War man sich irgendeiner Schuld bewusst?
Die individuelle Beteiligung am mörderischen Nationalsozialismus wurde beschwiegen, einzig über die Entnazifizierungsverfahren der Alliierten wurden ironische Witze gerissen. Die Narren waren eben auch nur normale Deutsche. Nein, man war sich keiner Schuld bewusst, hatte, nach eigener Wahrnehmung, höchstens aus Zwang "mitgemacht", und letztlich fühlten sich alle als Opfer Hitlers. Das Kuriose daran: In den Narrenkonzerten nach 1949 saßen auch die französischen Besatzungsoffiziere und waren hellauf begeistert von dieser durchweg fröhlichen, musikalisch mitreißenden Fasnacht mit den vielen hübschen Konstanzerinnen. In dieser Atmosphäre machte Willi Hermann seine zweite Karriere. Keiner fragte mehr nach seiner Vergangenheit, übrigens wohl auch nicht beim renommierten Stockacher Narrengericht.
Gab es in den Narrengesellschaften eine historisch-kritische Aufarbeitung der NS-Jahre?
Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Als ich in den frühen 1980er-Jahren als junger Student für den Südkurier eine erste Serie über die Nachkriegsfasnacht schrieb, stieß ich in etlichen Narrengesellschaften nur auf ehemalige "Widerstandskämpfer", die sich gegen die Zumutungen des NS-Regimes gewehrt haben wollten. Sie waren in ihrer Selbstwahrnehmung alle gegen "die Nazis" gewesen. In den wenigen erhaltenen Texten der Büttenreden der 1930er-Jahre fanden sich jedoch nur ein paar Scherze gegen die NS-Kommunalpolitik, aber eben auch Witze auf Kosten derer, die ins KZ Heuberg geschleppt worden waren. Die Gesellschaft der 1950er-Jahre war auch im Südwesten restaurativ, sie pflegte einen selbstmitleidigen, sentimental-rückwärtsgewandten Humor. Erst der etwas jüngere Helmut Fasnacht schlug andere, politischere Töne an. In einem psychologischen Sinn hielten es die schweigsamen Täter und Opportunisten der NS-Zeit mit dem Narrenspruch "Gell, Du kennsch mi it!"
Wäre die Darstellung der Fasnacht nicht das klassische Thema für die Konstanzer Museen?
In den vergangenen 30 Jahren habe ich mehrfach über die jüngere Geschichte der Fasnacht publiziert, das kam bei den damaligen alten Narrenfunktionären meistens nicht gut an. Heute ist das anders, die Narrengesellschaften unterstützen uns bei historischen Forschungen. Seit rund einem Jahrzehnt sammelt das Team des Rosgartenmuseums nun zielgerichtet in Familien und Vereinen Dokumente, Fotoalben, Orden, Kostüme zur vielfältigen, viel mehr als nur die NS-Zeit umfassende Epoche der Konstanzer Saal- und Bühnenfasnacht. Wir erforschen die Spanne vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Dazu wird auch die biografische Archivrecherche zu den Akteuren gehören. Daraus werden wir in den nächsten Jahren eine große Ausstellung und ein Buch machen, aber gründliche Forschung braucht halt etwas Zeit.
Der vorliegende Text erschien zuerst im Bodensee-Onlinemagazin <link https: www.seemoz.de _blank external-link-new-window>Seemoz.
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