KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Zum Tod von Roland Hägele

Am Puls des Protests

Zum Tod von Roland Hägele: Am Puls des Protests
|

Datum:

Roland Hägele verlieh dem politischen Streit in Stuttgart Gesichter. Am vergangenen Montag verstarb der Fotograf nach schwerer Krankheit im Alter von 66 Jahren.

Wer in Stuttgart schon mal auf einer Demo war, hatte gute Chancen, Roland Hägele vor die Linse zu laufen. Der Fotograf war nah dran am Puls des Protests. Egal, ob die Wahnsinnsmieten in der Landeshauptstadt viele Tausend auf die Straßen trieben oder ob die Linksradikalen vom Zentrum Lilo Hermann vor dem Verfassungsschutz warnten: Wenn etwas anstand, konnte man sich sicher sein, Roland Hägele ist dabei. Oft als einer der ersten. 

Die Montagsdemos gegen Stuttgart 21 – in dieser Woche gab es die 680. Auflage – hat er schon ab der dritten begleitet. Das war am 26. Oktober 2009, weit bevor das Milliardengrab der Deutschen Bahn die halbe Stadt dazu brachte, mit Tröten und Transparenten loszuziehen. Hägele fotografierte nicht distanziert. Er war ein politischer Mensch, Mitglied der Linkspartei, bewegt von Tierschutz, Antifaschismus und sozialer Gerechtigkeit. Sein Geburtstag fiel zu seiner Freude auf den 1. Mai, sodass er ihn meist auf Demonstrationen zum Tag der Arbeit feierte. 

Luigi Pantisano, Stadtrat in Stuttgart und nicht nur Parteifreund des Fotografen, sagt, es sei Hägele gewesen, der ihm und anderen Genoss:innen vor vielen Jahren klargemacht habe, wie wichtig es ist, dass politische Inhalte nicht nur irgendwo abstrakt herumstehen. Sondern dass sie auch Gesicht zeigen, für etwas einstehen. Hägele hat sie mit seiner Kamera eingefangen und unzählige gezeigt. Zuletzt auch das eigene Gesicht: mit Aufnahmen vom Krankenbett. Diesen März hat er seine Diagnose Magenkrebs öffentlich gemacht. Anfangs suchte er nach einer Lösung für seinen Hund Zeus, 58 Kilo schwer und laut Hägele "sehr eigen". Er werde sich nicht mehr lange um ihn kümmern können. Das sorgte für Rückfragen. Später schrieb er in sozialen Medien, er komme aus dem Krankenhaus, und die Diagnose gebe wenig Grund zur Hoffnung. Aber "so lange ich noch kann, werde ich mit Zeus weiter unser Gassi gehen".

Obwohl ihn die Behandlung belastete, blieb er im Einsatz. Einen Tag, nachdem er nach einer Chemotherapie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, stand er schon wieder auf der Straße: Am 29. Juli 2023, zum Christopher Street Day in Stuttgart, war er noch mit zwei Kameras um den Hals unterwegs, im weißen Shirt mit einem roten Antifa-Aufdruck. Es war seine letzte Großdemo. Am 16. Oktober ist der Lebensgefährte, Vater, Stiefvater, Opa, Schwiegervater, Bruder, Onkel und Freund "friedlich von uns gegangen", schreiben ihm Nahestehende in Trauer. Eine Vertraute versichert am Telefon, dass eine gute Lösung für Zeus gefunden werden konnte. 


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Matthias von Herrmann
    am 23.10.2023
    Antworten
    Roland Hägele war ein Fotograf, der sich für die Sache interessiert hat, die er fotografiert hat. Und der das Problem verstanden hat. Auf die Parkschützer-Aktionen gegen Stuttgart 21 hat er sich immer sehr gefreut, da war action geboten, da gab es Gesichter und Botschaften, das war sein Ding. Im…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!