KONTEXT:Wochenzeitung
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Kontext-Sommerserie

Geld first, Ballern second

Kontext-Sommerserie: Geld first, Ballern second
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Die meisten zocken Videospiele, weil es Spaß macht. Manchmal ist Rendite aber mindestens genauso wichtig, wie bei Counter-Strike.

Sommergedanken

"Was für ein schönes Angebot!", hieß es vielfach, als wir unsere Autor:innen für unsere Sommerserie anfragten. Ob sie nicht ein Thema hätten, über das sie schon immer mal schreiben wollten? Selbstverständlich. Angesichts konkfliktvoller Zeiten wird nicht alles leicht und luftig werden. Rassismus und Systemkritik kommen vor, Armut und Lachen, aber auch Sylt und sogar das Videospiel Counter-Strike. Zum Auftakt haben wir Don Eulogio, eine echte Type in Mexiko-Stadt, vorgestellt. Dann ließen wir uns von einer geheimnisvollen Postkarte entführen, begleiteten eine Frau, die Inklusion tagtäglich lebt, und staunten über Zufälle und Weichenstellungen. Folge fünf holt aus zum Gegenschlag: Counter-Strike.  (red)

Das Sturmgewehr im Anschlag, ein sowjetisches Modell AK-47, schleicht der Mann über staubgraues Kopfsteinpflaster. Noch zwei Straßen weiter, dann die Bombe legen. Irgendwo in der Nähe wacht eine Antiterroreinheit. Eine dunkle Gestalt im Kampfanzug huscht ums Eck, das Gewehr ebenfalls fest in der Hand. Aber er reagiert zu spät: Nach einem präzisen Schuss in den Kopf sinkt er leblos zu Boden. Damit ist der Weg zum vereinbarten Bombenort frei. Zum Glück – die Zeit drängt nämlich.

In einer solchen oder ähnlichen Situation finden sich täglich über eine Millionen Menschen wieder, auch der Autor dieser Zeilen ist leidenschaftlicher Mörder und Bombenleger. Natürlich nicht im echten Leben, sondern nur bei "Counter-Strike". Und darum geht's: Ein Team von Terrorist:innen tritt an gegen eine Antiterror-Einheit, je fünf Spieler:innen gibt's pro Team. Ein Spiel besteht aus mehreren Runden: Innerhalb von zwei Minuten muss das Terrorteam die Bombe auf einen von zwei markierten Orten auf der Spielkarte legen oder das gegnerische Team vollständig eliminieren, sonst verliert es die Runde. Das Antiterrorteam versucht entsprechend, das Terrorteam vom Bombenlegen abzuhalten. Falls das misslingt bleiben nur 40 Sekunden, die Sprengladung zu entschärfen. Explodiert sie, geht die Runde an den Terror. Nach zwölf gespielten Runden ist "Seitenwechsel", das Team mit 13 siegreichen Runden gewinnt. Und natürlich wird dabei geschossen und gestochen, mit Granaten geblendet und gesprengt, was das Zeug hält.

Neuer Markt für digitale Gegenstände

Die Geschichte von Counter-Strike beginnt zur Jahrtausendwende. Ursprünglich war Counter-Strike lediglich eine Modifikation des bereits existierenden und beliebten Videospiels "Half Life". Diese Spielerweiterung war die erste Version von Counter-Strike und so beliebt, dass Half-Life-Spielentwickler Valve die Rechte daran erwarb und Counter-Strike, kurz CS, als eigenständiges Spiel veröffentlichte.

Die Anfangszeiten mit groben Texturen und Pixel-Optik der 2000er sind längst überwunden. Inzwischen spielt man "Counter-Strike 2" – ein trügerischer Name, handelt es sich dabei doch um das inzwischen neunte Spiel der Reihe. Die meisten davon waren allerdings weit weniger erfolgreich als das 25 Jahre alte Original, das bis heute von mehr als zehntausend Menschen täglich gespielt wird.

Die Blütezeit kam mit "Counter-Strike: Global Offensive". Das erhielt ein Jahr nach der Veröffentlichung 2012 das wohl bedeutendste Update der Counter-Strike-Geschichte: die Einführung sogenannter Skins – "Häute". Bunt oder monochrom, glänzend oder matt: Skins verpassen den Waffen im Spiel einen neuen Look und können für Geld gekauft werden. Sonst verschaffen sie den Spielenden keinen Vorteil – also kein "pay to win", wie es in Gamerlingo so schön heißt. Die Möglichkeit, Spielcharakteren oder -gegenständen ein neues Aussehen zu geben, gibt es in vielen Videospielen. Meist wird ein fester Betrag gezahlt für einen bestimmten Skin, der dann nicht mehr verkauft werden kann, Rückerstattungen sind ausgeschlossen.

