KONTEXT:Wochenzeitung
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Solange der Franken rollt

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Konfrontation oder Kooperation? Nachbarstädte haben immer ein spezielles Verhältnis. Ausgerechnet in den lange in inniger Abneigung verbundenen Städten Singen und Konstanz am Bodensee reift allmählich die Erkenntnis: Miteinander kann man mehr erreichen als gegeneinander.

"Ach, Singen!", ist das erste, was Andreas Kaltenbach seufzt, wenn man ihn auf die Stadt am Hohentwiel anspricht. Es klingt nicht besonders freudig, eher etwas mitleidig. Das mag daran liegen, dass der 58-Jährige Konstanzer ist. Im Brotberuf arbeitet er für eine Krankenkasse, 2012 wollte er mal Oberbürgermeister werden, bekannt ist er in der Stadt aber vor allem als Chef der größten Konstanzer Narrenzunft, den Blätzlebuebe. Wer wissen will, wie Konstanz tickt, kommt an ihm kaum vorbei. 

"Konstanz und Singen hat immer eine Hassliebe verbunden, bei Uralt-Konstanzern ist dieses Gefühl heute immer noch vorhanden", sagt er. Woher das kommt? Na ja, sagt Kaltenbach, der alte Unterschied zwischen der Fabrikstadt Singen und der Verwaltungsstadt Konstanz sei immer noch spürbar. "Außerdem unterscheiden wir uns auch in der Sprache: das Kehlige in der Singemer Aussprache weist eher Richtung Hochrhein als Bodensee", meint Kaltenbach. Und überhaupt sei Singen einfach "eine hässliche Stadt". Aber der Konstanz-Kenner sagt auch: "Singen hat sich entwickelt in den vergangenen Jahren. Während in Konstanz vieles erstmal totgeredet wird, wird in Singen einfach gemacht." Trotzdem: Nach Singen ziehen? Vollkommen undenkbar für Kaltenbach.

Was ist noch dran an der alten Rivalität der beiden Städte? Ist sie nur noch Folklore in der Fasnacht oder immer noch ein lebendiges Zeichen gegenseitiger Abneigung? Die Städte könnten unterschiedlicher kaum sein: Hier das von Mittelalter sowie Verwaltung geprägte Konstanz (88 000 Einwohner) und dort der Industriestandort Singen (48 000 Einwohner), mit Werken großer Unternehmen wie Maggi und der Georg Fischer AG. Hier eine über Jahrhunderte gewachsene Stadt mit Hang zur Behäbigkeit, dort ein relativ junges Gemeinwesen (Stadtrechte hat Singen seit 1899) immer noch auf der Suche nach sich selbst.

Das Ringen um Interessen hat in den vergangenen zehn Jahren immer wieder zu harten politischen Auseinandersetzungen geführt. Im Vorfeld der Klinikfusion 2012 trauten sich beide Seiten anfangs so wenig, dass kaum was voran ging. Weil der eine befürchteten, vom anderen über den Tisch gezogen zu werden. Auch bei Prestige-Projekten gerieten die Städte in Konflikt: Die Handwerkskammer hat ihre Bildungsakademie lieber in Singen gebaut, die Industrie- und Handelskammer blieb, trotz Verführungsversuchen aus Singen, in Konstanz. Das Logistikunternehmen Transco hielt es nicht in Konstanz. Es siedelte mit seinen 150 Arbeitsplätzen in die Hohentwiel-Stadt um.

Einer der größten Streitfälle der vergangenen Jahre aber ist der seit acht Jahren geplante Bau eines 16 000 Quadratmeter großen Einkaufszentrums mitten in der Singener Innenstadt. "Viel zu groß", schrie man aus Konstanz schnell gegen das Projekt. "Wir meinen, dass es raumordnerisch unverträglich ist und den Zielen des Landesentwicklungsplans widerspricht", erklärt der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) dazu. Die Sorge in Konstanz war, dass ein neues Einkaufszentrum in Singen dem Handel in Konstanz schaden könnte. Untermauert hatten die Konstanzer ihre Bedenken mit teils harschen Stellungnahmen Richtung Singen und der Androhung einer Klage gegen das Projekt. Auch wenn der Beißreflex einer so vom Handel abhängigen Stadt wie Konstanz in der Sache verständlich war, so war die Kommunikation der nicht ganz unberechtigten Anliegen miserabel. Was hängen blieb, war das Bild vom großen Bruder, der seine Pfründe sichern und der kleinen Schwester partout nicht erlauben will, zu wachsen. Aus Angst, eines Tages von ihr vom Thron gestürzt zu werden.

