Die Reaktionen und Verhaltensweisen angesichts existenzbedrohlicher Gefahren zu erforschen, ist eine interdisziplinäre Aufgabe. Seit Oktober 2021 untersucht das Käte-Hamburger-Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien an der Universität Heidelberg, wie Gesellschaften und Individuen mit Endzeit-Szenarien umgehen. Auch um das gegenwärtige Weltgeschehen zu würdigen, hat sich Kontext mit Thomas Meier, einem der beiden Direktoren, unterhalten.
Herr Meier, bitte helfen Sie mir weiter. Wie zur Hölle sind postapokalyptische Studien überhaupt möglich? Als ich das letzte Mal nachgeguckt habe, gab es die Welt doch noch. Und sogar im Falle ihres Untergangs: Wer würde übrig bleiben, um zu forschen?
Das ist einer der wesentlichen Streitgegenstände unserer Forschung: Wir sind uns komplett uneinig, wie wir Apokalypse definieren. Es ist ein offener Begriff, der in ganz verschiedenen Kontexten eingesetzt werden kann. Einmal ist da natürlich die biblische Vorstellung: Die Apokalypse als Offenbarung über das Ende der Welt schlechthin. Die Reiter kommen, dazu Heuschreckenplage und Hungernöte, Feuer, das vom Himmel fällt – das sind Bilder, die kulturell tief eingebrannt sind und die einem sofort in den Kopf kommen, wenn man Apokalypse hört. Aber das ist ja auch biblisch nicht das Ende von Allem. Danach kommt das Neue Jerusalem, also auch eine Post-Apokalypse. Zudem hat der Begriff weitere Bedeutungsebenen. Deswegen reden wir jetzt im Kolleg vom Ende der Welt, genauer: dem Ende einer Welt.
Und darunter fällt?
Das kann das universelle Ende des Daseins schlechthin sein, vielleicht kollabiert das gesamte Universum in ein paar Milliarden Jahren, und das wäre wohl das Ende von allem. Es sei denn, Sie sind religiös und glauben, danach gibt es trotzdem noch was. Und dann gibt es natürlich das Ende der Welt im planetaren Maßstab, das offensichtlich auch noch nicht eingetreten ist. Oder da wäre das Ende der Menschheit, möglicherweise durch Klimawandel oder Seuchen. Oder das Ende ganzer Kulturkreise, etwa von indigenen Gesellschaften. Und wenn ich bis ganz bis zum Ende der Skala gehe, ist da noch das Ende der Welt im individuellen Maßstab. Beispielsweise durch eine Krebsdiagnose. All das ist letztlich im Begriff der Apokalypse als Ende der Welt mit drin.
Also ist die Welt schon einmal untergegangen?
Schon mehrfach sind Welten untergegangen. Und das ist der Gegenstand unserer postapokalyptischen Studien. Zum Beispiel: Wie geht das Leben weiter in einer komplett verwüsteten Umgebung?
In diesem Sinne: Eignet sich zum Beispiel Stuttgart, um Anschauungsmaterial zu sammeln?
Haha, nein, ich fürchte, da gibt es wesentlich besser geeignete Orte. In Süddeutschland sind wir ja in einer ziemlich privilegierten Position, geopolitisch betrachtet, gerade auch was den Klimawandel angeht – wobei sich die Folgen ja inzwischen auch bei uns und in der Nachbarschaft immer deutlicher bemerkbar machen.
Bei all den Bildern von ausgetrockneten Flüssen und Waldbränden kommt schon ein bisschen Endzeitstimmung auf.
Ja, und da gibt es auch nichts zu verharmlosen. Aber auch hier ist der Weltuntergang eine Frage des Maßstabs. Bisher ist die Menschheit allem Anschein nach noch nicht ausgestorben, und es ist auch unwahrscheinlich, dass sie durch den Klimawandel gänzlich aussterben wird. Selbst bei acht Grad Erhitzung würden wohl Teile der Erde unter sehr speziellen Voraussetzung bewohnbar bleiben. Ob es allerdings als Erfolg zu bewerten wäre, wenn aus knapp acht Milliarden Menschen wenige Hunderttausend werden, die in einer verwüsteten Umgebung leben müssen, ist in jeder Hinsicht fragwürdig. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem irreversible Schäden durch den Klimawandel nicht mehr zu verhindern sind. Trotzdem lohnt sich der Einsatz für jede kleine Schadensbegrenzung, und auch wenn es bislang viel zu langsam vorangeht, können die schlimmsten Szenarien vielleicht noch abgewendet werden.
Mit Blick auf frühere Katastrophen, die allesamt irgendwie überstanden wurden, heißt es ja manchmal: Macht euch nicht zu viele Sorgen um die Zukunft, bis jetzt ist es doch auch irgendwie weiter gegangen, immerhin haben wir das Waldsterben in den Griff bekommen.
Wie gesagt, unsere Spezies hält einiges aus und selbst in den düsteren Szenarien wird es wohl eine Hand voll Überlebender geben. Allerdings: Wenn niemand mehr da wäre, wäre da auch niemand, der sich die Frage nach einem möglichen Weltuntergang stellen könnte. Dass wir uns überhaupt damit auseinandersetzen können, setzt also voraus, dass es uns noch gibt – heißt aber keineswegs, dass das auch unbedingt so bleiben muss. Zudem halte ich es für zutiefst unethisch, sich deutlich abzeichnende und durch Menschen verursachte Katastrophen einfach zu ignorieren, weil man sich denkt: Na ja, also wenn die Menschheit als Spezies das irgendwie überlebt, dann ist es mir Wurst. Es ist eine sehr trügerische Sicherheit zu sagen: "Bis jetzt ging's ja immer gut." Nein, es ging eben nicht gut. Es war nur nicht final. Aber was es in der Geschichte wiederholt gab, waren Weltenden, die zu zigtausenden oder Millionen von Toten geführt haben. Zum Beispiel die Seuchenzüge nach der europäischen Eroberung Lateinamerikas oder den Holocaust. Also wenn ich auf die Skala von Gesellschaften schaue, dann gab es durchaus Apokalypsen, die zu einem Komplettende geführt haben.
Untergangsszenarien mit Komplettende scheinen ja zumindest in der Popkultur eine treue Fangemeinde zu haben, der Katastrophenfilm ist längst ein eigenes Genre. Woher kommt die morbide Faszination für das Ende der Welt?
2 Kommentare verfügbar
Joachim Petrick
am 09.09.2022