Mit Hilfe eines Schwamms verdichten sich kunterbunte Farbtupfer zu himmelblauen, wiesengrünen oder zitronengelben Grundierungen. Auf den Textilien, die heute neu gestaltet werden, haben Workshop-Beteiligte mit Kreppband Rechtecke abgeklebt, damit die Ränder sauber bleiben. Leiterin Atish, die ihren Nachnamen ungern in der Zeitung lesen würde, schaut den Teilnehmer:innen über die Schultern, gibt Tipps – "Das sollte noch etwas trocknen, bevor du es übermalen kannst" –, sie skizziert mit Bleistift Figuren auf T-Shirts oder ritzt mit einem kleinen Messer Rillen in die noch nicht getrocknete Farbmasse. Das Ganze hat etwas Meditatives.
An eine entspannte Arbeitsatmosphäre war für Atish lange Zeit nicht zu denken. Die 22-Jährige verbrachte ein gutes Drittel ihres Lebens auf der Flucht. Dass sie kürzlich Interessierten im Stuttgarter Theater am Olgaeck zeigen konnte, wie ihre Kunst entsteht, ist einer Reihe von glücklichen Zufällen zu verdanken.
Ihre Heimat, den Iran, hat Atish mit 14 verlassen. Nicht weil sie wollte, sondern "um mein Leben zu retten". Anders zu lieben, als es die Autoritäten genehmigen, ist dort eine tödliche Gefahr. Ausgelebte Homosexualität steht unter der Todesstrafe. Seit der Islamischen Revolution 1978 wurden deswegen mehr als 4.000 Menschen öffentlich hingerichtet, etliche andere ausgepeitscht. Nach Thailand ist der Iran das Land, in dem weltweit die meisten Geschlechtsangleichungen durchgeführt werden. Formal gilt Transsexualität als Krankheit und so übernehmen die öffentlichen Krankenkassen die Hälfte der Kosten für eine Operation. 2001 stand in einem Bericht der Vereinten Nationen (UN), wer sich dazu entscheide, könne sicher leben, solange er oder sie sich zurückhaltend verhält. Dass die Lebenswirklichkeit anders aussehen könnte, deuten die Schilderungen derer an, die wegen ihrer Identität einer enormen Stigmatisierung ausgesetzt sind. "Er will mich umbringen. Er hat Rattengift in meinen Tee gemischt", fasst die Iranerin Negar Askar, die vorher Ali hieß, gegenüber der BBC die Reaktion ihres Vaters zusammen, als sie ihr Geschlecht wechselte.
Vergiftet vom eigenen Vater
Atish geht nur ungern in die Details, was sie in ihrer Kindheit und auf der Flucht erlebt hat. Aber sie lässt wissen, dass sie ebenfalls mit ihrer Familie brechen musste, weil niemand sie als den Menschen akzeptieren konnte, der sie ist. Neben der sozialen Ausgrenzung ist da die Schikane. Eine Gechtsangleichung wird in allen offiziellen Dokumenten notiert, mit einer psychischen Störung gleichgesetzt und kann bei jeder Personenkontrolle Konsequenzen haben.
Atish konnte so nicht leben und entschied sich mit ihrem damaligen Freund zur Flucht in die Türkei. Staatliche Hilfe haben sie dort nicht erhalten, aber mit drei Jahren Schwarzarbeit unter üblen Bedingungen konnten die beiden sich durchschlagen, ein gemeinsames 1-Zimmer-Apartment in Istanbul finanzieren – obwohl für Geflüchtete und Illegale extrateure Preise verlangt würden, wie Atish berichtet. Ab 2018 änderte die Türkei ihren Umgang mit Verfolgten und schob immer mehr Menschen in den Iran ab. Für die beiden bedeutete das, erneut aufbrechen zu müssen.
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Vi.
am 08.07.2023