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Modelabel Botho, Tübingen

Mit Menschlichkeit gut angezogen

Modelabel Botho, Tübingen: Mit Menschlichkeit gut angezogen
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Mit ungewohnten Kleidern, Hosen, Jacken schlagen Sarah Dunn und Seatile Neyrinck Brücken zwischen den Kulturen. Die Modedesignerinnen stellen sich gegen Trends, basteln an einer Community und haben nun einen Laden eröffnet.

Die Kleidung ist ungewöhnlich: farbenprächtig, übergroß. Und jedes Stück, das sich im Laden findet, sagt Sarah Dunn, sei ein Unikat, besitze eine eigene Geschichte. Eine Geschichte, die vom Stoff handelt, von seiner Fertigung, von den Menschen in fernen Ländern, die ihn webten, färbten, von Handwerkstechniken, Traditionen. Mit Sarah Dunn und Seatile Neyrinck haben sich in Tübingen zwei Frauen zusammengetan, die aus unterschiedlichen Teilen der Welt stammen, in die Universitätsstadt kamen, ihre eigene Mode entwickelten, ihre Community aufbauten. Botho heißt das Ladengeschäft im Tübinger Nonnenhaus, das sie im November 2023 gemeinsam eröffneten: ein Wort aus Südafrika, aus der Sprache der Sotho, das auf Deutsch schlicht Menschlichkeit bedeutet.

Seatile Neyrinck stammt aus Südafrika, aus jener Region, in der Sotho gesprochen wird. Sie kam mit 19 Jahren nach Deutschland, um eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in der anthroposophischen Dorfgemeinschaft Tennental bei Deckenpfonn zu absolvierten, besuchte in ihrer Heimat eine Walddorfschule. "Ich bin froh, dass ich diese Ausbildung gemacht habe", sagt sie. "Dabei habe ich sehr viel über mich selbst gelernt." Sie ist nun 41 Jahre alt, Mutter von drei Kindern. Ihr eigentliches Berufsziel jedoch konnte sie erst kurz vor Beginn der Pandemie verwirklichen: In Tübingen ließ sie sich zur Damenmaßschneiderin ausbilden. Eine Anstellung fand sie nicht, stattdessen arbeitete sie im Verkauf.

"Das war gut", sagt sie. "Ich habe dabei gemerkt: Hinter den Kleidern steckt noch viel mehr. Es sollte nicht nur darum gehen, sie zu verkaufen. Die Kleidung ist die zweite Haut des Menschen, durch sie bringt er seine Kultur zum Ausdruck."

Nein, das ist keine kulturelle Aneignung

Stoffe, die Europäer als afrikanisch einordnen, werden, wie Seatile Neyrinck weiß, zumeist über die Niederlande nach Afrika verkauft. Historisch entstammen die sogenannten Ankara-Stoffe, die Batiken oder "Dutch-Waxprints", dem indischen Raum und werden seit Mitte des 19. Jahrhunderts von internationalen Unternehmen für den afrikanischen Markt hergestellt. Seatile Neyrinck bedient sich dieser Stoffe, gestaltet mit ihnen Kleidung in europäischer Schnittart; sie verarbeitet aber auch, ähnlich wie das französische Modehaus Louis Vuitton, die Basotho Blankets, die traditionellen Decken des Klans der Basotho, zu Jacken. Für sie sind diese Decken Zeugnisse ihrer eigenen Kultur, die sie in eine andere überführt. "Hier im Laden", sagt sie, "kommt das gut an. Manche Kunden schrecken erst davor zurück und fürchten, es könne sich um eine Form der Cultural Approbation (kulturelle Aneignung) handeln, aber im Gespräch klärt sich das dann. Andere Kunden freuen sich, dass sie endlich auch einmal bunte Kleidungsstücke finden."

Ehe sie ihre kleine Kollektion aufbaute, reiste Seatile Neyrinck in ihre südafrikanische Heimat. Sie sammelte Stoffe, besuchte als Touristin Namibia. Afrika besteht aus 55 Ländern, von denen jedes über eigene Traditionen verfügt. "Jedes Land hat andere Muster mit einer anderen Geschichte", sagt sie. "Ich kenne aber nur jene aus Südafrika. Von den anderen Ländern kann ich nichts erzählen, ich war noch nicht dort."

Bequem ist besser als sexy

Sarah Dunn indes pflegt sorgsam Kontakte nach Indien. Sie arbeitet eng mit traditionellen Webereien zusammen, die sich abseits der indischen Zentren befinden. Vor vier Jahren gründete sie ihr Modelabel Rani & Reini (www.raniandreine.com) und baute dazu zwei Handelsketten auf, über die sie ihre Stoffe einführt. Sie fertigt ihre Kleider aus handgewebten, handbemalten, von Hand gesponnenen Textilien an. Und sie kreiert ihre eigene Mode, gegen den Trend, in gewollter Übergröße. Kleidergrößen wie 38 oder 40, sagt sie, seien für Frauen eine Norm. Bei Sarah Dunns Modelabel Rani & Reine ist es eher Größe 52, während Seatile Neyrinck bei Botho mit ihrem Modelebel Pelo Yaka gleichzeitig kunstvoll maßgeschneiderte Mode anbietet.