Das Regierungspräsidium Freiburg schaltete sich ein und erteilte den protektionistischen Bestrebungen aus der Konzilstadt eine Abfuhr. Man erkenne weder eine besondere Schutzwürdigkeit von Konstanz, noch seien bestehende Strukturen grundsätzlich gefährdet durch das Singener Vorhaben, außerdem hätten die Wettbewerber ausreichend Zeit sich auf die neue Situation einzustellen.

Für Marcus Janko war dieser Tag der Entscheidung ein guter Tag. Janko ist Projektdirektor bei <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft shoppen-ohne-ende-354.html _blank external-link>ECE, dem Unternehmen, das das Einkaufszentrum namens Cano (von Vulcano, als Referenz an den Singener Vulkan Hohentwiel) in Singen bauen will. ECE ist in der Branche nicht irgendwer, das Unternehmen gilt in Europa als führend. Zuletzt lag der Umsatz bei 1,1 Milliarden Euro. Gegründet wurde die Firma von Werner Otto, dem Erfinder des Otto-Versandhandels. Heute ist dessen Sohn Alexander Geschäftsführer bei ECE. Die Geschäftsidee ist, Einkaufszentren zu entwickeln, sie umzusetzen und am Ende auch selbst zu betreiben.

Marcus Janko hat schon etliche solcher Projekte begleitet, er weiß, dass es immer Widerstände zu überwinden gilt. "Aber das hier eine Kommune erwägt, gegen eine andere zu klagen, das fand ich schon bemerkenswert", sagt Janko. Aus dem politischen Wettstreit der Städte habe er sich weitgehend rausgehalten, er hatte auch so genug anderes zu tun. Denn die neue Shoppingmall löste in Singen nicht überall Jubel aus. Einzelhändler hatten Angst, verdrängt zu werden, Bürgergemeinschaften formierten sich gegen das Projekt. Es kam zum Bürgerentscheid.

Im Juli 2016 hat sich mit 21,6 Prozent der Wahlberechtigten (Wahlbeteiligung 36,8 Prozent) die Mehrheit der Singener Bevölkerung für den Bau des 140-Millionen-Projektes ausgesprochen. Ironie der Geschichte: Dass der Konsumpalast befürwortet wurde, führen einige in Singen auch auf die kritischen Einlassungen aus Konstanz zurück. Kritik von außen hat noch immer die Reihen nach innen geschlossen.

Der Bürgerentscheid sei der Wendepunkt gewesen, sagt Marcus Janko: "Damals wurde der Schalter umgelegt von der kritischen zur konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema", erinnert sich der Projektdirektor. Der Zeitplan für die nächsten Monate steht jetzt fest: Anfang 2018 soll die Baugenehmigung vorliegen, im Frühjahr sollen die Arbeiten beginnen. Eröffnet werden soll die Mall Ende 2019, spätestens Anfang 2020.

Man kann davon ausgehen, dass sich Bernd Häusler auf diesen Termin freut. Der CDU-Mann ist Oberbürgermeister von Singen und hat intensiv für das Cano geworben. Weil er glaubt, dass das Einkaufszentrum der <link https: www.kontextwochenzeitung.de debatte recht-auf-stadt-387.html _blank external-link>Entwicklung seiner Stadt nur gut tun kann. Die Einmischungen aus der Nachbarstadt sieht er gelassen: "Das ist das gute Recht der Stadt Konstanz, sich im Rahmen des Planungsverfahrens zu äußern und Kritik anzubringen. Beurteilt werden diese Einwände aber nicht von uns, sondern vom Regierungspräsidium. Und dort teilte man die Konstanzer Sicht auf die Dinge nicht", erklärt Häusler auf Nachfrage. Überhaupt sehe er die ganze Sache mit der Rivalität nicht so dramatisch: "Mit meinem Kollegen in Konstanz habe ich ein gutes und sehr freundschaftliches Verhältnis. Natürlich will jede Stadt für ihre Bewohner attraktiv sein. Daraus mögen sich Konkurrenzverhältnisse ergeben. Aber das sehen wir sportlich, denn Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft."

