Wunrams Buch ist vor acht Jahren erschienen. Viel getan hat sich seither nicht. Zwar wurde kurz darauf ein weiterer, zehn Kilometer langer Nacktwanderweg in der Lüneburger Heide eröffnet. Seither aber stagniert die Entwicklung. "Der Trend geht leider in die konservative Richtung", sagt Wunram, "gerade bei jüngeren Leuten."
Auch seien es vor allem die Männer, die ihre Kleidung ablegen: "Ich denke, dass viele Frauen leider ein Problem mit ihrem nackten Körper haben, weil er nicht so aussieht wie in vielen Zeitschriften. Männer machen sich darüber wahrscheinlich keine Gedanken."
Angezogen beim Tag der offenen Tür im Nudistenverein
Dass sich unser Verhältnis zur Nacktheit in nächster Zeit entspannt, erscheint eher unwahrscheinlich. Manche mögen dafür muslimische Einwanderer verantwortlich machen, die nach dem Sport nur noch in Badehose duschen oder mit Burkinis das Gegenteil von FKK repräsentieren. In Wahrheit ist die Feindlichkeit gegenüber nackter Haut aber auch im westlichen Zeitgeist tief verankert.
Die USA treiben diesen Trend auf die Spitze: Mit Gewaltszenen haben die meisten Internetplattformen kein Problem. Sobald aber bei Facebook eine Frau ohne Bikini auftaucht, wird der Account gesperrt. Kein Wunder also, dass auch in Europa den Menschen die Lust an der Natürlichkeit vergeht: Das viel gepriesene Pariser Nackt-Restaurant "O’Naturel" musste Anfang des Jahres schließen, weil kaum noch Gäste kamen.
Ganz verloren ist die Hoffnung für Nudisten dennoch nicht. Ihr größter Verein, der Deutsche Verband für Freikörperkultur (DFK), vermeldet sogar steigende Mitgliederzahlen. Der Vorsitzende Wilfried Blaschke, 60, spricht von einem Zustrom besonders in städtischen und stadtnahen Gebieten. "Auf dem Land ist es eher anders herum", sagt Blaschke und zieht einen Vergleich mit Homosexualität: "Nach außen hin ist sie akzeptiert, aber hinter vorgehaltener Hand wird oft noch getuschelt. Auch uns halten viele für Verrückte."
Er selbst habe lange überlegt, wie er sich bei öffentlichen Auftritten des Verbands präsentiert, erzählt der Vorsitzende. "Zu Hause denke ich nicht daran, die Vorhänge zuzuziehen, aber wenn ich nach dem Schwimmen die Sieger ehre?" Am Ende hätten sich einige Nacktschwimmer sogar darüber moniert, dass er bekleidet gewesen sei. "Manche sind da liberaler, andere nicht", sagt Blaschke. So gebe es im Verein durchaus Mitglieder, die im Urlaub nicht den ganzen Tag nackt herumliefen. "Beim Tag der offenen Tür ist es fast ein wenig paradox. Da sind die meisten von uns bekleidet, um niemanden zu verschrecken. Wir wollen niemanden missionieren."
Der Zukunft blickt Blaschke mit gemischten Gefühlen entgegen. Er selbst ist Banker und geht in Frankfurt offen mit seinem Hobby um. "Auf dem Land wird die Mitgliedschaft dagegen oft noch verschwiegen", sagt der Verbandspräsident. Nacktwanderer seien übrigens nur eine Randgruppe im DFK. "Das ist schon etwas Besonderes. Viele von uns bleiben eher unter sich, während Nacktwanderer in die Öffentlichkeit gehen." Was nun besser ist? "Das entscheidet jeder selbst."
Ralf will die Luft auf der Haut spüren
Zurück auf dem Harzer Naturistenstieg. Am späten Vormittag schlendert Ralf, 50, durch den Wald, bekleidet nur mit Sandalen und einem Turnbeutel. Auch er möchte anonym bleiben, verrät aber, dass er aus dem Ruhrgebiet stammt und mehrmals pro Jahr auf einem der beiden Nacktpfade in Deutschland wandert. "Es ist wirklich schön hier", sagt der braun gebrannte Mann, der nach eigenen Angaben meist alleine unterwegs ist. "Solche Wege liegen immer abseits der touristischen Hotspots. Wir wollen ja niemanden verschrecken."
Auf Begegnungen mit der Textil-Fraktion angesprochen, berichtet Ralf von netten Gesprächen. Nur selten reagierten andere Wanderer abweisend. "Natürlich fühlt man sich nicht immer willkommen", sagt der 50-Jährige und zeigt auf mehrere umgestürzte Bäume, die den N-Weg blockieren. "Manchmal frage ich mich, ob die Sturmschäden durch das Forstamt absichtlich noch nicht beseitigt wurden."
Dann wischt Ralf den Gedanken beiseite. "Die Luft auf meiner Haut zu spüren, bereitet mir immer gute Laune", sagt der 50-Jährige. Seine größte Sorge an diesem Tag? Ein Sonnenbrand. Denn "ich trage doch nichts, was mich schützt."
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Thomas Schöffel
am 02.09.2019