Die Zustandsbeschreibung der baden-württembergischen Grünen und CDU in ihrem zweiten Koalitionsvertrag 2021 war realistisch. Angesichts der Abfederung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen sei die Finanzsituation des Landes sehr angespannt, hieß es. Die aktuelle mittelfristige Finanzplanung weise für die kommenden Jahre eine große Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben auf. Hinzu kämen die Ungewissheit, die Situation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie die Entwicklung der Steuereinnahmen: "Deshalb ist eine strenge Ausgabendisziplin erforderlich."
Zugleich waren aber, wie es Usus ist zum Start in eine neue Legislaturperiode, die Versprechungen vollmundig: zur Gestaltung des Landes, zur nachhaltigen Finanzpolitik, im Klimaschutz ohnehin oder in Sachen Künstliche Intelligenz. Als Ziel wurde unter anderem genannt, "Baden-Württemberg zum weltweit attraktivsten Raum für die Entwicklung, Produktion und Anwendung neuer Technologien einer nachhaltigen und intelligent vernetzten Produktion zu machen". Nach jedem Ideenbündel folgte schon damals diese Einschränkung auf dem Fuße: Nicht weniger als 13 Mal schrieben die Unterhändler:innen vor viereinhalb Jahren in den Koalitionsvertrag, dass aufgrund der angespannten Haushaltssituation sämtliche zusätzlichen finanzwirksamen Maßnahmen unter Haushaltsvorbehalt stünden. Nur wenn es wieder finanzielle Spielräume gebe, könnten beschlossene Maßnahmen auch umgesetzt werden.
Dennoch stellten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), sein Stellvertreter Thomas Strobl (CDU) und der heutige neue starke Mann der Union im Land, Manuel Hagel, damals als Generalsekretär im Verhandlungsteam, seinerzeit in Aussicht, sich am Erreichten messen zu lassen: "Das ist die Richtschnur unserer Politik." Immerhin trug der Koalitionsvertrag den schmückenden Namen "Erneuerungsvertrag".
Das meiste geht an die Kommunen
Inzwischen ist erhebliche Ernüchterung eingetreten. Zwar steht Baden-Württemberg deutlich besser da als andere Bundesländer und mit seiner Pro-Kopf-Verschuldung hinter Hessen oder NWR. Das Musterländle von ehedem kann sich sogar Dauerhändel unter Regierungs- und Oppositionsfraktionen darüber leisten, ob Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) nun auf einem Schatz in Milliardenhöhe – vornehmlich bestehend aus Risikorücklagen – sitzt oder nicht. Erst kürzlich, bei der Debatte zur Einbringung des Nachtragshaushalts, hielt SPD-Fraktionschef Andreas Stoch dem Grünen insgesamt elf Milliarden Euro vor: neun Milliarden an sogenannten Ausgabenresten, also Mittel, die nicht abgeflossen sind, und zwei weitere Milliarden dank der positiveren Steuerschätzung. Bayaz selber verweist auf die engen Spielräume und weiß nicht einmal die milden Gaben aus Berlin stringent einzuschätzen. Er spricht bei der Landtagsdebatte in der vergangenen Woche einerseits davon, dass "wir uns vielleicht etwas Zeit kaufen, vielleicht geben wir den Kommunen etwas Luft zum Atmen". Andererseits lobt er die "enorme Unterstützung" der Städte und Gemeinden in schwieriger Situation.
13 Milliarden Euro hat das Land zu erwarten. Das ist eine große Zahl mit vielen Nullen, die bei näherer Betrachtung im Detail aber rasch und deutlich schrumpft. Erstens kommt das Geld auf zwölf Jahre verteilt an, pro Jahr rechnerisch also knapp 1,1 Milliarden. Davon bekommen die Kommunen über 8,7 Milliarden, ebenfalls auf zwölf Jahre verteilt. Die Verteilung ist ausverhandelt: Die größte Summe aus dem Topf geht mit insgesamt fast 270 Millionen in die Kasse der Landeshauptstadt.
Pars pro toto hat Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) trotzdem mit anderen Rathauschefs der Republik Alarm geschlagen und es so zu einer Einladung ins Kanzleramt des Parteifreunds Friedrich Merz gebracht. Danach kann auch er nur Durchwachsenes vermelden. "Es war ein gutes Gespräch auf Augenhöhe", behauptet Nopper tapfer. Konkret indes wird über eine neue Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen erst gesprochen, wenn Staatsmodernisierung und Reformen der Sozialsysteme Erfolge zeitigten. Schriftlich bilanziert der Stuttgarter OB: “Der Ernst der Lage ist im Kanzleramt angekommen." Nicht ohne die Gespräche als "ergebnislos" zu bezeichnen.




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