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Busfahrerinnen

"Das können wir Frauen auch"

Busfahrerinnen: "Das können wir Frauen auch"
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Fünf Frauen, fünf unterschiedliche Geschichten, eine gemeinsame Leidenschaft: Busfahren. Frauen am Bussteuer sind eine Minderheit. In der von Männern dominierten Branche mangelt es nicht nur an ihnen, sondern insgesamt an Fachkräften. Und an gesellschaftlicher Anerkennung. Und an Toiletten.

Feuerrote Schäfchenwolken am Himmel über Heilbronn. Margarita Vasilevas Blick ist konzentriert auf die Straße gerichtet, ein langgezogener Piepton erklingt: "Wagen hält" steht auf der digitalen Anzeigetafel im Inneren des Busses. Es ist kurz nach sieben, die Herbstsonne wird sich in wenigen Minuten über den Horizont schieben, im Bus herrscht frühmorgendliche Ruhe. Die meisten Plätze sind besetzt, großteils von Schüler:innen und Bosch-Mitarbeitenden im kollektiven Halbschlaf. Während für sie der Tag erst langsam losgeht, hat Vasileva bereits die Hälfte ihrer Schicht geschafft. Seit halb drei ist sie auf den Beinen, um halb zehn beginnt ihr Feierabend, dann geht sie heim und macht erst mal ein Nickerchen, sagt sie.

Margarita Vasileva, 38, kommt ursprünglich aus Bulgarien. Sie ist eine von sechs Busfahrerinnen des Heilbronner Unternehmens Gross-Busse – neben über hundert männlichen Kollegen. Der geringe Frauenanteil ist nicht ungewöhnlich in dieser Branche: 2021 waren laut Statistischem Bundesamt nur knapp 14 Prozent der Bus- und Straßenbahnfahrer:innen in Deutschland Frauen. Das liege vor allem an der Schichtarbeit, meint Gerd Eisemann, Fahrdienstleiter von Gross-Busse. "Für eine junge Mutter ist das ein Beruf, der fast nicht ergreifbar ist." Die Chauffeurinnen des Unternehmens Margarita Vasileva, Silvia Ratzlow, Seray Sidibe, Sabiha Kemertas und Iris Bacher sind aus den unterschiedlichsten Bereichen als Quereinsteigerinnen zum Busfahren gekommen. Was die Frauen verbindet, ist die Liebe zu einem Beruf, dem es an manchem fehlt: an ausreichend Personal, an Toiletten und an Respekt seitens der Gesellschaft.

Bis 1971 für Frauen verboten

Silvia Ratzlow kennt all ihre Fahrgäste. Sie weiß, wie sie heißen, wo sie wohnen, wann sie wo in den Bus einsteigen – "wer mit wem, wer geheiratet, wer Kinder bekommen hat, wer was vererbt". Nach der vierminütigen Pause auf dem Edeka-Parkplatz in Talheim beginnt ihre übliche 25-Minuten-Runde mit dem Bürgerbus, den sie dienstags und donnerstags fährt. "Jeden Donnerstag fährt eine Frau mit, die hier zum Friseur geht", erzählt sie, als sie sich durch die engen Gassen im Talheimer Ortskern schlängelt. "Die lass ich dann direkt vor der Tür raus."

Seit 18 Jahren fährt sie Bus, immer bei Gross. Und damit am längsten von all ihren Kolleginnen dort. Dass Frauen überhaupt am Steuer eines Busses sitzen dürfen, ist der modifizierten Frauen-Arbeits-Verordnung von 1971 zu verdanken. Eine Verordnung noch aus der NS-Zeit hatte ihnen das Fahren von Omnibussen bis dahin verboten. Die Begründung: Diese Art der Arbeit überfordere Frauen psychisch und physisch. "Was die Männer können, können wir Frauen schon auch", kontert Ratzlow. Sie hat vor ihrer Busfahrerinnenkarriere in einer Kantine gearbeitet, im Heilbronner Salzwerk und als Taxifahrerin. Mit ihrem damaligen Mann, heute Ex-Mann, hatte sie später ein gemeinsames Bestattungsinstitut, und ebenso mit ihm gemeinsam hat sie beschlossen, die Busfahrer:innenausbildung zu machen und ist so beim Heilbronner Unternehmen gelandet. Genau dort will sie auch die nächsten sechs Jahre bis zu ihrem Ruhestand bleiben "und dann vielleicht noch zwei, drei Jahre dranhängen".

