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Die Riot Girls der Mietmisere

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Es brodelt in Stuttgart. Mieten sind teuer, Wohnungen rar, Immobilienhaie reißen sich Mehrfamilienhäuser unter den Nagel, und Vermieter haben kein Herz. Die Stadt? Kümmert sich wenig. Und weil es langsam langt, formiert sich eine breite Bewegung für anständige Mietverhältnisse. Vorne mit dabei: vier starke und laute Frauen.

Es klingt wie Hohn. Wer Stefanie Schädel im Netz sucht, findet zuallererst die Seite "Jeder-kann-immobilien.de" mit Tipps und Tricks für Menschen, die mit Immobilien Geld machen wollen. Passives Einkommen nennt man das – Gelderwerb, ohne dafür zu arbeiten. Doch die Stephanie Schädel, um die es hier geht, hat ein ganz anderes Problem mit Immobilien: Alleinerziehend und Mutter von vier Kindern, kann sie seit dem vergangenen Montag jederzeit aus ihrer Wohnung befördert werden. "Ich schlafe kaum noch", sagt sie am Telefon. Vor einiger Zeit hat sie die Petition <link https: www.change.org p gnadenlos-vermieter-wirft-alleinerziehende-mutter-mit-4-kindern-aus-der-wohnung _blank external-link-new-window>"Gnadenlos! Vermieter wirft Mutter mit 4 Kindern aus der Wohnung" geschaltet. Nun müsse sie in ein Sozialhotel ziehen, schreibt Schädel im Petitionstext, der ordentlich auf die Tränendrüse drückt, ihre Kinder fragten schon, wann sie obdachlos seien. Diese Stephanie Schädel hat die Schnauze voll.

Bisher hat sie 950 Euro kalt für ihre 105 Quadratmeter in Stuttgart-Degerloch bezahlt. Degerloch selbst ist ein teures Pflaster, da sind 1200 Euro warm ein guter Fang, und es ist schwierig, dafür einen Ersatz zu finden. Seit fünf Jahren lebt sie in der Wohnung, immer wieder gab es Probleme mit der Miete, mehrfach kündigten die Vermieter, mehrfach zogen sie die Kündigung zurück, mehrfach bog es Frau Schädel wieder gerade, so erzählt es der Rechtsanwalt der Hauseigentümer, aber das Verhältnis scheint zerrüttet. Letztendlich unterzeichnete Stephanie Schädel einen Vergleich mit den Eigentümern, dass sie innerhalb von zehn Monaten die Wohnung räumt. Um Zeit zu gewinnen für die Wohnungssuche, sagt sie. Möglichst in Stuttgart-Degerloch soll die sein, denn der eine Sohn geht hier zur Schule, der andere in den Sportverein, die Familie lebt gerne hier.

Niemals hätte sie den Vergleich unterschrieben, hätte sie gewusst, wie aussichtslos ihre Suche sein würde, sagt Schädel heute. Anfragen bei Online-Mietanzeigen blieben grundsätzlich unbeantwortet, auf selbst geschaltete Wohnungsgesuche meldeten sich ausschließlich selbst von Rauswurf oder Kündigung Betroffene, kein einziger Anbieter einer Wohnung.

57 000 Menschen gegen Rauswurf

Stephanie Schädels Geschichte trifft so sehr ins Schwarze, dass mittlerweile fast 58 000 Menschen bundesweit ihre Petition unterzeichnet haben. Betrachtet man sie als einen Seismographen, bebt es ordentlich in der Mieterszene.

Die Degerlocherin ist eine von mittlerweile mehreren Frauen, denen es langsam aber sicher reicht mit der Mietsituation in Stuttgart. Adriana Uda, Rosevita Thomas, Tanja Klauke und Stephanie Schädel sind inzwischen oft gemeinsamen auf Fotos oder Veranstaltungen zu sehen. Rosevita Thomas <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik diese-wohnung-ist-besetzt-5066.html _blank external-link>verlor ihre Wohnung wegen Eigenbedarf, heute ist dort, wo sie mal gewohnt hat, ein Architekturbüro eingezogen.

