Ein heruntergekommenes Mehrfamilienhaus in Bretten, 20 Autominuten hinter Pforzheim. Risse in den Wänden, im Gemäuer zeichnet sich die Feuchtigkeit ab. Innen ein muffiger Geruch, vergilbte Fliesen, Frauen und Männer drängen sich in Zimmern und auf Fluren. Ein Schlafzimmer mit Stockbetten, in einem versucht ein älterer Mann zu schlafen, daneben rasiert sich ein junger, eine Frau quetscht sich an ihm vorbei auf den Flur. Nennen wir sie Gabriela. Für Gabriela endet hier die Suche nach einem Job, mit dem sie ihre Familie ernähren kann. Endstation Deutschland, Land der Wirtschaftskraft, Endstation im Elend.
Vor eineinhalb Jahren kam sie hierher, in ihrer polnischen Heimat hatte sie eine Stellenannonce entdeckt, 950 Euro Lohn im Monat versprach die Anzeige, Unterkunft in einem Hotel, Arbeit in der Produktion. Eigentlich ist Gabriela zwar Tourismusfachfrau, aber Arbeit gibt es für sie, Ende 40, schon lange nicht mehr. Und wenn, kann sie nicht davon leben, "zuletzt verdiente ich 300 Euro", erzählt sie. "Ich habe drei Kinder, die noch zur Schule gehen, wie soll das gehen?" Also nimmt sie das Angebot an, unterschreibt in Deutschland bei der Ludwigsburger Vermittlerfirma IH Direkt den Arbeitsvertrag, mit dem sie Fabrikarbeiterin des Tiernahrungsherstellers Deuerer wird. Im Vertrag steht auch, dass vom Lohn automatisch die Miete für die Unterkunft abgezogen wird. Akzeptabel, denkt Gabriela, es bleibt trotzdem noch genug Geld zum Nachhauseschicken. Sie unterschreibt.
Während der Fahrt nach Deutschland denkt sie an ihre Kinder, die sie lange nicht sehen wird, und daran, dass jetzt alles für sie besser werden wird. Der Bus ist voll mit Menschen wie Gabriela, die ihre Zukunft in Deutschland sehen, voll mit Hoffnung. Den Bustransfer nach Bretten hat die Vermittlerfirma organisiert.
Die deutsche Wirtschaft läuft auf Hochtouren. Und sie läuft zum Teil durch Billigkräfte aus dem Ausland. Jene, die jenseits von Tarifverträgen, Mindestlöhnen und Arbeitsschutzvereinbarungen schuften. Es sind nicht nur anonyme Kleinstbetriebe, die Osteuropäer ihre Arbeit verrichten lassen, längst ist die Methode systematisiert: Auch große, namenhafte Konzerne nutzen die günstigen Leiharbeiter. Mit ihnen machen sie ihre Produkte bezahlbar, international konkurrenzfähig. Ein Konzept, um Produktionskosten zu sparen, ist Offshoring, die Verlagerung von Prozessen ins günstigere Ausland. Aber Auslagern ist nicht mehr nötig, wenn die Billiglöhner auch am eigenen, deutschen Produktionsstandort zu bekommen sind. Die Europäische Union macht's möglich.
Dreimal wird Gabriela abgezockt
Ab Januar 2014 ist der Arbeitsmarkt in Deutschland auch für Bulgaren und Rumänen geöffnet. Wie alle EU-Bürger genießen sie Freizügigkeit. Doch viele, die Arbeit suchen, werden ausgebeutet. An allen Ecken wird mit der wirtschaftlichen Not Geld gemacht. Mal kassiert schon die Vermittlerfirma Geld: einmal abgezockt. Dann der Lohn, der oft monatelang einbehalten wird, manchmal nie gezahlt wird: zweimal abgezockt. Dann die Wohnungen, für die Agenturen horrende Mieten verlangen: dreimal abgezockt.
Bei Gabriela ist es Letzteres. Einverstanden damit, dass sich ihre Vermittlungsagentur auch um eine Wohnung kümmert, ahnt sie nicht, was sie in Bretten, Deutschland, erwartet. Der Bus fährt sie zu einem alten Mietshaus. Der Putz verwittert, an einigen Stellen blättert er ab, an der Vorderseite hat die Feuchtigkeit im Gemäuer einen dunklen Fleck hinterlassen. Als Gabriela ins Haus geht, ihr das Zimmer gezeigt wird, in dem sie ab jetzt wohnen soll, kann sie nicht glauben, was sie sieht. Das hier ist kein Einzelapartment, sondern erinnert an ein heruntergekommenes Schullandheim. Schlafräume mit Stockbetten, keine eigene Küche, kein eigenes Bad, überall Menschen.
14 Kommentare verfügbar
Spatarkus
am 25.04.2014als meine Festangestellten Kollegen in der Firma komme auch kaum über die runden des Monats. Ich kann über den Lachhaften bis bitteren Mini Mindestlohn von 8,50€ nur Kotzen denn mein Lohn per Stunde liegt genau 43 Cent…