Eignet sich ein "Pissblatt, das Lügenkonstrukte verbreitet", als passende Alternative zum Klopapier? Taugt "uninformierter Schmierkfink" als adäquate Berufsbezeichnung für einen Journalisten. Oder klingt "Idiot" einfach besser für jemanden, dessen Arbeit man nicht schätzt?
Ihre Vorbilder sind knallharte Deutsch-Rocker, die sich gern als Verdammte und Verfolgte inszenieren. Doch selbst sind die Neffen und Nichten, wie die eingefleischten Fans der Böhsen Onkelz sich selbst auch nennen, so empfindlich wie Mimosen. Besonders, wenn Medien ihren Idolen vermeintlich Schlechtes wollen. Dann werden die Anverwandten auch richtig "böhse" – umso heftiger, je unvorteilhafter ein Beitrag aus Sicht der Onkelz-Anhänger ausfällt. Das durfte auch Kontext nach dem Konzertbericht von Thomas Kuban zum Comeback-Auftritt der Band im Juni in Hockenheim erfahren. "Die Enkelz überholen rechts" animierte Dutzende zu teils gehässigen, teils schlicht nur dummen Reaktionen, in Mails, Facebook- und Foren-Kommentaren. Doch Kontext steht nicht allein. Auch andere Medien, von "Spiegel" bis Sat 1 müssen sich nach Onkelz-Beiträgen mit grenzwertigen Fan-Reaktionen herumschlagen, in denen Artikeln und Sendungen stets unterstellt wird, die Band zu Unrecht in die rechte Ecke stellen zu wollen, den Autoren stets absolute Unkenntnis attestiert wird. Ein schwacher Trost und ein bedrückendes Zeugnis gesellschaftlicher Debattenkultur. Doch: Nichtsdestotrotz gibt es auch unter den BO-Anhängern Menschen mit unaufgeregtem Durchblick. Einige sachliche Schreiben an die Redaktion beweisen es.
Die Onkelz leben nicht schlecht von ihrem bösen Image
"Man muss die Böhsen Onkelz nicht mögen. Tatsächlich wirken die 'Keiner mag uns'-Larmoyanz und die 'Wir gegen den Rest der Welt'-Attitüde unglaubwürdig bei einer Band, die Millionen Platten verkauft hat. Aber das ist Geschmackssache. Der Journalist Thomas Kuban findet die Onkelz Scheiße und das bleibt ihm unbenommen. Aber wenn er versucht, der Combo einen Nähe zum Rechtsextremismus zu unterstellen, indem er Vermutungen als Fakten verkauft, bestimmte Details unterschlägt, dann ist das schlechter Stil", schrieb ein Kontext-Leser sachlich an die Redaktion. Ausführlich begründet er seine Kritik an dem Beitrag, verweist als Gegenargument auf Songtexte der Onkelz. "Journalistisch sauber wäre es gewesen, auch aus den Songs zu zitieren, in denen sich die Truppe klar von Neonazis distanziert", verlangt er. So ein Feedback kommt an.
Wie dieser Leser andeutet, leben die Onkelz auch von ihrem selbst gewählten Image, die "böhsen" Buben der Branche zu sein. Und das eben nicht schlecht, schließlich gelten BO als die umsatzstärkste Rockband Deutschlands. Wer sich solch ein Marketing zulegt – und es bei jeder Gelegenheit zelebriert –, darf sich aber auch nicht wundern, wenn Medien es aufgreifen und mitunter spiegelbildlich wiedergeben.