Adriana Uda hat genug davon, mit ihrer kleinen Familie <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik in-die-enge-getrieben-5339.html _blank external-link>auf 43 Quadratmetern zu hausen. Tanja Klaukes Wohnung wurde nach einem Eigentümerwechsel plötzlich <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft wo-soll-das-alles-enden-5760.html _blank external-link>mehr als doppelt so teuer, und ihr Haus ist nicht das einzige, das betroffen ist in der Stadt. Sie alle kennen die Suche zur Genüge, sie mögen ihre Kinder nicht mehr rechtfertigen, nicht mehr mit Dutzenden anderen Interessenten um eine Wohnung konkurrieren, die dann sowieso weg ist.

Und was am wichtigsten ist: Keine von ihnen kann die mittlerweile gesponnen hohen Mieten bezahlen, die in Stuttgart vielerorts gefordert werden.

Nun sind die vier Frauen zu so etwas wie den Riot Girls der Stuttgarter Aufständischen gegen Wohnungsnot und Mietwahnsinn geworden. Sie setzen auf Aktion und Druck durch Öffentlichkeit. Die einen durch Hausbesetzungen, die anderen durch Öffentlichkeitsarbeit per Demo oder Kundgebung. Derzeit mobilisieren sie <link https: www.mietendemo-stuttgart.de unterstuetzerinnen external-link-new-window>für die große Mieterdemo am kommenden Wochenende – gemeinsam mit Stuttgarter Prominenz von Kontext-Interviewer Stefan Siller bis zum Filmemacher-Ehepaar Sittler (<link https: www.kontextwochenzeitung.de editorial edi-5824.html external-link-new-window>siehe Editorial).

Immobilienbesitzer sind nicht zu sprechen

Wer sich bei alledem weg duckt, sind vor allem die Vermieter und Hauseigentümer. Für Medien sind die Eigentümer des Hauses von Stephanie Schädel nicht zu erreichen, auch der Hausverwalter sperrt sich gegen ein Gespräch – er habe die Hausverwaltung zum 1. April abgegeben. Der Anwalt der Eigentümerinnen sagt, die Erbengemeinschaft sei überfordert von der plötzlichen Öffentlichkeit. Auch die Immobilienfirma Schwäbische Bauwerk, die Tanja Klauke und weitere MieterInnen anderer Immobilien (<link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft das-kaemmerle-muss-geraeumt-werden-5794.html _blank internal-link-new-window>Kontext berichtete) exorbitant die Mieter erhöht hat, bleibt resistent gegen Nachfragen. Selbst gegen Vermittlungsversuche der Abteilung Wohnen des Rathauses. Man habe schon mehrfach versucht beim Eigentümer für eine "sozialverträgliche Lösung" einzutreten aber "leider geht er nicht auf unsere Kontaktversuche ein".

Die WS Real Estate bleibt ebenfalls sprachlos, eine Frau knallt beim Ortsbesuch empört die Büro-Tür zu, eine öffentlich zugängliche Telefonnummer oder Mailadresse gibt es nicht. Der Firma gehört das Haus in der Forststraße 140, <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne schoener-wohnen-in-der-forststrasse-5796.html _blank internal-link-new-window>das fast drei Wochen lang von Hausbesetzern bewohnt wurde. Zweimal waren Gespräche angesetzt, mit Vertretern der Stadt, dem Anwalt der Eigentümer und den BesetzerInnen. Zweimal sind sie geplatzt, weil sich die Vermieter dann doch nicht aus der Deckung wagen wollten. Am Donnerstag vergangener Woche wurde das Haus geräumt.

Warum aber ist die Stadt nicht eingeschritten wegen Zweckentfremdung, die in Stuttgart maximal ein halbes Jahr Leerstand zulässt? Das Haus ist von der WS Real Estate laut Medienberichten erst im Sommer 2018 gekauft worden, Vorbesitzer war die Süddeutsche Immobilienwerte AG. SDIW, wie sich die Ludwigsburger Firma nennt, lässt über eine Woche lang nur den Anrufbeantworter sprechen, auf die von der freundlichen Frauenstimme vom Band erbetene Email mit Bitte um Rückruf meldet sich keiner. Zumindest Büro-Räume gibt es wohl, das zumindest bestätigen Leute, die im selben Gebäude arbeiten.

