Sie ist Mitglied des Landesvorstands des baden-württembergischen Lesben- und Schwulenverbands und wurde bereits mehrfach in Mails beschimpft. "Ich nehme gesellschaftlich gesehen eine Rückwärtsbewegung wahr", sagt sie zur Akzeptanz von Schwulen und Lesben. Auch der Schwulen- und Lesbenverband in Deutschland sieht eine "homophobe Mobilisierung in der Gesellschaft", sagt der Sprecher Helmut Metzner. "Diese neue Bewegung ist eine ernste Gefahr für unsere offene Gesellschaft." Wie viele Menschen in der Bevölkerung homosexuell sind, lässt sich nicht sagen. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland geht von fünf bis zehn Prozent aus. Das wären im Südwesten bis zu 1,06 Millionen Menschen.
Die Sängerin Conchita Wurst gewann am 10. Mai 2014 beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen mit ihrem Lied "Rise like a Phoenix". Als Zeichen für Akzeptanz von Menschen, die nicht ins gewohnte Mann-Frau-Schema passen, Schwulen, Lesben, Transsexuellen und Transgender, sang die österreichische Dragqueen später auch vor Mitgliedern des Europäischen Parlaments. Doch was hat der Sieg des schwulen Künstlers Tom Neuwirth, der hinter der Kunstfigur Conchita Wurst steht, wirklich bewegt?
Die Kirche verweigert ihren Segen
"Es hat auf jeden Fall eine breite Diskussion über Geschlechterrollen angestoßen", sagt der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann. "Für die Akzeptanz von Schwulen hat es aber nichts gebracht." Auch Kaufmann, der seit 16 Jahren offen schwul lebt, nimmt ein "konservatives Rollback" in der Gesellschaft war. Grundsätzlich wird er immer wieder übers Internet beschimpft. "Es wäre gut, wenn Sie nie geboren worden wären" oder "Es wäre gut, wenn Sie bald die Erde verlassen würden", müsse er lesen, erzählt der 45-Jährige – kurze braune Haare, Brille, dunkler Anzug – im Stuttgarter Grand Café Planie. "Das ist natürlich auch verletzend."
Angeheizt haben nun zuletzt die "Hardcore-Katholiken", wie Kaufmann sie nennt, die Berichterstattung darüber, dass Kaufmann und sein Mann Rolf Pfander einen Dankgottesdienst in einer katholischen Kirche haben wollten. Nachdem die beiden sich im vergangenen Jahr verpartnert hatten, wollten sie die Verbindung kirchlich besiegeln. Doch als der Bischof von ihren Planungen erfuhr, untersagte er den Gottesdienst. "Das hat uns natürlich tief getroffen", sagt Kaufmann. Sein Partner trat nach 46 Jahren aus der katholischen Kirche aus und in die alt-katholische Kirche ein. Sie ist eine Abspaltung der katholischen Kirche und sieht sich nicht an die Weisungen des Vatikans gebunden – der lehnt Homosexualität nach wie vor grundsätzlich ab. Am 2. Mai feierten die beiden Männer mit 350 Gästen und einem alt-katholischen Pfarrer in der Schlosskirche des Alten Schlosses ihren Segnungsgottesdienst.
Marion Lüttig trat mit 19 Jahren ebenfalls aus der katholischen Kirche aus. Die junge Frau aus Salzkotten bei Paderborn hatte ein katholisches Privatgymnasium besucht, war in der katholischen Landjugendbewegung aktiv, wollte katholische Religionspädagogik studieren und Gemeindereferentin werden. Den Studienplatz hatte sie schon in der Tasche. Dann stellte sie fest, dass sie lesbisch ist. In den Kleinanzeigen eines Veranstaltungskalenders hatte sie von einem Lesbenstammtisch gelesen und dem Treff einer schwul-lesbischen Gruppe in der Kirche. Sie schaute sich beides an – und plötzlich war alles klar. "Ich habe gedacht: Ach super, ich bin doch nicht beziehungsunfähig."
Von ihrer neuen Erkenntnis erzählte sie damals sofort Freunden und Bekannten. "Ich habe es allen auf die Nase gebunden, ob sie wollten oder nicht." Ablehnung habe sie nicht erlebt, sagt Lüttig. Aber es seien auch nur wenige Menschen darunter gewesen, die sie ernst genommen hätten. Für die anderen passte diese Nachricht nur zu den anderen feministischen Ideen der Marion Lüttig. Von ihren Studienplänen und ihrem ursprünglichen Berufswunsch verabschiedete sie sich. Für die junge Frau war klar: "Ich kann als Lesbe nicht in der katholischen Kirche sein. Ich kann das nicht: nicht offen leben." Stattdessen ließ sie sich in Frankfurt zur Speditionskauffrau ausbilden.
Und wie reagierten ihre Eltern darauf, dass sie lesbisch ist? Marion Lüttig seufzt lange. "Meine Mutter war ziemlich am Boden zerstört gewesen und hat überlegt, was habe ich falsch gemacht?" Irgendwann habe sie sich gesagt, das sei Veranlagung, also sei sie unschuldig daran. Ihr Vater habe noch jahrelang zu seiner Tochter gesagt: "Man kann Entscheidungen auch noch ändern."
Keine Probleme mit der Karriere
Nach ihrer beruflichen Neuorientierung hatte Lüttig durch ihre offen gelebte Homosexualität keine Nachteile mehr. Im Gegenteil: "Es war ein Karriereschub, weil alle Arbeitgeber automatisch davon ausgegangen sind, eine Lesbe wird nicht schwanger."
Auch Stefan Kaufmann hat seine Liebe zu Männern nicht daran gehindert, promovierter Anwalt zu werden und in der CDU Karriere zu machen. "Sonst wäre ich nicht das, was ich bin." Kaufmann lacht. Allerdings sagt er auch: "Es gibt immer noch Kollegen, die sind homophob." Es gibt CDU-Abgeordnete im Bundestag, die über "die Schwuchtel" Volker Beck lästern, während Kaufmann danebensitzt. Beck ist Abgeordneter der Grünen und schwul. Der Spitzenkandidat der CDU im Südwesten, Guido Wolf, hat sich kürzlich gegen ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ausgesprochen – ebenso wie Kanzlerin Angela Merkel. Beide sehen das Wohl des Kindes gefährdet.
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Hans Paul+Lichtwald
am 13.05.2015