Wo taucht sein Dengler am besten unter? Na klar, im Sadomasoclub. Da sucht ihn keiner, da dürfen ihn nur die Leser finden. Und weil die schließlich wissen wollen, wie's auf der Streckbank zugeht, guckt der Autor genau hin. Das heißt: Der Schorlau quartiert sich bei "Arachne" ein und checkt. Es steckt also viel Finden im Erfinden, wenn der 62-Jährige schreibt, in der Stuttgarter Landesbibliothek, die ihn zur Disziplin zwingt. Das gilt für alle seine Krimis, egal ob sie sich ums Wasser, die Pharmaindustrie oder den Verfassungsschutz drehen. 600 000 hat er davon verkauft und das spricht dafür, dass es viele Menschen gibt, die die ganzen Sauereien zumindest in Krimiform aushalten.
Jetzt müssen sie auf ein neues Terrain wechseln. Der Held ist nicht mehr Dengler, sondern Paul, ein Junge aus dem Waisenhaus, der durch die unruhigen Endsechziger- und Siebzigerjahre läuft, tagsüber an der Werkbank schafft und nachts Marx und Mao liest. Ein proletarischer Rebell, wie geschaffen für die Vorhut der Arbeiterklasse, die es damals auch in Freiburg gab. Paul war ihre Vorzeigefigur, das lebende Beispiel dafür, dass die Revolution kurz vor der Tür stand. Hand in Hand mit der Arbeiterklasse. Der sexuelle Umsturz war schon angekommen und hieß Toni, die sich Paul mit Alexander teilte, einem Sohn aus besserem Hause. Jene Toni war nicht ganz so revolutionär, aber immerhin bereit, morgens um fünf die "Kommunistische Volkszeitung" (KVZ) vor den badischen Werkstoren zu verkaufen. Im kurzen Rock, der ihr so erstaunliche wie kurzzeitige Absatzerfolge bescherte: Die Parteiführung verbot die kleinbürgerliche Abweichung sofort.
Die Partei war der "Kommunistische Bund Westdeutschland" (KBW), dem etliche hochrangige Personen entsprungen sind, bis hin zum Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Die Maoisten waren auch an der Freiburger Uni eine Macht und ein gewisser Schorlau voll dabei. KVZ verkaufen, Klassiker lesen, rote Fahnen schwingen
– das war schon aufregender als die Kaufmannslehre. Von den Frauen an der Uni ganz zu schweigen, die freilich nicht zur Ideologiefestigkeit beitrugen. Der große Junge, der er bis heute geblieben ist, stand immer im Verdacht, unzuverlässig und ein Abweichler zu sein, weswegen ihm der Dienst an der Waffe guttun sollte. Frieden schaffen ohne Waffen war nie die Devise der Mao-Jünger. Der Wackelkandidat wurde Panzerkanonier in Niederlahnstein, danach ins KBW-Regionalbüro Köln abgeordnet und fortan "Berufsrevolutionär", wie er selbst sagt. Und wieder war's eine Frau, die ihn von Maos schmalem Weg abbrachte. Als leitender Kader war er der Liebe nach Ludwigsburg gefolgt und aus dem KBW geflogen.
Was folgte, war ein Job bei einem Autozulieferer in Ludwigsburg, bei dem er – wie Paul – mit "Tri" (Trichlorethylen, einem giftigen Lösungsmittel) in Berührung kam. Eine chronische Nervenentzündung im Bein erinnert ihn bis heute daran. Danach noch die Arbeit als Systemanalytiker bei Nixdorf und dann endlich, im Jahr 2000, das Schreiben.
Das sind Lebenswege, die heute, im Facebook-Zeitalter, kaum mehr vorstellbar sind. Paul und Alexander und Toni, die Freiheit und soziale Gerechtigkeit suchen und sich am Ende fragen, was aus ihren Idealen geworden ist. Die Alten könnten das den Jungen vorlesen und sich fragen (lassen), ob aus Rebellen notwendigerweise Dissidenten oder Dogmatiker werden müssen? Der begnadete Tischkicker Schorlau, der in den "Rebellen" seine eigene Geschichte aufschreibt, ist keiner geworden. Er hat sein Herz auf dem rechten linken Fleck behalten. Wie Paul eben.
Wolfgang Schorlau stellt den Roman "Rebellen" am 12. März ab 20 Uhr im Mozartsaal der Liederhalle vor. Mehr dazu <link http: www.literaturhaus-stuttgart.de event _blank external-link-new-window>hier. Das Buch ist ab 9. März im Handel, erscheint bei Kiepenheuer & Witsch, hat 336 Seiten und kostet 19,99 Euro.
<link https: www.kontextwochenzeitung.de fileadmin user_upload wolfgang_schorlau_rebellen.pdf download>Auszüge aus Schorlaus Roman<link https: www.kontextwochenzeitung.de fileadmin user_upload wolfgang_schorlau_rebellen.pdf _blank download> "Rebellen" gibt es hier.
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