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Verdi und Fridays for Future

Zusammen stark

Verdi und Fridays for Future: Zusammen stark
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Am 1. März streiken sie gemeinsam: Fisun Yaldizci von Verdi und Elisabeth Kutterer von Fridays for Future wollen zeigen, dass Klimaschutz und Sozialpolitik kein Widerspruch sind. Ihre Ziele sind ein bewohnbarer Planet und ordentliche Löhne für hart arbeitende Menschen.

Dabei zu sein, kann Glücksgefühle auslösen: Als im Frühherbst 2019 deutschlandweit mehr als eine Million Menschen beim Klimastreik auf den Straßen waren, ging es nicht allein darum, für Umweltschutz und intakte Lebensgrundlagen einzutreten. Neben den politischen Forderungen war ein Nebeneffekt der Großdemonstrationen die gute Laune, die sie bei Beteiligten hervorgerufen haben: eine Jugend, die aufsteht, um die Welt zum Besseren zu verändern – mit wahnsinnig viel positiver Energie, Humor und der Wissenschaft auf ihrer Seite. Damals machte auch Elisabeth Kutterer zum ersten Mal mit beim Klimaprotest, sie kam gerade von einem FSJ in Brasilien zurück. Heute ist die 23-jährige Studentin bei Fridays for Future (FfF) aktiv und sagt: "Es gab in der Bewegung schon lange Überlegungen, wie sich Klimaschutz und Sozialpolitik zusammenbringen lassen."

Das wird nun konkret: Gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi hat FfF das Bündnis "Wir fahren zusammen" gegründet, das den öffentlichen Nahverkehr verbessern will und jetzt am 1. März eine Petition an die Politik übergeben wird. Begleitend zur Tarifrunde für Beschäftigte im ÖPNV sind Aktionen in über 60 Städten geplant. Gestreikt wird in Stuttgart zum Beispiel nicht nur von Klimaschutz-Aktivist:innen, sondern auch von Beschäftigten des städtischen Verkehrsunternehmens SSB. Zuerst laufen die beiden Gruppen getrennt voneinander los, treffen sich dann am Schlossplatz und ziehen zusammen vors Rathaus, wo die Unterschriften übergeben werden sollen. "Wir hoffen, dass Cem Özdemir erscheint", sagt Kutterer. Eingeladen sind alle Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Stuttgart, zugesagt hat bisher Bernd Riexinger von der Linken.

Wenn es nach Kutterer geht, sind gemeinsame Aktionen dringend nötig. "Es ist ja für alle spürbar, dass gerade alles teurer wird", sagt sie. Deswegen sollten sich Betroffene vernetzen und sich beim Einsatz für gute Lebensbedingungen gegenseitig unterstützen. Bei FfF habe es früh einen Konsens gegeben, dass Klimaschutz nicht auf dem Rücken der Armen ausgetragen werden dürfe, sondern eine ökologische Transformation sozialverträglich sein muss. Kutterer würde sich daher freuen, wenn es nicht nur beim Schulterschluss mit Bahn- und Busfahrer:innen bleibt, sondern Klima-Aktivist:innen in naher Zukunft auch zusammen mit der Pflege oder der Kinderbetreuung streiken. "Wir hoffen, dass wir solche Bündnisse in allen Bereichen der Daseinsfürsorge aufbauen können. Denn nachdem hier viel kaputtgespart wurde, gibt es ja überall Baustellen." Und so ein Streik sei nun mal "das mächtigste Instrument im Arbeitskampf".

Mehr Fahrgäste, wenig Personal

Davon ist auch Fisun Yaldizci überzeugt. Sie ist aktiv im Stuttgarter Bezirksfrauenrat von Verdi, arbeitet seit über 15 Jahren als Busfahrerin und sagt: "Ich liebe diesen Job." Nach vielen Jahren in der freien Wirtschaft verliert Yaldizci über ihre Arbeitgeberin, die SSB, auch positive Worte. "Seit ich hier 2017 angefangen habe, habe ich mehr Freizeit", räumt sie ein. Es gebe außerdem ein tolles Sozialwerk bei der SSB, darüber spiele sie regelmäßig Tischtennis und Badminton mit den Kolleg:innen. Dennoch machten sich gewisse Lücken bemerkbar, und das sei belastend. "Wir haben einfach zu wenig Personal", meint die 53-Jährige.

Laut Prognosen sollen im Bundesgebiet bis 2030 circa 100.000 Stellen im Nahverkehr unbesetzt sein. In Stuttgart macht sich der Mangel schon heute bemerkbar. Viele Beschäftigte erreichen zudem bald das Rentenalter, während gerade beim Nachwuchs die Not groß ist: Bei Lebensunterhaltskosten wie in Stuttgart, wo Wahnsinnsmieten selbst Ärzt:innen zu schaffen machen können, fällt es schwer, Auszubildende zu finden.

