Peter Mielert war schon im Bezirksbeirat von Bad Cannstatt, da haben die Grünen noch in Strickpullis demonstriert. Anfang der Achtziger hat er sich das Haus an der Straßenecke gekauft, insgesamt 100 Quadratmeter Flächenversiegelung. Damals hat Mielert ausgerechnet, dass er diese Fläche in grün wieder reinholen will, heute hat er 40 Quadratmeter über Hausbegrünung geschafft, einen wilden Garten, in dem die Wege mit Gänseblümchen übersäht sind, den Rest gleichen die Hecken ums Grundstück aus. Unkraut wird hier keines gezupft und wenn er Rasen mähen will, wartet er, bis sein Sohn Fritz im Urlaub ist. Der arbeitet beim BUND und sieht Mähen nicht so gerne. "Das ist eine echte grüne Hölle hier", sagt Mielert stolz und bittet zu Kaffee und Kuchen an den Gartentisch, unter dem lauter kleine Erdbeeren wachsen.
40 Jahre lang hat er als Bezirksbeirat in Bad Cannstatt und zuletzt als dortiger Grünen-Fraktionschef Unmengen von Dokumenten gewälzt, hatte das eine Ohr an der Bevölkerung, das andere in der Politik, saß alle zwei Wochen mit den Rät:innen im Sitzungssaal. Vor kurzem hat er den Bettel hingeschmissen. Wegen Ignoranz des Stuttgarter Gemeinderats gegenüber den Bezirksbeirät:innen, weil ihm seine Grünen im Hauptgremium der Stadt mehrfach in den Rücken gefallen sind. "Jetzt reicht's."
Peter Mielert hat in Münster Bauingenieur studiert und kam nach Stuttgart, um sein Diplom zu machen. Damals lernte er den Daimler-Betriebsrat und Umwelt-Aktivisten Willi Hoss kennen, später Stadtrat Eugen Eberle, der einen suchte, der Stadtplanung konnte. Die linke Crème de la Crème der Landeshauptstadt.
Als an einem Fußgängerüberweg ein Kind überfahren wurde, gründete Mielert einen Arbeitskreis. Später ging es um einen Aktivspielplatz und Mielert wurde Bezirksbeirat im Stadtteil von Wasen, Wilhelma und VfB. Irgendwann für die Grünen, als die noch nicht Establishment waren.
Heute sagt er: "Ich war ziemlich schnell ernüchtert." Politisch waren die anderen Rät:innen "anders drauf als ich. Ich wollte weniger Autos und mehr Platz für Kinder, bessere Wohnverhältnisse." Aber weniger Autos, ÖPNV oder der Alltagsradler, sagt Mielert, interessierten doch bis heute "keine Sau".
"Hier gibt's schon Leute, die hassen mich"
Als er den Beirat verlassen hat, hat er noch eine Beschwerde nachgeschoben: Der Cannstatter Bezirksbeirat sei in wichtigen Angelegenheiten nicht gehört worden, die Verwaltung habe Anträge nicht beantwortet und damit gegen die Gemeindeordnung verstoßen. Kurz darauf bekam er einen Brief von einer Bürgerin. "Gut, dass Sie weg sind." Mielert berichtet, die Frau sei verärgert, weil sie nicht mehr mit dem Auto über die Wilhelmsbrücke fahren kann. "Hier gibt's schon Leute, die hassen mich." Die Brücke wurde Ende März als Feldversuch für Autos gesperrt, einer von Mielerts größten Erfolgen. Abends um zehn Uhr wurde sie dichtgemacht und Mielert stand mit seiner Frau und einer Flasche Sekt auf der Matte. Kurz darauf war er der erste, der über die frisch gesperrte Brücke radelte.
Mielert setzt sich ein für "identitätsstiftende Gebäude" in seinem Stadtteil, sagt er. "Die nackten Fassaden der neuen Bürogebäude – nur noch Investorenarchitektur." Vor allem den Abriss der Häuser Pragstraße findet er unmöglich. Luftfilter und Lärmschutz statt Abriss von 40 Wohnungen wollten Mielert und die SPD im Gemeinderat. Die Grünen dagegen befanden, die Sozen würden sich als "Gebäuderetter" aufspielen. Das traf Mielert ins Mark.
An seinem grünen Parteikollegen Peter Pätzold lässt er kein gutes Haar: "Ein Baubürgermeister, der sich für ortsbildprägende Gebäude nicht interessiert, ist für mich einfach enttäuschend." Auch von seinen Grünen im Gemeinderat, "früher einmal ökologisch, sozial, gewaltfrei und basisdemokratisch", ist er enttäuscht. "Die haben uns nicht bei der Pragstraße unterstützt, nicht bei der Daimlerstraße (wird bald abgerissen, d.Red.), nicht beim Erbbaurecht." In einem Blogeintrag schreibt er: "Die Stadt appelliert an die Bürgerschaft, Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen und wie handelt sie selbst?"
OB Frank Nopper hat er Ende vorigen Jahres die Anliegen des Beirats per Brief geschildert: Ein vor langer Zeit beantragter "Runder Tisch" angesichts der Schließung des Kaufhofs in Cannstatt sei nie zustande gekommen, beklagt Mielert. Die zugesagte Markthalle gebe es noch immer nicht, der Antrag 2014 zum Klimaschutz im Stadtteil sei bis heute nicht beantwortet. "Das ist der Motivation, sich in diesem Ehrenamt zu engagieren, nicht gerade förderlich", schreibt Mielert an Nopper. "Falls die Verwaltung mit der Beantwortung der sicher zahlreichen Anfragen und Anträge überfordert ist, wäre es ehrlicher, den Bezirksbeiräten zu raten, keine mehr zu stellen." Bis heute: keine Antwort.
4 Kommentare verfügbar
Waldemar Grytz
am 22.06.2022danke für Dein jahrelanges Engagement und den damit verbundenen Optimismus - aber ist diese Entwicklung (auch der Grünen) nicht seit langem abzusehen? Nicht mal die Sprüche vom "gehört werden" ändern etwas daran, daß Basisinitiativen/Regionales/lokale Vernetzung und Kompetenz…