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Das perfekte Bahnmaskottchen

Das perfekte Bahnmaskottchen
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Seit einem Vierteljahrhundert bespaßt eine tierische Comic-Figur der Deutschen Bahn baustellengeplagte Verspätungsopfer. Doch das kumpelhafte Grinsen des flauschigen Blindbohrers täuscht: Max Maulwurf ist gestaltgewordene Geringschätzung.

Eines vorweg: Die Fehde ist eine persönliche. Wer regelmäßig auf der Bahnstrecke Stuttgart-Mannheim unterwegs ist, dem dürften die Unzulänglichkeiten permanent überfüllter Züge und zuverlässiger Verspätungen hinreichend bekannt sein. Mit der Zeit tritt ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Und dennoch kann es ärgerlich sein, wenn aus den vorsorglich einkalkulierten fünfzehn Minuten plötzlich eine Stunde wird, weil überraschend eine Baustelle auftaucht, mit der vorher natürlich niemand rechnen konnte. Wie auch. Schließlich gibt es sie erst seit wenigen Monaten.

Entsprechende Durchsagen führen unter Garantie zu gequältem Gelächter, ernsthaft verwundert zeigt sich hingegen kaum jemand: Um enttäuscht zu werden, braucht es wenigstens ein Mindestmaß an Erwartungen.

Doch dann das! Als wäre man mit Verspätungen nicht schon genug gestraft, läuft der Zug endlich am Ziel ein, und wer lauert hier? Ein Maulwurf mit Warnweste, Badehose und Schwimmflügeln, der zum Sprung in die Baugrube ansetzt. "Auch in diesem Jahr erwartet uns ein Meer aus Baustellen", steht da doch tatsächlich neben der Illustration. Offensichtlich ist es notwendig, dem geschundenen Verspätungsgeplagten die verkehrsplanerische Inkompetenz der Deutschen Bahn noch ein bisschen derber unter die Nase zu reiben.

Das Übel hat einen Namen: Max Maulwurf. Augenscheinlich ein sympathisches Kerlchen, mit kumpelhaftem Grinsen und flauschigem Fell. Doch der Schein trügt. Hinter der Comicfigur verbirgt sich ein perfider Plan. Wann immer es baustellenbedingt zu Fahrtausfällen kommt oder ganze Haltestellen nicht mehr angefahren werden, dann verkündet Max die Hiobsbotschaften – und lenkt damit den Zorn von den realen Chaosverursachern ab. PR-Experten adeln Max Maulwurf als "Beschwichtigungsmedium", und das ist wohl die Therapie der Zukunft: Wutattacken mit höhnischen Kommentaren heilen.

Warum einfach, wenn es auch mit Tunneln geht?

Wie schön wäre das, wenn Max es einfach seinen Artgenossen gleichtäte und sich tief in die Erde verkriechen würde! Aber nein, an nahezu jedem Bahnhof der Republik belästigt er arglose Reisegäste mit seinen Kalauern. Und das schon fast seit einem Vierteljahrhundert. Als jemand besonders kreativ wurde, hat er Max ein paar Hasenohren verpasst: "Über Ostern ist mit einer heftigen Vermehrung unserer Bauarbeiten zu rechnen", steht daneben. Auf einem anderen Plakat starrt die Comedy-Koryphäe in eine Glaskugel und prophezeit: "Ich sehe dieses Jahr viele Baustellen auf ihrem Weg." Prima, ein zeitloser Klassiker. Gerüchten zufolge soll die gesamte Chefetage gejubelt haben: "Endlich arbeitet hier jemand kosteneffizient! Das können wir nächstes Jahr gleich wieder bringen."

Mit offensivem Humor auf eigene Unzulänglichkeiten hinzuweisen, überzeugt ungefähr so lange, wie es sich dabei um Einzelfälle handelt. Und als Max Maulwurf erstmals 1994 auf Berliner S-Bahn-Fahrer losgelassen wurde, war "pünktlich wie die Deutsche Bahn" noch keine Beleidigung. Inzwischen steht das Unternehmen aber kurz vor der Überschuldung. Während es auf vorhandenen Strecken an allen Ecken und Enden klemmt, verschlimmern wahnwitzige Bauprojekte die wirtschaftliche Lage. Nachdem in Rastatt das verwegene Vorhaben, drei Meter unter vorhandenen Gleisen einen Tunnel zu graben, <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne der-schienen-gau-4546.html _blank external-link>grandios scheiterte und die Decke einbrach, ging nicht nur <link https: www.kontextwochenzeitung.de zeitgeschehen requiem-fuer-wilhelmine-4821.html _blank external-link>ein 18 Millionen teurer Bohrer verschütt. Die anschließende Streckensperrung verschuldete einen Gesamtschaden von 2,2 Milliarden Euro. Ein Tunnel nur drei Meter unter den Gleisen – wer kommt auf so eine wahnwitzige Idee? War es Max der Maulwurf?

Wann immer die Möglichkeit besteht, einen unsinnigen Tunnel zu bauen, scheint die Bahn finster entschlossen, diese Gelegenheit beim Schopf zu packen. Was auch der Zuschuss-Praxis durch den Bund geschuldet ist, die Projekte vor allem dann mit hohen Zuwendungen beglückt, wenn sie extrem kompliziert geplant sind. Da wäre etwa die tatsächlich so genannte Schnellfahrstrecke Nürnberg-Erfurt: Baubeginn 1996 und eine Fertigstellung, mit der "nicht vor 2028 gerechnet" wird. Allein für eine (inzwischen fertige) Trasse durch den Thüringer Wald hat die Bahn 22 Tunnel gesprengt – und Kritiker behaupten frech, keinen einzigen davon hätte es wirklich gebraucht. Müßig zu erwähnen, dass auch die Kosten explodierten. Wie das eben für Großprojekte in Deutschland typisch ist. Das kommt ebenso überraschend wie urplötzlich aus dem Boden sprießende Baustellen.

Und was hat Max Maulwurf dazu zu sagen? Nix, natürlich.

Doch zurück am Stuttgarter Hauptbahnhof grinst das Bahnmaskottchen wieder unverdrossen all den Bahnreisenden entgegen, denen noch ein weiter Weg über die S-21-Baugrube bevor steht. Über der Schulter trägt der Maulwurf drei Wegweiser, auf einem steht "Egal wohin". Egal wohin? Das klingt ja beinahe schon philosophisch, und da muss ein Experte her. Arthur Schopenhauer etwa, der das Leben als ein Mühsal betrachtet, dessen Ertrag den Aufwand nicht rechtfertigt. Im Nager mit den "übermäßigen Schaufelpfoten" sah er eine Metapher für seine pessimistische Lehre. "Der blinde Maulwurf", schreibt Schopenhauer in seinem Hauptwerk, "macht die Unangemessenheit der Mittel zum Zweck augenscheinlich." Nach dieser Lesart hat die Bahn ihr perfektes Maskottchen gefunden.


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4 Kommentare verfügbar

  • Schwa be
    am 08.05.2018
    Antworten
    "Max Maulwurf ist gestaltgewordene Geringschätzung." - treffender kann man es m.E. nicht ausdrücken! Vielen Dank an den Autor für diese treffende Formulierung!
    Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Das Unterwerfen der Bahn unter die Profitlogik (Shareholder Value oder auf deutsch…
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