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Der unbequeme Heimatdichter

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Seit Jahren sorgt der Autor Gerd Zahner mit seinen Stücken über die NS-Vergangenheit der Bodenseeregion für Gesprächsstoff. Er schont dabei niemanden und will vor allem eines: Dass die Menschen endlich aus ihrer Geschichte lernen.

Manchmal muss man mit dem Hass leben, sagt Gerd Zahner. So wie damals, als er das Stück über Hans Robert Jauß geschrieben hat. Darin hatte Zahner nahegelegt, dass die Ikone der Linguistik und einer der Säulenheiligen der Universität Konstanz sich in der Nazizeit schuldiger gemacht habe, als er zeitlebens selbst behauptet hatte. Sein Stück "Die Unerwünschten" rückte Jauß in die Nähe eines Kriegsverbrechers.

Historisch zweifelsfrei nachgewiesen wurde das bislang nicht. Nach der Aufführung im Audimax der Konstanzer Universität vor drei Jahren hat Gerd Zahner einige eher, vorsichtig formuliert, unschöne E-Mails bekommen. Der 60-Jährige hat das durchgestanden. "Kein Problem", sagt er, wenn er mit einer Recherche und einem Stück mit sich im Reinen sei, dann könnten die anderen machen, was sie wollen, "das ist mir vollkommen egal".

So viel Coolness vermutet man nicht hinter der Fassade: Graues, wallendes Haar, modische Brille, Schal um den Hals, sanfte Stimme – Gerd Zahner ist auf den ersten Blick nicht unbedingt der Typ knallharter Aufdecker, eher der zerzauste Professor. In Konstanz gilt er auch ein bisschen als verschrobener Kauz. Tatsächlich hat sich der Theatermacher in der Bodenseeregion in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht als unermüdlicher Erzähler der unbequemen Heimatgeschichten. In Singen hat er großen Unternehmen wie Maggi und Georg Fischer den Spiegel vorgehalten, wie sie mit Zwangsarbeitern in der NS-Zeit umgegangen sind, in Radolfzell hat er die Geschichte einer in der Stadt lieber vergessenen alten SS-Kaserne wieder aufgerollt, in Tengen hat er mit "Der alte Weg" an das Schicksal eines polnischen Zwangsarbeiters erinnert, der kurzerhand an einem Baum aufgeknüpft wurde, weil er angeblich ein Mädchen aus dem Dorf geküsst haben soll. Widerstände gab es überall gegen diese Aufführungen, meistens konnte Zahner die Entscheider am Ende von der Notwendigkeit der Projekte überzeugen.

Ein Workaholic, der die Vergangenheit ausgräbt

Was ist das für ein Mensch, der seine Heimat so unnachgiebig an ihre Vergangenheit erinnert? Gerhard Zahner, geboren 1957 in Singen. Er wächst in normalen Verhältnissen auf. Sein Vater ist Angestellter, seine Mutter bleibt Zuhause und kümmert sich um die Kinder. Als Schüler schreibt er für Lokalzeitungen, nach dem Abitur geht er nach Freiburg und studiert Jura. Danach kommt das Referendariat in Berlin. Dort bleibt er nur ein paar Jahre. Danach entscheidet er sich, wieder zurückzugehen in den Südwesten, in seine Heimatstadt Singen. Die lokale Verwurzelung ist stark, seine Anwaltskanzlei eröffnet er trotzdem in der Nachbarstadt Konstanz. Fachgebiete: Straf- und Familienrecht. Die Kanzlei läuft. "Wir setzen Ihre Ansprüche mit Konsequenz und Zielstrebigkeit durch", wirbt der Anwalt im Internet. Seine Kanzlei firmiert unter "Gerhard Zahner". Zum Gerd wird er nur als Autor, "meine Mutter hat mich Gerd genannt, das ist was Privates", sagt er.