Mit dem Lohn ist sie zufrieden. Wie die meisten Busunternehmen ist Gross Mitglied beim Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO) und bezahlt nach Tarifvertrag, seit Juni dieses Jahres sind das knapp 19 Euro die Stunde. Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen – etwa der Vergabe von Buslinien – bleibt den Unternehmen auch nichts anderes übrig, denn das baden-württembergische Tariftreue- und Mindestlohngesetz schreibt hier die Bezahlung nach Tarifvertrag vor. Das Problem an der Sache: Die Tarifbindung gilt nur für das Entgelt, nicht etwa für die Arbeitszeit, Urlaub oder Zuschläge.

Im Wald aufs Klo

Haltestelle Schulzentrum Beilstein. Pünktlich um 8:34 Uhr biegt der Bus um die Ecke. Am Steuer sitzt Seray Sidibe bereits seit 3:52 Uhr und lächelt jeden einsteigenden Fahrgast einladend an. Sie nickt als Bestätigung beim Vorzeigen der Fahrscheine. Dann kann's losgehen: von Beilstein nach Heilbronn – ihre Lieblingsstrecke wegen der Länge, der schönen Landschaft und der "guten Gäste", sagt sie, die ihr ab und zu Schokolade und Gummibärchen für ihre zwei Kinder mitbringen. Die 33-Jährige stammt aus dem westafrikanischen Staat Guinea, ist seit zehn Jahren in Deutschland und seit zwei Jahren bei Gross. Nach ihrem 450-Euro-Minijob beim ASB-Fahrdienst (Arbeiter-Samariter-Bund) finanzierte ihr das Arbeitsamt die Ausbildung zur Busfahrerin. Allein der Erwerb des Busführerscheins kostet normalerweise bis zu 15.000 Euro.

Sidibe ist glücklich mit ihrem Job, "es macht mich stolz, eine von so wenigen Frauen zu sein", sagt sie. Doch eine Sache bereite ihr und ihren Kolleginnen immer wieder Bauchschmerzen: die fehlenden Toiletten. Bei manchen Linien sei es besonders schlimm, dann bleibe den Frauen nichts anderes übrig, als in den Wald zu gehen. Deshalb hat die ITF (Internationale Transportarbeiter-Föderation) anlässlich des Welttoilettentags am 19. November 2019 eine Charta für den Zugang zu Sanitäranlagen für Verkehrsbeschäftigte veröffentlicht. Denn: Der Zugang zu sanitären Einrichtungen ist ein Menschenrecht. Die privaten Busunternehmen selbst könnten da wenig machen, sagt Jan Bleckert vom Verdi-Fachbereich Busse und Bahnen, sie übernehmen lediglich die Linien und argumentierten damit, dass sie dort nicht einfach Klos aufstellen könnten. Stattdessen müssten sich die Landkreise und Kommunen darum kümmern.

Was laut Sidibe hingegen hervorragend klappt, ist die Vereinbarkeit von Busfahren und Muttersein – sie selbst übernimmt dank des Zugeständnisses ihres Arbeitgebers meist die Frühschicht. Ihre Kinder sind acht und elf Jahre alt, "die brauchen schon noch manchmal die Mama", sagt die 33-Jährige. Sie ist wieder zu Hause, wenn die Kinder von der Schule kommen. Das geht nur, weil sie Teilzeit arbeitet. Bei einer Vollzeitstelle müsste sie Wechselschichten machen, damit es den anderen Kolleg:innen gegenüber gerecht ist, sagt Gerd Eisemann, der im Unternehmen für die Dienstpläne zuständig ist.

Die wechselnden Schichten sind ein Grund, warum immer weniger Menschen Bus fahren wollen. Und warum die Anzahl an Busfahrerinnen "unterirdisch" sei, sagt Bleckert von Verdi. In bestimmten Unternehmen fehlten zwischen zehn und 15 Prozent des Personals. Das führe zu Taktausdünnungen, dem kurzfristigen Ausfallen von Fahrten und dazu, dass die Unternehmen in Auftrag genommene Linien an die Kommunen oder Landkreise zurückgeben. Der Busfahrer:innenmangel führt zum Dominoeffekt: Das bleibende Personal muss die Schichten ausgleichen, vermehrte Nachtschichten bringen den Tagesrhythmus durcheinander, was wiederum gesundheitlich bedenklich ist und Krankheitsausfälle fördert, erklärt der Gewerkschafter. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen rechnet damit, dass im ÖPNV bis 2030 jährlich 8.000 neue Fahrer:innen gebraucht werden als Ausgleich für diejenigen, die in Rente gehen.

