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Schluss mit Schwarzwald-Idylle

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Talheim ist ein lauschiges, kleines Dörfchen im Schwarzwald. Doch es könnte bald vorbei sein mit der Ruhe. In einen stillgelegten Steinbruch im Ort soll Aushub von Stuttgart 21 eingelagert werden. Jetzt formiert sich der Protest.

Ein Touristenziel wird Talheim wahrscheinlich nicht mehr. Es gibt keinen zentralen Platz, kein Café und so schön wie das sechs Kilometer entfernte Horb am Neckar ist das beschauliche Dorf auch nicht. Aber es liegt am Rand des Schwarzwalds und ist ruhig und verschlafen. Zumindest seit ein paar Jahren. Denn ruhig war es hier nicht immer - und mit der neu gewonnen Ruhe könnte es auch bald wieder vorbei sein. 

Bis 2002 hat die Firma Gebrüder Kaltenbach in Talheim einen Steinbruch betrieben. Der Schotter wurde Tag für Tag per LKW aus dem Ort gefahren, entweder durch die schmalen, verwinkelten Straßen in Untertalheim, an dessen Rändern alte Häuser Wand an Wand stehen. Oder durch Obertalheim, zwischen den Neubauten mit den großen Gärten hindurch, in denen Kinder spielen, und wo die Straßen nicht mehr so schmal sind und die Kurven nicht mehr so spitz.

Vor zehn Jahren wurden Untertalheim und Obertalheim zum gemeinsamen Horber Stadtteil Talheim zusammengeführt, ein Jahr zuvor hat Kaltenbach die Abbaugenehmigung für den Steinbruch verloren, im Gegenzug aber die Erlaubnis erhalten, an einer anderen Stelle ein paar Kilometer außerhalb Talheims Schotter abzubauen. Bislang hat die Firma davon keinen Gebrauch gemacht.

Seither sind die LKW-Kolonnen ebenso verschwunden wie der Dreck, den die Abbau-Arbeiten aufgewirbelt haben. Der Steinbruch liegt brach, die Natur hat längst begonnen, ihn zurückzuerobern. Mittlerweile ist dort ein kleines Stück Wildnis entstanden.

Im Dorf habe sich mit der Zeit eine gemeinsame Identität entwickelt, sagen die Anwohner. Die Stimmung untereinander sei gut, die in ländlichen Gegenden typischen Querelen zwischen benachbarten Dörfern beschränken sich auf bierseelige Späße. Gut möglich, dass die Bewohner bald noch enger zusammenrücken. Denn die Firma Kaltenbach würde den Steinbruch gerne auffüllen - mit Aushub aus Stuttgart. Insgesamt 20 Millionen Tonnen fallen im Zuge der Bauarbeiten zu S21 insgesamt an, alleine acht davon kommen aus Stuttgart-Mitte. 1,5 bis 1,8 Tonnen davon sollen womöglich nach Talheim transportiert werden.

Seit die regionale Presse über den Schuttabladen-Plan berichtet hat, wächst in Talheim der Unmut. "Sie werden hier nur ganz wenige finden, die dafür sind", sagt etwa Anke Walz, die seit 25 Jahren im Ort lebt. Sie atmet tief, die Erregung und der Ärger sind ihr anzumerken, wenn sie über die drohenden Belastungen spricht. "Das kann man den Leuten nicht schon wieder antun", erinnert sie sich an die Zeiten, als der Steinbruch noch in Betrieb war.

Mittlerweile haben die Talheimer eine Bürgerinitiative gegründet. Talheim 21 nennen sich die gut 35 Anwohner, die gegen die Pläne der Firma Kaltenbach vorgehen wollen. Am Ortseingang hängen bereits zwei Transparente, in den kommenden Wochen sollen es einige mehr werden. Mittlerweile hat die Bürgerinitiative schon über 600 Unterschriften gesammelt, damit hat sich bereits ein gutes Fünftel der Talheimer gegen die Zweckentfremdung des Steinbruchs ausgesprochen. Bald sollen die geplanten 1 000 Unterschriften beisammen sein. Allein: es fehlte bislang an Gehör.

Denn die Ortsverwaltung und die Firma Kaltenbach hüllen sich in Schweigen. Den Vermutungen und Gerüchten, die sich im Ort breit machen, will vorerst niemand entgegentreten. "Wir haben einen Antrag gestellt", heißt es lapidar aus der Firmenzentrale der Kaltenbachs in Dornstetten, 20 Kilometer von Talheim entfernt. Es stünden aber noch Gespräche mit der Ortsverwaltung Horb aus.