Wie sich das in der Praxis bemerkbar macht, schildert Yaldizci unter dem Schlagwort Verdichtung: In Stuttgart seien die Fahrpläne über die vergangenen Jahre straffer geworden, was bedeutet, dass die Pufferzeiten schrumpfen. "Gleichzeitig wird der Verkehr auf den Straßen immer mehr, der Druck auf uns wächst." Wenn etwa der 44er-Bus vom Killesberg aus durch die halbe Stadt fährt, bleiben an der Endhaltestelle Westbahnhof nur wenige Minuten, um durchzuatmen, kurz die Füße auszustrecken und vielleicht auf die Toilette zu gehen. "Aber dann kann es ja leicht zu Verspätung kommen: weil ein Unfall die Straße blockiert, weil ältere Fahrgäste lange zum Einsteigen brauchen, weil Falschparker ihren Wagen auf der Busspur abstellen, weil viele vorne im Bus ihr Ticket mit Münzgeld bezahlen oder, oder, oder. Und dann bleibt eigentlich gar keine Zeit an der Endstation und man muss direkt wieder umdrehen."

Im schlimmsten Fall geht das zulasten der Sicherheit: wenn Fahrer:innen waghalsig werden müssen, um den Zeitplan einzuhalten. Yaldizci erzählt, als sie angefangen hat, hieß sie in ihrem Dorf "die Raserin". Heute lasse sie sich nicht mehr aus der Ruhe bringen. "Lieber ein paar Minuten zu spät kommen, als Menschenleben zu gefährden." Da sei sie froh, dass die SSB viel Nachsicht für Fahrplanabweichungen aufbringe. Bei manch einem Unternehmen auf dem Omnibus-Markt sei das keine Selbstverständlichkeit.

Yaldizcis Stil ist nicht die Abrissbirne. Sie jammert nicht, sondern erklärt auch lange, was bei der SSB gut läuft. Aber sie betont: "Wir Fahrer und Fahrerinnen sind Teil der kritischen Infrastruktur. Also müssen die Arbeitsbedingungen gut sein, damit weiterhin Menschen diesen Job machen möchten." In diesem Sinne sagt auch Kutterer, sie wollen mit ihrer Aktion nicht nur kommunale Verkehrsbetriebe in die Pflicht nehmen, sondern insbesondere auch Regierungen, damit sie mehr Geld für eine solide Finanzierung bereitstellen. "Das ist doch paradox", meint die Klima-Aktivistin: "Die Politik hat das Ziel ausgerufen, die Zahl der Nahverkehrsnutzer:innen zu verdoppeln, aber beim Personal stagniert alles, in manchen Orten schrumpft die Belegschaft sogar. Die Mobilitätswende kann nur gelingen, wenn dem Nahverkehr endlich ein höherer Stellenwert beigemessen wird und hier viel mehr Geld fließt."

Gespräche gegen Polarisierung

Über 120.000 Menschen konnte die Kampagne von Verdi und FfF bisher überzeugen: Sie haben ihre Unterschrift unter die gemeinsame Petition gesetzt. Kutterer betont, dass die Petition erst seit vergangener Woche im Internet verfügbar sei. Den überwältigenden Großteil der Stimmen "haben wir also in persönlichen Gesprächen gesammelt". Zum Beispiel durch Interventionen in Vorlesungen oder durch Gespräche an Bus- und Bahnhaltestellen. "Manche Unterhaltungen haben nur eine Minute gedauert, andere eine Stunde", berichtet die Studentin. "Ein paar konnten wir schnell überzeugen, andere überhaupt nicht."

Das Gespräch hätten sie dabei mit allen gesucht, auch mit Verschwörungsgläubigen und AfD-Wähler:innen. Für Kutterer seien diese Dialoge auch ein kleiner Schritt, um etwas gegen die Polarisierung der Gesellschaft zu tun. Um aufzuzeigen, dass niemand weiterkommt, wenn alle auf sich allein gestellt bleiben. Und dass andererseits große Übereinstimmungen möglich sind, wenn die Ziele ein bewohnbarer Planet und ordentliche Löhne für hart arbeitende Menschen sind.

Im April wollen FfF und Verdi ihre Kampagne auswerten und weitere Schritte planen. Wie sich die Erfahrung – gemeinsam für etwas zu streiten – auswirken kann, hat sich schon vergangenen Mittwoch im Stuttgarter Rathaus gezeigt. Gewerkschaft und Klima-Aktivist:innen hatten zu einer Veranstaltung geladen, auf der Beschäftigte der SSB über ihre Erlebnisse berichteten. Mit dabei war auch ein Busfahrer, der sich als Jo vorgestellt hat. Anfangs ist er unsicher, beschreibt etwas nervös, dass er wegen seiner Dienstzeiten Probleme mit dem Schlaf hat und seine Gesundheit darunter leidet. Dass sich der Stuttgarter Verkehr zu den Stoßzeiten manchmal wie Harakiri anfühlt. Aber als er ausgeredet hat, jubeln ihm die Kolleg:innen von der Gewerkschaft zu und die Jugendlichen aus der Klimabewegung mindestens ebenso laut. Und plötzlich grinst Jo über beide Backen. Bleibt zu hoffen, dass Zusammenhalt und positive Bekräftigung als Vorbild die Runde machen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Rainer Kruse
    am 29.02.2024
    Antworten
    Ich war immer Unterstützer von Fridays for Future. Aber die hängen sich ernsthaft an einen Aktionstag an, an dem keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren? Soll ich mit dem Auto zur FfF-Demo? Das ist doch eher pervers.
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