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Protest in Oberschwaben

Klettern fürs Klima

Protest in Oberschwaben: Klettern fürs Klima
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Wer auf eine Basilika klettert, muss sich in Acht nehmen. Vor der Justiz. Zwei Klimaaktivist:innen haben das in Weingarten erlebt – aber auch Unterstützung aus kirchlichen Kreisen erhalten.

In der Nacht zum 25. September 2021 hängt es an der barocken Fassade der Basilika St. Martin in Weingarten. Ein 60 Quadratmeter großes Banner in 30 Metern Höhe, auf dem weithin sichtbar steht: "€DU unchristlich unsozial klimaschädlich". Und was passiert ein knappes Jahr später? Die Justiz will ein Exempel statuieren, die beiden Aktivist:innen, Charlie Kiehne (20) und Samuel Bosch (19), sind des Hausfriedensbruchs angeklagt, in kirchlichen Gremien dagegen finden sie Zuspruch.

Es ist etliche Jahre her, dass in einer Nacht ein Unbekannter an das mittelalterliche Gemäuer der evangelischen Stadtkirche Ravensburg sprayte: "Ihr habt die Macht. Ihr habt das Geld. Und lasst im Stich die ganze Welt." Die Kirchenverwaltung reagierte gelassen und ließ das Graffito verwittern. Von internen Diskussionen ist nichts bekannt. Nicht so im Falle der Weingartener Basilika. Es gab eine Anklage, allerdings nicht von der katholischen Kirche, die, wie ein Mitarbeiter mich aufklärte, das "große Glück hat, dass seit der Säkularisation die Basilika dem Land gehört". Die Klage kam von der Landes-Baubehörde.

Das Banner löste aus, was Kiehne und Bosch beabsichtigt hatten. "Wir ahnten, dass viele Gläubige die Aktion nicht gut finden. Aber sie war nicht gegen die Kirche gerichtet. Wir haben versucht, die Gläubigen davon zu überzeugen, dass die CDU nicht christlich handelt. In unserem Umfeld gibt es Christen, die sehen, was mit unserer Umwelt geschieht." Das Klimaverständnis der CDU sei menschenfeindlich, sagt Bosch, und, "es geht uns nicht darum, Helden zu sein, sondern Wandel zu bewirken." Die Menschen sollen die Widersprüche erkennen, meint Kiehne. Da seien christliche Politiker, die mit der Wirtschaft kungeln und nur eines kennen würden – mehr Wachstum. "Und da haben wir einen Papst, der warnt davor, dass mit dieser Art Wachstum die Erde unbewohnbar werde. Ja was denn nun? Wir wollen, dass sich die Menschen positionieren." Und da haben sie bereits mehr erreicht, als sie erwartet hatten.

"Sie haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen"

Initiiert und moderiert von der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB), fand ein langes Gespräch zwischen den beiden Klimaaktivist:innen, dem Dekanatsvertreter und Mitgliedern des Gemeinderates der Basilika in Weingarten statt. "Sie hinterließen einen bleibenden Eindruck", sagt Anja Hirscher, Beauftragte für Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit bei der KAB. "Diese jungen Menschen haben ein Zeichen für Oberschwaben gesetzt und beide Seiten profitieren voneinander, weil wir ein gemeinsames Anliegen haben."

Es entstand ein Nachhaltigkeitsausschuss für den Kirchenbereich Allgäu – Oberschwaben. "Es braucht Zivilen Ungehorsam, auch in der Kirche", meint Werner Langenbacher von der KAB. Schon immer hätten in der Kirchengeschichte nur Provokationen etwas bewirkt. Ihn beeindruckt die Ethik dieser jungen Menschen, die den Wasserspeicher Altdorfer Wald gegen den Kiesabbau verteidigen, die den Slogan "Global denken, lokal handeln" umsetzen, der eben nicht fordert, "lokal denken", sondern "lokal handeln". Was ihn beeindruckt, ist, dass sie gewaltlos handeln und gesellschaftliche Verantwortung übernommen haben. Ihre Werte, ihre Ziele entsprächen den drei großen Verlautbarungen und Themen der katholischen Kirche für das 21. Jahrhundert: Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Frieden.

Das sieht die Leiterin des Evangelischen Bildungswerkes Oberschwaben (EBO), Brunhild Raiser, mit derselben Sympathie. "Sich nicht mit allem abzufinden, sollte in einer Demokratie straffrei sein", sagt sie. Viel zu langsam, oft zu bürokratisch, reagiere die evangelische Kirche in ihrem Umfeld im süddeutschen Raum auf die Klimakrise. Die Provokationen der Klimaaktivisten sind für sie nicht nur ein kritischer Impuls von außen für ein Umdenken, für zukunftsfähigere Lebensformen, sondern stehen durchaus in bester christlicher Tradition. "Gibt es etwas Provokativeres in der Geschichte des Christentums als die vier Evangelien des Neuen Testaments?", fragt Raiser.

Da gibt es, parteiübergreifend, ein paar andere Einschätzungen. Am 27. Juli befand der Ravensburger CDU-Gemeinderat und Landtagsabgeordnete August Schuler, das Zentrum Oberschwabens brauche keine "Ökoterroristen". Charlie Kiehne erklärte dazu in einer Presserklärung zusammen mit Samuel Bosch: "Statt wie Terrorist/innen mit Bomben wahllos Menschen zu ermorden, hängen wir ab und zu ein Banner auf, führen eine Demo durch, verteilen Flyer und besetzen Wälder. Mit unserem Einsatz für einen lebenswerte Umwelt, also ein besseres Leben für alle, machen wir Protest, der den Menschen nützt – auch den CDU-Abgeordneten und ihren Kindern. Das als Terrorismus zu bezeichnen, ist einfach nur ein Armutszeugnis und verhöhnt die Opfer terroristischer Gewalt".

