Das Auto fährt sich gut. Es liegt schwer auf der Straße, trotzdem – ein kleiner Druck auf das Gaspedal, und ich vergesse, dass der Wagen zwei Tonnen wiegt. Mein Fuß berührt sacht das Bremspedal, und er steht.
Dieses Auto hat alles, was ein Auto heute haben kann, Kamera vorne, Kamera hinten, Einparkhilfe – und Überraschungen: Heinrich, der hinten sitzt, stößt auf einmal einen verblüfften Schrei aus, als er versehentlich die Rückenmassage aktiviert. Ich versuche mich in der Menüführung des Bordcomputers, aber sie ist so verwirrend, dass mein Erkundungswille rasch erlahmt. Vieles haben ich an dem Wagen noch nicht entdeckt. Trotzdem: Superauto. Wirklich. Mit diesem Fazit könnte ich jetzt den Laptop zuklappen,wenn, ja wenn ich nicht mit Heinrich den Platz getauscht hätte und in den Fond geklettert wäre.
Wir sind ein eigentümliches Paar, Heinrich und ich, zumindest als Autotester. Niemand käme auf die Idee, dass wir uns einen S-Klasse-Mercedes kaufen würden. Schriftsteller sind eher die Anti-S-Klasse-Typen. Deshalb wurden wir wohl gebeten, dieses Auto zu testen. Allerdings: Heinrich Steinfest besitzt keinen Führerschein. Den habe ich immerhin, aber ein eigenes Auto besitze ich nicht und vermisse es auch nicht, obwohl ich ständig unterwegs bin. Da ich mitten im Stuttgarter Talkessel wohne, erreiche ich die meisten Ziele zu Fuß, die Geschäfte, in denen ich einkaufe, die Bibliothek, in deren Lesesaal ich häufig arbeite, bei gutem Wetter steige ich aufs Fahrrad, bei Regen fahre ich mit der Straßenbahn. Ist der Ort damit nicht zu erreichen, nehme ich in ein Taxi. An nahezu hundert Abenden im Jahr lese ich irgendwo in Deutschland. Kein Problem: Ich nutze Carsharing, die Bahn, im Ausland das Flugzeug.
In meinem Vor-Schriftstellerleben verbrachte ich unendlich viel Zeit im Auto, fuhr etwa 30 000 Kilometer im Jahr, um Kunden zu finden oder zu besuchen. Aber heute kommt mir die Vorstellung von einem eigenen Auto absurd vor.
Nun sitze ich am Steuer, Heinrich dehnt sich entspannt auf der Rückbank. Das Auto fährt gut. "Vision erfüllt", schreibt Daimler in der Werbung, etwas geschmacklos, finde ich, weil der Slogan an das "mission accomplished" von George W. Bush nach dem Ende des Irakkriegs erinnert. Vision erfüllt? Es gibt keine Vision. Es gibt auch keine Faszination. Ich habe darauf geachtet, niemand sieht sich nach diesem Wagen um, kein Junge dreht sich um, kein Mann bleibt stehen, keine einzige Frau hebt auch nur die Augenbraue.
Dieses Auto ist nicht für den Fahrer gebaut
Als wir eine Pause machen, nutze ich die Gelegenheit und setze mich nach hinten. Erst jetzt wird mir klar, dieses Auto ist nicht für den Fahrer gemacht. Hier hinten, eingebettet in beiges Leder, das fleckenfrei frisch riecht, fängt der Wagen an, mit mir zu reden: Für dich wurde ich gebaut. Für dich, der du im Fond sitzt, dich fahren lässt zum nächsten wichtigen Termin, für dich, der aus dem sanft abgetönten Seitenfenster schaut, der die maschinelle Rückenmassage genießt. Für dich, den vom Chauffeur Chauffierten.
Von außen sieht die S-Klasse gut aus, wirkt schnittig modern. Wir parken sie neben dem Le-Corbusier-Haus in der Weißenhof-Siedlung. Die beiden geben zusammen ein gutes Bild ab. Zeitlos wirkend das Haus, ganz heutig das Auto.
3 Kommentare verfügbar
zara
am 23.07.2014