Die Schreiberei gibt er trotz vollem Anwaltskalender nie auf. Abends, nachts, an Wochenenden, Zahner ist ein Workaholic. Ein Thema, das ihn einmal gepackt hat, lässt er so schnell nicht wieder los. Dass er sich dabei so intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt hat auch mit seiner Familiengeschichte zu tun. Sein Vater, selbst kein überzeugter Nazi, kam traumatisiert aus dem Krieg nach Hause. Über seine Erlebnisse hat er nie gesprochen. Die Kinder merken nur, dass etwas anders ist, weil sie bei Feuerwerk draußen jetzt immer die Fenster schließen müssen. Der Vater kann sonst nicht schlafen. Zum Erweckungserlebnis wird aber etwas anderes.

Als junger Mann liest Gerd Zahner ein Buch. Darin findet er die Geschichte von Nachbarn und Freunden seiner Eltern. Sie hatten verfolgten Menschen während der NS-Zeit als Fluchthelfer gedient. Der Mann landete vorübergehend im KZ, aber in Zahners Elternhaus wurde all das nie thematisiert. "Es herrschte ein Dogma des Schweigens und ich weiß noch, dass ich es damals als entwürdigend empfunden habe, nichts über die Geschichte unserer Freunde zu wissen", sagt Zahner. Es war der Ausgangspunkt von allem weiteren Schreiben. Zahner wollte das Schweigen brechen. Er wollte über die Untaten und vom Leid der Opfer berichten, "denn wenn alles beschwiegen werden kann, ist alles irgendwie gleich. Es relativiert Dinge, die man nicht relativieren kann".

Der Zuschauer soll seine eigene Wahrheit finden

Mit seinen Projekten ist Gerd Zahner in der Bodenseeregion inzwischen bekannt, manchmal sogar auf der Straße. Aber kaum einer kennt ihn so gut wie Walahfrid Schrott. Sie haben dieselbe Schule besucht, haben die Sommer gemeinsam im Freibad verbracht, kennen sich seit Jugendtagen. "Der Gerd hatte schon immer ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, er hielt immer zu den Schwächeren", erinnert sich Schrott. Das zeige sich auch heute noch in seiner Arbeit als Autor, er wende sich den Opfern zu, wolle ihnen so etwas wie späte Gerechtigkeit ermögliche. "Er hat ein Gespür für lokale Themen, er gräbt immer wieder Dinge aus, die noch nicht so richtig bekannt sind. Gerd ist im besten Sinne ein Chronist unserer Region mit dem Talent, die Geschichten so aufzubereiten, dass sie die Menschen berühren, zu Diskussionen führen und einen Prozess in Gang setzen", sagt Schrott. "Schreiben ist seine Berufung, ich glaube, wenn er davon leben könnte, würde er die Juristerei an den Nagel hängen." Ob er nicht auch manchmal nerve mit seiner Vergangenheits-Besessenheit? "Nein, gar nicht. Gerd ist ein unverbesserlicher Optimist, der daran glaubt, dass wir aus unserer Vergangenheit lernen können und müssen. Deshalb macht er das alles", ist der Weggefährte überzeugt.

Gerechtigkeitsjäger, Vergangenheitsbewältiger, Volksaufklärer, es gibt viele Etiketten, die man Gerd Zahner aufkleben könnte. Der Autor selbst winkt ab, die Beurteilung überlasse er anderen, aber die Sache mit der Gerechtigkeit sei schon ein wichtiger Punkt. "Gerechtigkeit beruht auf Wahrheit. Dazu versuche ich mit meinen Stücken beizutragen. Dinge so aufzuschreiben, wie sie waren, ohne den Zeigefinger zu erheben. Ich biete etwas an, aber der Zuschauer muss aus der Geschichte seine eigene Wahrheit finden", erklärt Zahner.