Besser die Gosch halten

Es brauche gute Ansätze in der Politik, sagt Bleckert. Er denkt dabei an bestimmte Ermäßigungen für Mitarbeitende in öffentlichen Infrastrukturen, etwa in Form von einfacheren Zugängen zu Kitaplätzen, freien Eintritt in Museen oder vergünstigten Grund und Boden für ÖPNV-Unternehmen zum Bau von Dienstwohnungen. Doch als ersten und wichtigsten Schritt müsse sich das gesellschaftliche Bewusstsein für den Beruf ändern. "Viele denken, Geld kann ich auch woanders verdienen, ohne mich beleidigen zu lassen." Einer Befragung der Wahlforschungsgesellschaft Infratest-Dimap zufolge sind 35 Prozent der 1.196 Befragten der Meinung, dass Mitarbeiter:innen des Nah- und Fernverkehrs in der Gesellschaft wenig oder sehr wenig Respekt genießen.

Man müsse ständig aufpassen, sagt Iris Bacher, viele Fahrgäste seien aggressiv und unberechenbar. Die 50-jährige Talheimerin fährt seit fast fünf Jahren Bus. Ihr Sohn, der bei Gross im Büro arbeitet, habe sie damals dazu überredet, schließlich würden an allen Ecken und Enden Fahrer:innen gesucht. "Ich dachte mir: in meinem Alter?", sagt sie und lacht dabei. In den vergangenen fünf Jahren hat sie so manch schwierigen Fahrgast erlebt. Manche weigern sich, ein Ticket zu kaufen, oder behaupten, sie hätten kein Geld, oftmals sei Alkohol im Spiel. Reine Nachtbusse werden deshalb bei Gross nie von Frauen gefahren. "Beschäftigte im Verkehrsbereich sind stark von gewalttätigen Übergriffen betroffen", schreibt auch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung im Speyerer Forschungsbericht zu "Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Personenverkehr". 41 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal im Jahr Gewaltopfer geworden zu sein. Frauen sind im Schnitt häufiger betroffen.

"Man darf selbst nie die Gosch aufmachen", sagt Iris Bacher. Deshalb erzählt sie lieber von ihren "netten" Fahrgästen im Lauffener Bürgerbus, den sie täglich von morgens bis mittags durch die 12.000-Seelen-Stadt chauffiert. Die bringen ihr Kaffee und Croissants, erzählen über Gott und die Welt. "Das ist echt wie eine Familie." Besonders angetan war die frühere Briefträgerin von einer Schülerin, die ihr letztes Jahr einen Brief geschrieben hat. "Du bist die beste Fahrerin Lauffens", stand darin. "Einfach goldig", findet Bacher.

Mit Kopftuch am Steuer

Mittlerweile ist es halb drei, die Oktobersonne neigt sich bereits Richtung Westen. Sabiha Kemertas' dunkle Augen und kirschrot konturierte Lippen sind umhüllt von einem weißen Hijab. Weiße Bluse, rotes Hemd, langer nachtblauer Rock. Ein ungewohntes Erscheinungsbild für eine Busfahrerin in Deutschland, ihre Fahrgäste hätten kein Problem damit, "die machen immer so, wenn sie einsteigen", sagt Kemertas und reckt den Daumen hoch. Die 42-Jährige kam mit neun Jahren aus der Türkei nach Deutschland, hat vor fünf Jahren den Busführerschein gemacht, Bus fährt sie jedoch erst seit einem Jahr. Für sie war ihr früherer Mann ausschlaggebend für die Berufswahl. "Laut ihm dürfen Frauen nicht arbeiten", sagt sie. Damals war sie Verkäuferin und er sei oft ins Geschäft gekommen, obwohl sie das nicht wollte. "Ich dachte mir, wenn ich den Busführerschein mache, bin ich immer unterwegs und er kann mich nicht stören."

Wie so oft hat sich auch an diesem Tag wegen eines Krankheitsfalls der gesamte Dienstplan der Fahrer:innen kurzfristig geändert. Kemertas' Schicht hat sich um zweieinhalb Stunden nach hinten verschoben. Man müsse eben flexibel bleiben, sagt sie. Wenn ihr Feierabend beginnt, wird die Sonne längst untergegangen sein, Seray Sidibe wird ihre Wohnung geputzt, für ihre Kinder gekocht und ihren Sohn zum Fußballtraining gebracht haben. Und Margarita Vasileva wird längst schlafen. Denn in wenigen Stunden – um fünf Uhr am nächsten Morgen – beginnt bereits ihre nächste Schicht.


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3 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 22.10.2023
    Antworten
    Ausschnitt (2. Absatz):
    ... Das liege vor allem an der Schichtarbeit, meint Gerd Eisemann, Fahrdienstleiter von Gross-Busse. "Für eine junge Mutter ist das ein Beruf, der fast nicht ergreifbar ist." ...

    Hmmm?
    Hat Herr Eisemann hier das Adjektiv "alleinerziehende" vergessen oder denkt er (im…
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