Anders bei Counter-Strike. Hier zahlt man zwar einen fixen Betrag, etwas mehr als zwei Euro, für einen "Schlüssel", um eine "Waffenkiste" zu öffnen, aus der man dann einen zufälligen Skin erhält. Ein bisschen wie vor dem Spielautomaten: Schaubilder von den enthaltenen Skins rollen blitzschnell, dann immer langsamer über den Bildschirm, bis der digitale einarmige Bandit schließlich zum Stillstand kommt und den "gewonnenen" Skin präsentiert. Die sind natürlich meist weniger wert als der gezahlte Betrag für den Schlüssel. Wie im Casino gewinnt die Bank meistens, in diesem Fall die Entwicklerfirma Valve.

Die Skins selbst sind aber handelbare Objekte. Heißt: Einerseits können sie auf dem Markt der Spieleplattform gekauft oder verkauft werden, Valve kassiert dabei ein paar Prozent Provision. Der Erlös wird den Spieler:innen als Guthaben auf der Plattform gutgeschrieben, mit dem sie wiederum nur Spiele oder eben Skins kaufen können. Eine Auszahlung ist nicht möglich. Aber: Die Skins können auch an Accounts anderer Spieler:innen versendet werden, im Tausch gegen andere Skins oder – in privater Absprache und mit einem Vertrauensvorschuss – gegen Geld. Diese Funktion ebnete den Weg für einen riesigen Markt mit digitalen Gegenständen. Schon bald nach dem Update 2013 entstanden Drittplattformen als Tausch- beziehungsweise Handelsbörse von Counter-Strike-Skins, die aussehen wie Ebay für bunte Waffen. Wer einen virtuellen Skin verkauft, bekommt also echtes Geld aufs Konto. An den Provisionen der Verkäufe verdienen sich die Betreiber dumm und dämlich.

Skins als Geldanlage

Ein bisschen hat es das Feeling von digitalem Briefmarkensammeln: Manche Skins sind sehr selten oder inzwischen über zehn Jahre alt und kaum mehr zu bekommen, sie haben deshalb den Charakter von Sammlerstücken. Von manchen Spielern hört man deshalb auch Sätze wie: "Wäre der Skin nicht so teuer, würde ich ihn wahrscheinlich nicht spielen." Sie sind nicht nur Schmuck, sondern zum Statussymbol der Spieler:innen avanciert. Und die Preise für manche Skins steigen auf teils absurd hohe Summen. 1,5 Millionen Dollar – so viel hätte jemand gezahlt für einen einzigen Skin, für Einsen und Nullen auf irgendwelchen Servern, die im Spiel dann ein klauenförmiges, blau leuchtendes asiatisches Karambit-Messer darstellen. Der Eigentümer trägt den Spielernamen "青い王", Spielerprofil und Inventar sind allerdings privat, was er besitzt, ist nicht zu prüfen. Aber er veröffentlichte in den vergangenen Jahren Screenshots von sehr teuren Skins in seinem Inventar, einer aus dem Jahr 2017 zeigt eben jenes blau schimmernde Karambit. Ob er es wirklich noch besitzt, weiß niemand so genau, Berichte über einen Verkauf gibt es nicht. Was aber bekannt ist: Das Angebot von 1,5 Millionen Dollar lehnte er ab – es war ihm zu niedrig.

Doch Skins eignen sich nicht nur, um sein Vermögen in der digitalen Welt zur Schau zu stellen, sondern auch, um es zu vergrößern. Vor allem sind es die Waffenkisten, mit denen die Skins generiert werden, die zu Spekulationsobjekten werden. Die Kiste mit Namen "Breakout" wurde im Januar 2020 auf dem Markt der Spieleplattform für etwa 30 Cent pro Stück gehandelt. Im Januar dieses Jahres betrug der Preis dann schon über sieben Euro, inzwischen ist er sogar auf über zwölf Euro geklettert. Der Wert ist also in fünfeinhalb Jahren um das Vierzigfache gestiegen. Glücklich dürfen sich all jene schätzen, die vor Jahren diese Entwicklung erkannt und Hunderte oder Tausende Kisten zum Centpreis gekauft haben.

Bootcamp und Sponsoren

Skins sind aber längst nicht der einzige monetäre Aspekt rund um das Videospiel. Inzwischen ist das Counter-Strike-Spielen zum Beruf geworden. Mit dem Videospiel entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten nämlich auch die Kultur darum. Aus anfänglichen "Clans", in denen sich Spieler:innen zusammenschlossen, entwickelten sich professionelle Teams, nicht nur bei Counter-Strike. E-Sports, elektronischer Sport, nennt sich das, wenn Teams auf einer Bühne vor einem Publikum gegeneinander antreten.