So wurden die Böhsen Onkelz nach ersten Comeback-Ankündigungen Mitte Februar im Sat-1-Frühstücksfernsehen thematisiert. Ex-MTV-Moderatorin Anastasia Zampounidis analysierte als Promi-Expertin die Bühnenrückkehrer – und erinnerte bei der Gelegenheit an die Vergangenheit der Band mit rassistischen Liedtexten und wagte es zudem, Fehltritte von Sänger Kevin Russell zu erwähnen, der wegen eines Verkehrsunfalls unter Drogeneinfluss mit zwei Schwerverletzten im Knast saß. Das reichte, um einen veritablen Shitstorm gegen den Sender loszutreten. Nach "heftigen Reaktionen" sah sich das Frühstücksfernsehen von Sat 1 sogar dazu gezwungen, einen Kotau gegenüber allen empörten Neffen und Nichten zu machen: "Die Anhänger der Böhsen Onkelz gehören nicht in die rechte Ecke, sind keine Alkoholiker oder Junkies. Sollten wir am vergangenen Donnerstag in unserer Sendung einen anderen Eindruck vermittelt haben, tut uns das leid und wir möchten uns bei allen Fans der Band dafür entschuldigen", lautete das offizielle Statement auf der Facebook-Seite der Sendung, was binnen Stunden über 1200 Kommentare provozierte, die meisten wieder friedlicher gesinnt. Als zusätzliches Versöhnungsangebot an die "liebe Böhse-Onkelz-Gemeinde" lud der Sender wenige Tage später den Schriftsteller Klaus Farin ins Frühstücksfernsehen ein, um erneut über die Band und die Rückkehransage zu reden. Farin gilt als Experte in Sachen Jugendkultur, und der Sat-1-Moderator machte während des Interviews auch artig Werbung für Farins "Buch der Erinnerungen", das sich ausführlich mit den BO-Fans beschäftigt. "Tja, die Onkelz-Fans erreichen alles, wenn sie zusammenhalten", postete ein Onkelz-Fan erkenntnisreich auf Facebook.
Dass die medialen Angriffe inzwischen sogar die Bandmitglieder nerven, lässt sich aus einem Song heraushören, den BO-Sänger Kevin Russell mit seiner Solo-Band Veritas Maximus Ende Mai veröffentlichte. Auf dem Debütalbum "Glaube und Wille" findet sich der Song "Bild Tilt", in dem Russell mit der Boulevardpresse abrechnet ("Habgründe tun sich auf wie nie / Hier paart sich Utopie mit Fantasie / Verstümmelte Recherche kriecht mit Krücken / Ein Opferlamm zerreißen in vier Stücke").
Ist Heimatverbundenheit selbstverständlich?
Dabei können auch die Onkelz kräftig austeilen. In einem Interview mit dem Musikmagazin "Metal Hammer" keilte Matthias "Gonzo" Röhr, Gitarrist der wieder vereinten Böhsen Onkelz, jüngst gegen andere deutsche Bands wie Die Ärzte und Die Toten Hosen. "Das waren doch eher Bands für die kleinen Spießer, die mal Rocker sein wollten; für Warmduscher, Tanz-deinen-Namen- und Stuhlkreisfetischisten", sagte er dem Magazin. Die Attacke kam nicht von ungefähr: Die Ärzte und Die Toten Hosen hatten vor Jahren scharfe Kritik an den Böhsen Onkels geübt. 1986 hatte die Bundesprüfstelle das BO-Album "Der nette Mann" wegen Gewaltverherrlichung, Pornografie und NS-Propaganda indiziert. Außerdem wurden einige Mitschnitte wegen NS-Propaganda oder Aufstachelung zum Rassenhass verboten und beschlagnahmt.
Campino, Leadsänger der Toten Hosen, überraschte im vergangenen Jahr mit dem Vorschlag, eine neue Kategorie beim Musikpreis Echo einzuführen, mit dem alljährlich die verkaufsstärksten Produktionen des deutschen Marktes prämiert werden. In der Kategorie "Rechte gegen Nazis" könnten künftig Interpreten geehrt werden, die früher rechts waren, aber heute garantiert "unpolitisch" seien. Campinos Vorschlag zielte damals nicht auf die Böhsen Onkelz, sondern auf deren Enkelz ab: die Südtiroler Band Frei.Wild, die 2013 für einen Echo-Preis der deutschen Tonträgerindustrie nominiert war. Nach heftigen Protesten anderer Künstler wegen der rechtslastigen Texte der Band wurden Frei.Wild kurzfristig von der Preis-Gala wieder ausgeladen. Sänger Philipp Burger fühlte sich missverstanden: Als Südtiroler sei eine starke Heimatverbundenheit für ihn ganz selbstverständlich. Frei.Wild distanzieren sich gebetsmühlenhaft von Rassismus und Rechtsextremismus.
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