Christdemokrat Schuler befindet sich in guter Gesellschaft. Im vergangenen Jahr meinte die Ravensburger SPD-Gemeinderätin und Bundestagsabgeordnete Heike Engelhardt, die Sprache der Baumbesetzer und ihres Umfeldes erinnere sie an die RAF. Das war jene "Rote Armee Fraktion", die 34 Menschen ermordete, unter ihnen Generalbundesanwalt Siegfried Buback, die Banker Jürgen Ponto und Alfred Herrhausen. Eine Entschuldigung von Heike Engelhardt gab es nie.

Kanzler Olaf Scholz erinnert sich an vergangene Zeiten

Auf dem Katholikentag in Stuttgart erklärte Olaf Scholz (SPD) auf einem Podium zu Erneuerbaren Energien und dem Ende der Kohleverstromung, es sei eine Frage, "was wir dem Arbeiter und der Arbeiterin in den Tagebauen sagen über seine Perspektive." Anwesende Klimaaktivist:innen reagierten empört. Simon Helmstedt fiel ihm ins Wort. "Schwachsinn!" Die Arbeitsplätze, die da verloren gehen würden, seien durch Erneuerbare Energien "durch eine Vielzahl mehr zu gewinnen." Der Kanzler entgegnete, "diese schwarzgekleideten Inszenierungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurück liegt, und Gott sein Dank". Die Polizei entfernte die Protestierer, Simon Helmstedt weigerte sich, ein Polizist brachte ihn zu Boden, verletzte sich angeblich einen Finger. Nun erhielt er eine Vorladung zum Amtsgericht Stuttgart am 7. September. Die Justiz schöpft aus dem Vollen – Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und fahrlässige Körperverletzung. Was man für eine Marotte eines Ravensburger Staatsanwaltes halten kann, den gesetzlichen Rahmen maximal auszureizen und Klimaaktivist:innen zu kriminalisieren, scheint doch kein Einzelfall zu sein.

Am 15. August verurteilte die Richterin am Amtsgericht Ravensburg Samuel Bosch und Chris Kiehne zu je 250 Euro Geldstrafe wegen Hausfriedensbruch an der Basilika. Der Antrag des Staatsanwaltes lautete auf je 1.250 Euro. Die von ihm vorgebrachte Realsatire, das nächtliche Erklettern der Basilika zu einer strafbaren "nicht angemeldeten Versammlung" zu erklären, ließ die Richterin fallen. Sie gehen in Revision, denn, sagt der Ravensburger Anwalt Klaus Schulz, Hausfriedensbruch verlange die Überwindung eines gesicherten Gelände, das gewaltsame Eindringen in ein Gebäude. "Davon ist beim Erklettern der Basilika keine Rede", so der Jurist, "es entstand kein Schaden. Die Fassade ist kein Zaun, sie trägt das Dach."

Fassaden erklettern ist kein Hausfriedensbruch

Ein Beweis für die Fragwürdigkeit der Anklage des Staatsanwaltes in Ravensburg ist für Schulz ein Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom März 2010. Bei einem selbstorganisierten Jugendumweltkongress Ende Dezember 2008 erkletterte eine Teilnehmerin die Außenfassade des Skyper-Hochhauses und befestigte im zwölften Stockwerk ein Transparent mit der Aufschrift "Dem Kapitalismus auf der Nase herumtanzen". Nach 1,5 Stunden wurde sie von der Feuerwehr abgeseilt. Am 2. Januar 2009 kletterte dieselbe Teilnehmerin an der Fassade der Börse hoch. Die Polizei griff zu und nahm sie mehrere Tage in Gewahrsam, um einen weiteren Hausfriedensbruch zu verhindern und "zum Schutz vor Leib und Leben". Die Betroffene legte Beschwerde ein.

Das OLG Frankfurt stellte für Schulz gängige juristische Sichtweisen radikal in Frage: die erkletterten Fassaden hatten keinen Schutz gegen Hausfriedensbruch, waren somit kein "befriedetes Besitztum". Es entstand allenfalls eine "bloße Besitzstörung". Die Fassadenkletterin mit professioneller Bergsteigerausrüstung war selbst gefährdet, es gab keine Beweise für weitere derartige Aktionen. Sie in Gewahrsam zu nehmen, war somit rechtswidrig und Freiheitsentzug. Ob dieses Urteil in der Ravensburger Justiz gelesen wurde, ist nicht bekannt. "Die Sinnhaftigkeit ihres Tuns interessiert den Staatsanwalt nicht", fasst Rechtsanwalt Schulz diesen Prozess zusammen.

Fortsetzung folgt in der kommenden Ausgabe.


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3 Kommentare verfügbar

  • Reinhard Gunst
    am 01.09.2022
    Antworten
    Das Bild des Plakats ist ein Ausdruck der Zeit. Eine Botschaft in abgehackten Schlagworten genügt, um alle Kopf stehen zu lassen. Welcher kritische Impuls ist hier aber zu erkennen? Wer ist unsozial und wer ist klimaschädlich? Allein das Euro-Zeichen vor der Abkürzung DU ist süffisant.

    Nichts…
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