Betrachtet man die Sache aus Belgrader Perspektive, lässt sich das Interesse leicht erkennen. Die Führung unterhalb des Präsidenten Tito will über den Fußball den nationalen Zusammenhalt stärken. Historiker Ansbert Baumann nennt es "Nation-Building in der Fremde". Sprache und Kultur der Heimat erhalten sich besser, wenn die Jugos unter sich bleiben. Das kommt Tito entgegen, er will eine geschlossene südslawische Nation. In Württemberg kommt er seinem Ideal fast näher als im eigenen Land. Auch die Gastarbeiter sind am Beginn der Jugoliga überzeugt, ihr Aufenthalt wäre nur vorübergehend. Sie sammeln sich gerne in Jugo-Vereinen: ein willkommenes Stück Heimat in der Fremde. Da der Württembergische Fußballverband keine Jugo-Teams im Spielbetrieb zulässt, organisieren sie sich eben selbst. Sie haben keine Wahl.
Wirkungstreffer gegen die Integration
Die Blockadehaltung des WFV lässt sich nur vor dem Hintergrund des Kalten Krieges erklären. Die hölzernen Verbandsverlautbarungen verdecken kaum die Ressentiments. Offenbar fürchtet sich der Verband vor roter Gefahr. Eventuelle Agitation will man im Keim erstickten. All das, obwohl Jugoslawien zu den blockfreien Staaten zählt. Obwohl sie Jugos längst aus der Bundesliga kennen: zum Beispiel Zlatko "Tschik" Čajkovski, Petar Radenković oder Branko Zebec. Alle sympathisch. Publikumslieblinge. Und erfolgreich obendrein.
Als die jugoslawischen Vereine am 21. Februar 1971 die Jugoliga gründen, spielt das dem Württembergischen Fußballverband in die Karten. Erst als der DFB deutlich darauf hinweist, dass ein ausländischer Verband auf eigenem Territorium gegen alle Gepflogenheiten verstößt, werden die Württemberger aktiv. Doch statt die Vereine zu integrieren, machen sie das Gegenteil: Sie nehmen die Steilvorlage aus Jugoslawien auf und landen einen Wirkungstreffer gegen die Integration. Die separate Jugoliga wird zementiert, indem der Verband formal ihre Organisation übernimmt. "Hauptsache, die Gastarbeiter bleiben unter sich", kommentiert Babić.
Der Liga-Separatismus ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Es funktioniert nur deshalb, weil nichts anderes erlaubt ist. Die Vereine schießen wie Pilze aus dem Boden, auch weil aus Jugoslawien immer mehr in Baden-Württemberg ankommen. Es hat sich herumgesprochen, dass Arbeit vorhanden ist. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1968 ein Anwerbeabkommen für ArbeiterInnen aus Jugoslawien abschließt, strömen die Gastarbeiter vom Balkan wie sie gerufen werden. In Baden-Württemberg sind es 200.000 im Jahr 1973. Der erste Verein formiert sich sogar schon vor dem Anwerbeabkommen: Adria Tuttlingen.
Nachdem der Gastarbeiterstrom kanalisiert wird, gründen sich Jugo-Vereine in allen Landesteilen. In Friedrichshafen nach einem großen Unternehmen "Jugometal" benannt. In Weinsberg wird der Verein Bosna getauft. Bei ethnischen Namensgebungen wie Bosna oder Croatia ist das offizielle Jugoslawien zwar nicht begeistert, doch sie werden zähneknirschend hingenommen. In Frickenhausen wird NK Marsonia gegründet. Als Initiator tritt ein gewisser Đuro Prosinečki auf, Vater von Robert Prosinečki, dem späteren Weltklassespieler.
Kein Interesse an der elterlichen Jugo-Folklore
Die Kollaboration zwischen WFV und Jugoslawien führt vorhersehbar ins gesellschaftliche Abseits. Das "Nation Building" aus Belgrad greift: Die jugoslawischen Sportskameraden melden die Ergebnisse in die Heimat. Von dort werden sie unterstützt, so gut es möglich ist. Nicht mit Geld, vor allem mit Anerkennung. Aus der Heimat treffen Trikotsätze ein. Zu manchen Freundschaftsspielen erscheinen hochrangige Funktionäre, teilweise auch Nationalspieler. Pokale und Ehrenpreise werden aus Belgrad und Zagreb gestiftet. Bei einem großen Freundschaftsspiel im Neckarstadion sind die Tribünen mit zehntausend Landsleuten besetzt. Der Termin fällt auf den Tag der Jugend, also dem mythischen Geburtstag Titos, der in der Heimat mit Sportfesten und Staffelläufen von Ljubljana bis Skopje gefeiert wird.
Die Liga boomt in den 1970ern, schon in den 1980ern beginnt sie zu brökeln. Die Gastarbeiterfamilien richten sich in ihrer neuen Heimat ein. Und was machen ihre Kinder? Bereits in der zweiten Generation geht das Interesse an der elterlichen Jugo-Folklore ab. Sie gehen in deutsche Schulen und haben deutsche Freunde. Man nennt es Integration. Manche kicken samstags in deutschen Teams und sonntags in den Jugoteams – den Eltern zuliebe. Andere spielen ausschließlich in den deutschen Vereinen. Schon vor dem Krieg im Heimatland geht der separaten Liga die Luft aus. Die Männer der ersten Stunde sind längst Fußballrentner. Gojko Čizmić resümiert: "Wir waren zwar glücklich, dass wir Fußball spielen konnten. Aber am Ende waren wir überall integriert. Nur nicht im Sport."
Diesem Fazit stimmt auch Luka Babić zu. Für ihn bedeutet die Beschäftigung mit der Jugoliga weit mehr als ein Fenster in die Vergangenheit seiner Eltern zu öffnen. Er hebt die aktuelle, gesellschaftliche Relevanz hervor: "Wollen wir das Fundament für eine sozial nachhaltige Gesellschaft legen, müssen wir aus den eklatanten Fehlern der Jugoliga lernen. Wir können Neuankömmlingen nicht Türen versperren, nur um uns danach zu echauffieren, sie würden nicht mit uns gemeinsam am Tisch sitzen."
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Gerald Fix
am 06.12.2021