doch selber'. Und so etwas kommt öfter vor. Es geht darum, dass mir vorgeworfen wird, dass ich faul bin und nichts selbermachen will, aber ich brauche einfach Hilfe bei manchen Sachen. Manche sehen nicht, dass ich sie brauche." Lilli Weinstein hat versucht, auch dieses Ungleichgewicht in ihrer Arbeit sichtbar zu machen. "Vielleicht", sagt sie, "erreicht das nicht unbedingt die Personen, die es betrifft, aber es ist das, was ich als Künstlerin anbieten kann."
Rostexperimente und Tattoos
In der zweiten Ausgabe von "Rappaz" tritt nun auch Sandro auf, Haustechniker, er erzählt von seiner Arbeit, und davon, wie er vor vier Jahren ein starkes Hochwasser erlebte. "Die Archivräume mussten danach aufgeräumt werden", schreibt er. "Bis zum ersten Regalboden war alles unter Wasser, Dokumente und Ordner schwammen da rum. Ein Fenster ist rausgebrochen, wahrscheinlich vom Druck. Da sieht man, was für eine Kraft Wasser eigentlich hat." Im ersten Heft erzählte "Dr. Schmidt", früher Kinderarzt in Orschel-Hagen, von der Vergangenheit der Einrichtung, auch von Rappertshofen im Nationalsozialismus.
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