Vor wichtigen Turnieren reisen viele Teams in sogenannte Bootcamps, also Trainingslager – ganz so wie beim echten Sport. Dann heißt es: stundenlang Counter-Strike spielen – Reaktionsgeschwindigkeit und das Zielen mit der Computermaus üben, Taktiken einstudieren, um bei den großen Turnieren, den "Majors", möglichst weit zu kommen und damit möglichst viel Preisgeld abzustauben. Zuletzt traten 32 Teams zwischen dem 3. und 22. Juni in der texanischen Hauptstadt Austin an. Der Sieger erhielt 500.000 Dollar, der Zweitplatzierte 170.000. Die letzten acht Plätze mussten sich mit je 5.000 Dollar pro Team zufriedengeben. Ein Profispieler bezeichnete die Einnahmen durch Turnierpreisgeld als "Bonus" zum eigentlichen Gehalt. Das allein reicht nicht, um den Spielern, Managern, Trainern und sonstigen Angestellten hinter den Teams ein ordentliches Gehalt zu zahlen. Die Vereine sind deshalb auf Sponsorenverträge angewiesen.

Wie viel Profis verdienen, variiert stark, öffentliche Infos gibt es kaum. Einen Einblick gab vor Kurzem der slowakische Profispieler Martin "Styko" Styk, der seine Einnahmen für das Jahr 2023 öffentlich machte. Demnach hat er insgesamt über 461.000 Euro eingenommen, davon seien nur 13.000 Euro Preisgeld gewesen. 150.000 Euro erhielt er als Gehalt. Der Rest, mit fast 300.000 Euro der Großteil seiner Einnahmen, stammt aus Werbeauftritten und Sponsorings. Klar ist aber auch: Nur wenigen Spielern aus den weltweit besten Teams sind solch hohe Gehälter vorbehalten. Und wie bei anderen Sportarten hinken Frauenteams weit hinterher.

Lug und Betrug

Auch die professionelle Gamingszene hat ihre Schattenseiten. 2014, als die Gehälter von Profis bei Weitem noch nicht so hoch waren wie heute, wurde einer der größten Skandale bekannt: Die Spieler des Teams "iBUYPOWER", damals galt es als das beste aus Nordamerika, haben gegen sich gewettet und absichtlich verloren – es war schlicht profitabler als das Turnier zu gewinnen. Auf Counter-Strike-Spiele zu wetten geht übrigens auf Drittplattformen sehr einfach. Man muss lediglich den eigenen Spielaccount verknüpfen und Skins als Wetteinsatz transferieren. Die Alterskontrolle? Einen Haken setzen, mit dem man die Volljährigkeit bestätigt. Auch der Autor hat als 15-Jähriger auf diese Weise schon Geld, oder genauer Skins, verloren. Neun Jahre später ist das auf vielen Plattformen noch immer möglich, Glücksspielkontrolle ade.

Eine andere Möglichkeit zu betrügen: Cheatsoftware. Programme, die einem das Zielen abnehmen, mit denen Gegner durch Wände sichtbar werden und die damit Nutzer:innen de facto unbesiegbar machen. Auch hier hat sich inzwischen ein ganzer Markt entwickelt. Ein Cheatentwickler bietet solche Programme für sechs bis 60 Dollar im Netz an, ein anderer Anbieter hat ein Abo-Modell: 10 Euro pro Monat. Und so wie sich Profisportler dopen, schrecken auch Counter-Strike-Profis nicht davor zurück, die verbotenen Programme zu nutzen, um sich damit einen unfairen Vorteil zu verschaffen. Im Juni hat "STRG_F" vom Funk-Content-Netzwerk eine 43-minütige Reportage über Cheats in Counter-Strike veröffentlicht und darin auch den Fall des deutschen Profis Simon "smn" Beck behandelt, der 2014 aufflog.

Neben dem Ruf der Profiszene leiden darunter vor allem alle ehrlichen Counter-Strike-Spieler:innen. Zwar gibt es auch eine Anti-Cheatsoftware des Spiels – die allerdings greift nur selten. Wirkliches Bemühen, da nachzubessern, hat Spielanbieter Valve bislang nicht gezeigt. Warum auch? Allein im Jahr 2023 soll Valve fast eine Milliarde US-Dollar Umsatz gemacht haben durch Einnahmen aus Waffenkisten für Skins, von denen immer wieder neue hinzugefügt werden. Die Provisionen der Skin-Verkäufe über den plattformeigenen Markt sind da noch gar nicht eingerechnet. Das Geld fließt also weiterhin in Mengen. Und am Ende geht es Valve schließlich darum: um Profit. Nicht um die Freude am Spiel, die Cheater ruinieren.

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