Hol mich der Teufel: Zwar hat es die "Mano Cornuta", die auch als "Teufelsgruß" bekannte Geste mit abgespreiztem Zeige- und kleinem Finger, als Metal-Gruß schon in den Mainstream geschafft, doch es soll immer noch Menschen geben, die Heavy-Metal-Musikern:innen und -Fans eine gewisse Nähe zum Satanismus unterstellen. Schließlich wird der Leibhaftige und die für ihn stehende Zahl 666 immer wieder in Song-Texten beschworen, dazu Pentagramme und umgedrehte Kreuze aufgetragen. Für eine kulturhistorische Einordnung der Richtige ist Jörg Scheller, 1979 in Stuttgart geboren und in Korntal aufgewachsen, denn er ist nicht nur Kunstgeschichte-Professor an der Zürcher Hochschule der Künste, sondern auch seit früher Jugend Metal-Musiker und -Fan. Scheller ist vielbeschäftigt, deswegen wird der Austausch per Email geführt. Und weil sich Interviewer und Interviewter schon lange kennen, wird geduzt.
Jörg, wenn du "666" hörst – an was denkst du da als Metal-Fan als erstes?
Natürlich an das erste Metal-Album aller Zeiten – Johannes' "Offenbarung"! Für die Jüngeren unter uns, die das nicht mehr kennen: Das war ein obskures Ein-Mann-White-Metal-Projekt, eingespielt nach ein paar Tässchen Stechapfeltee in einem Heimstudio auf der Insel Patmos, irgendwann um das Jahr 70 n. Chr. herum. Und obwohl Johannes damals nur begrenzte Mittel zur Verfügung hatte und die Technik noch nicht so ausgereift war wie heute, hat das Album alles, was ein echtes Heavy-Metal-Album braucht: einerseits Drama, Fantasy, Horror, irre Monster und psychedelische Effekte, andererseits strenge Ordnung, die sich unter anderem in einem leicht zwanghaft anmutenden Hang zum Zählen ausdrückt. Es sind nicht einfach nur Monster, es sind immer genau soundsoviel Monster, es sind nicht einfach nur Qualen, es sind immer genau soundsoviel Qualen, und der Antichrist hat natürlich eine Hausnummer – sechshundertsechsundsechzig. Genau dieses Paradox zeichnet Heavy Metal aus: das virtuose Zusammenspiel von Ekstase und Ordnung. Im Metal wird nicht einfach nur herumhalluziniert, die Halluzination muss ordentlich arrangiert und geprobt und durchgetaktet werden.
Oha, da gelangen wir gleich in die Tiefen des christlich-abendländischen Gekröses! Ich hätte ja ganz banal erwartet, als Antwort kommt "The Number of the Beast", einer der bekanntesten Songs der britischen Metal-Band Iron Maiden, mit der hübschen Textzeile "Six Six Six, the Number of the Beast". Also "Sechs Sechs Sechs, die Zahl des Tiers" – oder des "Teufels", der hat ja bekanntlich viele Namen. Textlich gibt's im Heavy Metal einen gewissen Hang zu okkulten, apokalyptischen Themen, das war schon bei den Genre-Urvätern Black Sabbath in den späten 1960ern so. Woher kommt diese Faszination fürs Endzeitliche?
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G
am 04.01.2024