Dass mit der Wahrheit ist natürlich so eine Sache. Von Historikern ist Zahner immer wieder angegangen worden, dass er nicht exakt arbeite, nicht alle Fakten historisch korrekt wiedergebe. Auch in der Auseinandersetzung um das Hans-Robert-Jauß-Stück. Ein von der Universität Konstanz in Auftrag gegebenes Gutachten kam 2015 zu dem Schluss, eine individuelle Tatbeteiligung von Jauß sei zwar nicht nachzuweisen; "es ist jedoch völlig ausgeschlossen, dass Jauß von den Verbrechen keine Kenntnis hatte." Er verstehe die Historiker-Kritik, sagt Zahner, aber er mache die Dinge eben auf seine Art. "Ich sehe ein System, eine Farbe und die will ich zeigen", sagt er. In seinen Stücken greift Zahner einzelne Situation heraus, die dann auf das große Ganze verweisen sollen. Das Pars-pro-toto-Prinzip. Zahners Sprache changiert von poetisch bis rätselhaft. Für Regisseure, die damit arbeiten sollen, ist das eine Herausforderung.

Intensive Erlebnisse auf der Theaterbühne

Anna Hertz, Regisseurin und Schauspielerin unter anderem am Theater Konstanz, hat in den vergangenen Jahren mehrere Projekte mit dem Singener Autor gemacht. "Es ist ihm schon wichtig, dass man seinem Stoff gerecht wird. Wenn er einem vertraut, dann kann er sich aber auch rausnehmen und einen machen lassen", sagt Hertz bei einem Cappuccino in einem Konstanzer Café. Zuletzt haben sie gemeinsam die Geschichte des polnischen Zwangsarbeiters auf die Bühne gebracht, der in der NS-Zeit gehängt wurde. Sehr intensiv sei diese Erfahrung gewesen, "wahrscheinlich das intensivste Theatererlebnis, das ich je hatte", sagt die Regisseurin. Was die Arbeiten von Zahner so besonders mache? "Er öffnet Türen für die Menschen, gemeinsam an ihrer Geschichte zu arbeiten", sagt Hertz.

Diese Geschichte, das ist bei Gerd Zahner vor allem der Nationalsozialismus. Und das hat nicht nur mit dem beharrlichen Schweigen seines Vaters zu tun. Zahner hat in den Geschehnissen von damals ein Muster erkannt, eine Matrix mit Strukturen, die sich immer und immer wiederholten: "Der Nationalsozialismus liefert eine Blaupause für den Schrecken", sagt Zahner. Das treibt ihn an. Das Fatale für ihn: Radikale Kräfte auf der ganzen Welt hätten dies auch erkannt und kopierten nun die Strukturen. Das Spektrum reiche dabei von muslimischen Fundamentalisten bis zu rechtsradikalen Strömungen. Auch der sogenannte Islamische Staat (IS) habe die Methoden der Nazis übernommen. Deshalb ist er überzeugt: "Es ist nur eine Frage der Zeit bis wir in den früheren Gebieten des IS beispielsweise Massengräber von Zwangsarbeitern finden, so wie wir sie damals nach dem Zweiten Weltkrieg gefunden haben." So lange die Menschen nicht aus diesen Mustern lernten, will er weiter schreiben und dazu beitragen, dass diese Matrix entschlüsselt wird, "damit niemand mehr darauf reinfällt".

Bis es so weit ist, helfe nur, sich den radikalen Kräften entgegenzustellen und eine Gegenidee zu entwickeln. Wie die aussehen könnte? "Ich finde zum Beispiel, Flüchtlinge aufnehmen ist eine Gegenidee zu Flüchtlinge umbringen." Humanität als Antwort auf Radikalität? "Ja, daran glaube ich", sagt Zahner.

 

Info:

Im Juli 2017 wurde Gerd Zahns neuestes Stück zur NS-Zeit, "Der alte Weg", in Watterdingen uraufgeführt. Eine kurze Doku über die Produktion gibt's <link https: www.youtube.com _blank external-link-new-window>hier.


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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 7 Stunden
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