"Kleidung ist dazu da, dass man sich in ihr bewegt", sagt Sarah Dunn. "Der Körper sollte Raum in ihr haben. Ich liebe altmodische Kleider, die man auf eine solche Weise spürt." Mit ihrer Arbeit als Modedesignerin möchte sie sich auch gegen den Zwang zu einer Kleidung stellen, die den Köper preisgibt, gegen die Übersexualisierung der Mode: "Viele Kundinnen sagen, meine Kleider seien konservativ, nicht sexy genug. Aber ich finde, dass wir uns auf eine natürliche und bequeme Weise kleiden und auf diese Weise schön sein sollten. Die Frauen sollten Kleider tragen, in denen ihr Körper atmen kann." Allerdings: Eine solche Haltung zu vermitteln, das stellte Sarah Dunn schon fest, ist im Deutschland des Jahres 2024 nicht wirklich einfach.

Sarah Dunn ist Kanadierin, 48 Jahre alt, studierte Musikwissenschaftlerin und mit einem Inder verheiratet, kam vor sieben Jahren nach Deutschland. In ihrer Heimat hatte sie lange als Yogalehrerin gearbeitet und entwickelte früh ein großes Interesse an der Kultur Indiens. Auch in Tübingen engagierte sie sich in der indischen Kulturgemeinschaft, half mit bei Konzerten und Festen. Dort begann sie, ihr Modelabel aufzubauen und als Autodidaktin selbst Mode zu entwerfen.

Nun bereist sie Indien regelmäßig, besucht die Handwebereien, aus denen ihre Stoffe stammen, bemüht sich, indischen Weber:innen einen Besuch in Deutschland zu ermöglichen. Die Baumwolle, das weiß Sarah Dunn, gilt als das Gold Indiens, ihr Anbau stellt einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar. Der indische Markt quillt über von sogenannter Biobaumwolle. "Aber nur zwei Prozent der Baumwolle, die in Indien erzeugt wird, sind zertifiziert." Ein gutes Vertrauensverhältnis zu ihren Lieferant:innen ist ihr wichtig.

Langsam wachsen, fair kooperieren

Seatile Neyrinck und Sarah Dunn beteiligten sich erst unabhängig voneinander an mehreren Pop-Up-Stores in Tübingen, lernten sich so kennen. Im September 2023 organisierten sie, gemeinsam mit anderen Frauen, eine Modenschau im Tübinger Sudhaus. Sie fand statt im Rahmen eines Festivals, das von PACT e.V. organisiert wurde, dem Performance Arts Collective Tübingen. Besonders an dieser Schau waren nicht nur die Kleider, die Seatile Neyrinck und Sarah Dunn präsentierten – besonders waren auch die Models, die sie trugen: Alle stammten sie aus dem Bekanntenkreis der beiden Modedesignerinnen – Frauen aus der Tübinger Nachbarschaft, oftmals Mütter, Freunde, Bekannte.

"Für mich", sagt Seatile Neyrinck, "sind sie das wahre Bild der Gesellschaft. Sie sind keine Modeltypen." Sarah Dunn hat ihre Models fotografiert für die Website ihres Labels. "Ich finde, jede Person kann sehr schön sein", sagt sie. "Es kommt nur darauf an, dass man sie in einem Augenblick sieht, in dem sie sich selbst vergessen kann. Ich habe eine Frau fotografiert, die nie zuvor gemodelt hat, hier auf einem Hügel vor Tübingen, und sie strahlte eine unglaubliche Kraft aus."

Seit kaum zwei Monaten betreiben Seatile Neyrinck und Sarah Dunn nun gemeinsam ihr Ladengeschäft. Sie suchen nach Brücken zwischen ihren eigenen Auffassungen und zwischen den unterschiedlichen Kulturen, denen sie entstammen, denen sie begegnet sind. Gerade deshalb ist den beiden Frauen die Kooperation mit anderen Produzent:innen sehr wichtig: Bei Botho gibt es nicht nur ihre Mode – im Laden finden sich auch viele Erzeugnisse von regionalen Betrieben und Kunsthandwerker:innen. Eine Tübinger Rentnerin liefert Glasperlen, aus Bietigheim kommt Keramik, aus Pforzheim kommen Seifen, aus Ammerbuch-Entringen kleine Holzwaren. "Gemeinsam", sagt Sarah Dunn, "sind wir stärker. Jedes unserer Produkte hat eine Bedeutung, eine tiefe Geschichte. Was wir machen, wächst sehr langsam."

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