Nichts passiert auch bei der Firma Dynkl Immobilien in Stuttgart – die Frauenstimme klingt ähnlich, sagt nahezu das selbe, die Geschäftsführer sind dieselben wie in Ludwigsburg – auch hier: auf allen Kanälen niemand zu erreichen. Dabei wäre es doch gerade interessant gewesen, warum sie nach Erwerb der Immobilie nicht renoviert und vermietet haben, wo Leerstand ohne Grund doch eigentlich verboten ist.

"Es ist nicht unser Ziel zu bestrafen", lässt Rathaus-Sprecher Sven Matis wissen. Stuttgart setzt da eher auf Vermittlung und freundliche Hinweise. Möglicherweise aber ist die Abteilung Zweckentfremdung mit drei Mitarbeitenden einfach unterbesetzt. Zum Vergleich: Im durchsetzungsstarken München sind 29 Leute zuständig, Wohnungen vor Missbrauch zu schützen. "Weil es uns wichtig ist", sagt eine Sprecherin der Stadt. In der Isar-Metropole gibt es sogar eine "Task Force Ferienwohnung", besetzt alleine mit sieben Mitarbeitenden, die sich beispielsweise um Anbieter wie Airbnb kümmern und im Kampf um jeden Quadratmeter sogar vor Gericht ziehen.

Die Stadt kümmert sich kaum

In Stuttgart stand im vergangenen Jahr vor allem die <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik wir-sind-alle-wilhelm-raabe-strasse-4-5125.html _blank internal-link-new-window>Wilhelm-Raabe-Straße 4 im Fokus der Öffentlichkeit. Bis heute stehen die beiden Wohnungen dort leer. "Die Eigentümer müssen sanieren, unter anderem die Eingangstüren entsprechen nicht den rechtlichen Vorgaben", erklärt Sven Matis von der Stadt. Die Arbeiten seien beauftragt und sollen demnächst beginnen. Das Amt achte auf die Umsetzung. Auch in der Forststraße soll nun nach jahrelangem Leerstand renoviert werden, lassen die Eigentümer über ihren Anwalt wissen. Man habe damit doch sowieso im April anfangen wollen. An so viel Zufall mag man kaum glauben. Es bleibt zu hoffen, dass das Stuttgarter Rathaus dem mit offeneren Augen folgt als in der Wilhelm-Raabe-Straße.

Wer auf jeden Fall die Augen offen halten und die Öffentlichkeit über den Fortgang informieren wird, sind die vier Frauen, die sich stark machen für eine lebenswerte und bezahlbare Stadt, in der auch Menschen mit durchschnittlichem Einkommen, mit Kindern oder Haustieren Platz haben. Und vielleicht sogar solche, die wie Stephanie Schädel nicht jeden Monat pünktlich zum ersten um zwölf Uhr mittags ihre Miete überweisen können. Ein bisschen Flexibilität schadet auch Hausbesitzern und Immobilienverwaltern nicht.


Die Demonstration
"<link https: www.mietendemo-stuttgart.de noch-10-tage-bis-zur-demo-das-programm-steht-fest external-link-new-window>Druck im Kessel – Bezahlbare Mieten für alle" beginnt am Samstag, 6. April, um 14 Uhr am Stuttgarter Schlossplatz.  

Wohnungsnot im ganzen Land

Wohnen ist mehr als ein Dach überm Kopf. Es ist ein Menschenrecht – oft nur auf dem Papier. MieterInnen werden ausgepresst. Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

<link internal-link-new-window>Zum Dossier


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7 Kommentare verfügbar

  • Robert Rupp
    am 04.04.2019
    Antworten
    Vielleicht sollte Frau Schädel einsehen, dass wenn man selbst nicht berufstätig ist und um die Miete zahlen zu können auf Alimente angewiesen ist, Stuttgart einfach zu teuer ist. Damit will ich nicht abstreiten, dass Wohnungen immer teurer werden, aber man muss auch etwas Flexibilität zeigen. Wenn…
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