Tatsächlich ist das, was da im Südwesten Deutschlands passiert, dieses <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik st-leon-gegen-rot-4449.html _blank external-link>aneinander Abarbeiten zweier Nachbarstädte, nichts Ungewöhnliches. Es entsteht überall dort, wo sich Interessensphären benachbarter Kommunen kreuzen. Die Soziologin Martina Löw erklärt das so: "Wie eine Stadt sich entwickelt, ist abhängig davon, wie andere relevante Städte sich behaupten. Relevant meint bei kleineren Städten wie Konstanz und Singen: Städte in räumlicher Nähe." Löw ist Leiterin des Fachgebiets Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin und hat viel zum Eigenleben und Selbstverständnis von Städten geforscht. Die Art und Weise wie eine Stadt ticke, werde eben auch von umliegenden Städten beeinflusst, erklärt die Wissenschaftlerin. Städte seien da letztlich auch nicht anders als Menschen: Identität ergebe sich aus Abgrenzung und In-Beziehung-Setzen zu Anderen. Singen, vermutet die Forscherin, könnte zum Beispiel erkannt haben, dass sich Konstanz lange vor allem über seine Vergangenheit definiert hat. Als Reaktion darauf passte sich das Singender Selbstbild an: man versuchte sich gegen die Mittelalterstadt Konstanz als Zukunftsstadt zu profilieren. "Das erscheint mir plausibel", sagt Löw.

Ganz deutlich zeugt sich diese Entwicklung in der Kunst. Während Konstanz hier vornehmlich in die Vergangenheit blickt, hat sich Singen zum Zentrum für moderne Kunst in der Region entwickelt. Einer, der auf diesem Weg vorangeschritten ist, ist Christoph Bauer, Leiter des Singener Kunstmuseums. "Singen ist eine junge, dynamische Stadt, dazu passt zeitgenössische Kunst", erklärt Bauer in seinem eher schmucklosen Büro. Seit 1993 leitet er das Haus, 2014 ist es umfangreich saniert worden. Programmatischer Schwerpunkt liegt auf der Präsentation <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne peter-lenk-wird-70-der-plastische-anarchismus-am-bodensee-auch-4403.html _blank external-link>moderner und zeitgenössischer Kunst aus der Vierländerregion Bodensee.

Die Entwicklung dahin war nicht zufällig. "Natürlich haben wir beobachtet, dass zeitgenössische Kunst in Konstanz keinen hohen Stellenwert hat. Das nutzen wir als Chance, uns zu profilieren." Für Christoph Bauer ist es aber auch immer eine Frage des Abwägens: "Klar will ich besser sein als die Kollegen, aber ich brauche sie auch für Kooperationen." Wer nur dem Konkurrenzgedanken nachhänge, werde am Ende einsam. Insgesamt sieht er eher noch Potenzial in der Zusammenarbeit am Bodensee: "Das Publikum fragt nicht: Wer hat das gemacht? Es will ansprechende Inhalte. Um das zu erreichen, wäre es gut, wenn wir uns häufiger zusammenschließen würden", glaubt Bauer.

Gibt es in Zukunft also mehr Kooperation statt Konfrontation am See? Der Wille scheint da, die Stadtoberhäupter verstehen sich, auch der Konstanzer OB Uli Burchardt spricht von einem sehr guten Verhältnis zu Bernd Häusler: "Jeder von uns hat natürlich die Aufgabe, seine Stadt positiv zu entwickeln. Hier können wir in der Zusammenarbeit viel erreichen. Und wo die Städte im Wettbewerb auftreten gilt Fair Play: Wir achten uns und respektieren die Regeln", sagt Burchardt.

Für den Moment scheint die alte Rivalität einem alltagstauglichen Pragmatismus gewichen. Die Frage ist nur – wie lange wird das so bleiben? Der Konstanzer Günter Beyer-Köhler hält den Frieden jedenfalls für fragil. Der Grüne sitzt sowohl im Konstanzer Gemeinderat als auch im Kreistag, kennt das politische Geschäft seit Jahren. "Sobald sich der Franken-Kurs mal verändert und der Einkaufstourismus aus der Schweiz nachlässt, bricht der Kampf um Marktanteile und Geldströme wieder aus. Dann schaut am Ende doch wieder jeder nur auf sich."


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