Dort verweist man auf den Talheimer Ortsvorsteher Thomas Staubitzer. Es sei noch nichts entschieden, wiegelt der ab, auf einem Informationsabend am 24. September sollen alle Fragen geklärt werden. Immerhin stellt er fest: "Talheim bietet sich von sich aus auf keinen Fall an". Die Idee, den S21-Aushub im stillgelegten Steinbruch unterzubringen, stamme einzig und allein von der Firma Kaltenbach. Der Horber Oberbürgermeister Peter Rosenberger stand nicht zu einem Gespräch zur Verfügung. Und erst nach der Anfrage der Kontext:Wochenzeitung kam es zu einem Treffen mit der Bürgerinitiative gegen Talheim 21, bei der Argumente ausgetauscht wurden.

"Schäden in Millionenhöhe"

Wirklich abgeneigt scheint die kommunale Politik nicht zu sein. "Man muss abwägen zwischen den Belastungen und den Vorteilen, die damit einhergehen würden", sagt Ortsvorsteher Staubitzer. Mit anderen Worten: Es geht ums Geld - auch wenn das hieße, dass sich täglich mehrere Dutzend LKWs durch die engen Talheimer Straßen schlängeln.

Die Talheimer sind davon wenig begeistert. "Das ist nicht zu machen", sagt Dietmar Meintel, Sprecher der Bürgerinitiative Talheim 21. Die Summe, die Horb und Talheim vermeintlich einnehmen würden, "kann nie so hoch sein, dass sie die Schäden ausgleicht, die dadurch entstehen würden. Wir reden hier von Schäden in großer Millionenhöhe." Die Straßen in Untertalheim seien auf eine solche Belastung nicht ausgelegt, sie seien schlecht befestigt, die alten Häuser an den Straßenrändern hätten ohnehin schon Risse. Zudem sei Gegenverkehr in den engen Kurven kaum zu bewältigen. Die Folge: Die LKWs stünden sich gegenseitig im Weg, müssten rangieren und würden damit noch mehr Lärm, Gestank und Vibration verursachen.

Tatsächlich prägen schon jetzt Verbotsschilder das Ortsbild in Untertalheim. Kaum eine Straße darf mit Lastern befahren werden, die schwerer als sieben Tonnen sind. Stellenweise ist sogar schon bei 1,5 Tonnen Schluss. Und auf solchen Straßen soll womöglich bald wieder LKW-Verkehr rollen? Die Bürgerinitiative rechnet mit bis zu 200 000 Fahrten, bis der riesige Steinbruch aufgefüllt wäre. 

Von der übrigen Logistik her spräche wenig dagegen, meinen die Befürworter. Im Steinbruch sind noch die alten Arbeitsstraßen vorhanden. Bei der Maschinenfabrik Lauffer im Horber Industriegebiet wäre genügend Platz, um den Abraum von der Schiene auf die LKWs umzuladen. Gleise liegen bereits, der sporadische Umladebahnhof könnte in kürzester Zeit in Betrieb genommen werden. Auf den rund fünf Kilometern nach Talheim könnte sich die Kolonne dann zwischen die vielen anderen LKW einreihen, die wegen der gesunden Industrie in der Region Horb ohnehin schon über die L355 rollen.

Mehr Verkehr halten die kaum befestigten Straßen nicht aus

Statt durch Untertalheim könnte die Kolonne aber auch durch Obertalheim rollen, wo die Straßen breiter und ordentlich befestigt sind, die Lärm- und Dreckbelastung deswegen aber kaum geringer ausfallen würde. Zumal in diesem Teil des Ortes viele junge Familien mit Kindern leben. Alternativ böte sich an, den Verkehr über Feldwege zu leiten, die allerdings schon jetzt an allen Ecken und Enden geflickt sind. Ständige Belastungen würden diese kaum befestigten Straßen nicht aushalten.

Am Ende bleiben viele Fragen - die die Bahn natürlich auch nicht beantworten will. "Wir führen zahlreiche Gespräch", heißt es aus dem Büro von S21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich. 40 Entsorgungsanlagen seien bereits gebunden, Talheim gehört noch nicht dazu, wohl aber das nur 40 Kilometer entfernte Trichtingen, in dem ein Gipsbruch zum Ärger der Anwohner aufgefüllt wird (<link http: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft den-dreck-nach-trichtingen-2046.html _blank>Kontext berichtete).

Die Bürgerinitiative habe Kontakt mit den Trichtingern aufgenommen, sagt Meintel. "Sie haben gesagt, dass sie keine Möglichkeit gehabt hätten, sich zu wehren. Was ich persönlich so nicht verstehe. Ich denke, dass man in der Bundesrepublik Deutschland immer die Möglichkeit hat, sich zu wehren." Wenn er sich da mal nicht irrt.


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34 Kommentare verfügbar

  • By-the-way
    am 23.09.2014
    Antworten
    @ M. Stocker 22.09. 13.21 Uhr

    Super!
    Sie haben es - gnadenlos- aber völlig zutreffend, mit Zynik und Satire exakt auf den Punkt gebracht!

    Und Ihr letzter Satz drückt auch genau meine Gefühlslage aus:

    NEIN - ich freue mich nicht darüber, dass die Talheimer das bekommen, was sie selbst…
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