Große Ankündigungen zu machen und diese mit Fristen zu versehen, ist riskant. Friedrich Merz kann ein Lied davon singen. Nachdem er im Wahlkampf Erwartungen genährt hatte, als CDU-Bundeskanzler umgehend – quasi im Trump-Stil per Dekret – Veränderungen herbeiführen zu können, dann im Sommer einen "Herbst der Reformen" ankündigte, ist daraus nun ein Frühwinter der Ach-und-Krach-Entscheidungen geworden. Rentenpaket und Wehrdienstreform wurden vergangene Woche im Bundestag zwar beschlossen, aber nach so viel Gezerre, dass sich dies nicht unbedingt triumphal mit einer seitlichen Trizepspose feiern ließe. Von der angekündigten "Halbierung" der AfD wollen wir gar nicht erst anfangen.
So gesehen gibt die seit September neue Bahnchefin Evelyn Palla bislang ein ganz hoffnungsvolles Bild ab. Nachdem die DB vor drei Wochen den für Ende 2026 geplanten (Teil-)Inbetriebnahmetermin für Stuttgart 21 absagte, kündigte Palla nicht gleich ein neues Datum an. Wichtig sei, "wirklich lückenlos" die Gründe aufzuklären, sagte sie im Interview mit der "Bild am Sonntag", das werde "einige Zeit in Anspruch nehmen" und "da wird kein Stein auf dem anderen bleiben." Aber: "Wichtig ist, dass wir jetzt keinen Schnellschuss machen, dass wir nicht voreilig einen neuen Termin veröffentlichen." Klingt recht vernünftig, wie ja auch manche ihrer Ankündigungen kurz nach Amtsantritt. So will Palla Stellen in der Konzernleitung abbauen und die Organisation dezentralisieren, sodass künftig regionale Führungskräfte eigenverantwortlicher handeln können. Ob dies dem gleichen Befund geschuldet ist, den Bahnexperte und Kontext-Autor Winfried Wolf schon vor Jahren hatte – es gäbe zu viele "Bahnfeinde im Bahnvorstand", vor allem Manager aus der Auto- und Luftfahrtbranche –, das ist leider nicht bekannt.
Auf schnelle Erklärungen und Termine drängen indes die sogenannten Projektpartner der DB bei Stuttgart 21: Land Baden-Württemberg, Stadt sowie Region Stuttgart. Nachdem diese sofort nach der Eröffnungsabsage einen Sonderlenkungskreis zu S 21 gefordert hatten, dieser erst auf den 12. Dezember terminiert und dann auf Ende Januar verschoben worden war, wurde nun doch noch ein Termin im alten Jahr durchgesetzt: Am kommenden Montag, 15. Dezember treffen sich Vertreter:innen der Projektpartner am Stuttgarter Flughafen, ungewohnt hochkarätig: Neben Bahnchefin Palla ist auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dabei. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 riet Palla bereits Ende November in einem – sehr lesenswerten – offenen Brief: "Lassen Sie sich nicht zu einem einfachen 'Weiter so' drängen."
Kürzungen mit Rattenschwanz
Immerhin können das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart sich glücklich schätzen, dass sie die (wahrscheinlich noch steigenden) Mehrkosten von Stuttgart 21 nicht zahlen müssen. Denn wie vielen anderen Kommunen steht der Landeshauptstadt finanziell eine schwere Zeit bevor, weil die Einnahmen durch Gewerbesteuern einbrechen. Im aktuell debattierten Entwurf des Doppelhaushalts 2026/27 – ausgearbeitet von Verwaltung, CDU und Grünen – sind deshalb massive Kürzungen vorgesehen. So soll etwa der Württembergische Kunstverein sechs Prozent weniger Geld bekommen. Und das hätte weitreichende Folgen, wie unser Autor Dietrich Heißenbüttel schildert: Wegen des geringeren Eigenmittelanteils für Ausstellungen müsste bereits bewilligtes Geld von Stiftungen zurückgezahlt werden. Im Klartext: keine Ausstellungen im nächsten Jahr. Ob es so kommt, wird sich bei der abschließenden Haushaltslesung am 19. Dezember herausstellen.
Was den Kommunen helfen würde: mehr Geld von Land und Bund. Ende Oktober hatte Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) mit Amtskolleg:innen anderer Landeshauptstädte deshalb einen Brandbrief an Parteifreund Friedrich Merz geschrieben. Vergangene Woche war er dann in Berlin zu Gast im Kanzleramt. Laut Nopper sei es ein "gutes Gespräch auf Augenhöhe" gewesen und der "Ernst der Lage der Kommunalfinanzen" bei Merz angekommen. Doch bis auf Beteuerungen, sich drum zu kümmern, gab's vom Kanzler: nichts. Immerhin bekommt Baden-Württemberg 13 Milliarden Euro aus den Sondervermögen des Bundes, zwei Drittel davon gibt das Land weiter an die Kommunen. Das klingt nach viel, lässt aber dennoch viele Wünsche offen, schreibt unsere Autorin Johanna-Henkel Waidhofer.
Kontext sucht das Rotwild
Wie Land und Kommunen ist auch Kontext auf der Suche nach Geld. Und da wir keine Aussicht auf Staatsknete haben, sind wir angewiesen auf die Spenden unserer Leser:innen. Unsere Verwaltungsangestellte Renate Winter-Hoss legt sich geduldig auf die Lauer. Sie weiß: Kapital ist ein scheues Reh. Helfen Sie ihr und Kontext, es zu finden!




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