Die skurrile Klientelpartei, die als kleinster Koalitionspartner über Jahre hinweg verschwindend wenig Kompromissbereitschaft erkennen ließ, hat sich offenbar strategische Gedanken über ein mögliches Aus der Ampel-Regierung gemacht. Das legen Recherchen der "Zeit" nahe, die unter dem Titel "Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz" veröffentlicht wurden. Nach einer Konfrontation mit diesem Verdacht fragte FDP-Chef Christian Lindner: "Wo ist die Nachricht?"
In der Tat wurde die Satire mal wieder von der Realität eingeholt, denn bereits eine Woche zuvor veröffentlichte "Der Postillon" angebliche WhatsApp-Chats der Regierungsbeteiligten. In der Gruppe der FDP-Minister:innen, hier betitelt als "Vier Liberalos gegen die Ampel", wird der kalkulierte Bruch geplant. Außerdem gibt es einen vermeintlichen Chat zwischen Lindner und Springer-Chef Matthias Döpfner. Dieser hatte – Achtung, keine Satire! – den damaligen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt im vergangenen Bundestagswahlkampf per SMS gebeten: "Please stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind, können sie in Ampel so autoritär auftreten, dass die platzt." Dass sich die "Bild" auch unter neuer Führung kräftig für ihren Finanzminister der Herzen ins Zeug legt, ist auf "Übermedien" dokumentiert. Etwa mit Überschriften wie "Ampel-Bruch! Lindner schickt Scholz letzte Warnung" aus dem vergangenen Juni.
Der vielleicht größte Fehler der Ampel war es, sich überhaupt auf eine mitregierende Clownstruppe einzulassen. Dafür spricht jedenfalls, dass die Enthüllungen über eine gezielte Sabotage der Koalition mit Blick auf das Verhalten der FDP wenig überraschend kommen. Dennoch sind viele im Lande düpiert, so auch in den eigenen Reihen. Selbst in der CDU werden erste Stimmen laut, die eine künftige Koalition mit den Liberalen problematisieren. Der Heilbronner Bundestagsabgeordnete Alexander Throm warnt in einem Gespräch mit dem "Stern" vor Schwarz-Gelb. Die FDP sei "alles andere als ein natürlicher Partner". Gerade in der Gesellschafts- und Innenpolitik gebe es "nahezu keine Gemeinsamkeit". Er favorisiert sogar unverblümt ihren Abschied aus dem Bundestag. Denn: "Bleibt sie draußen, reichen zwei Parteien zur Regierungsbildung." Wenn er sich da mal nicht irrt, Stichwort: BSW.
Es geht ums Geld
Ein spektakulär inszeniertes Aus nach drei Jahren hätte Stuttgart 21 sicher gutgetan, bekanntlich kam es anders. Und weil das große Stadtumgrabungsprojekt von Anfang an immer kleingerechnet wurde, dürfen wir uns alle paar Jahre auf Kostensteigerungen in Milliardenhöhe freuen. Das wollte das Land Baden-Württemberg beim Stuttgarter Opernhaus anders machen. Bei der Sanierung des Littmann-Baus und dem Bau der Interimsspielstätte sollte nicht schöngefärbt werden, nein, von "optimierter Kostensteuerung" schwärmte im November 2019 Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne). Die Kosten wurden damals auf 740 bis 960 Millionen Euro veranschlagt. Fünf Jahre später ist noch nichts gebaut und alles wird sich um mindestens vier Jahre nach hinten schieben, war am Montagabend bei einem Pressetermin zu erfahren. Und wie viel wird's kosten? Ratloses Schulterzucken bei den Verantwortlichen, das wisse man nicht. Wir sind sicher: Weniger wird's nicht.
Geld kann nicht nur Opern sanieren, es kann klüger machen. Jedenfalls wenn es für hintergründigen und unabhängigen Journalismus ausgegeben wird – in Zeiten von Ampel-Aus, Trump, Kriegen und Klimakrise wichtiger denn je. Weil nun die Adventszeit naht, bitten wir in guter Tradition wieder mal um milde Gaben, und um Ihnen die Entscheidung zu erleichtern, springen in den kommenden Wochen unsere freien Autorinnen und Autoren für Kontext in die Bresche. Den Anfang macht in dieser Ausgabe Stefan Siller und wir sagen: danke. Danke an unsere Freien und danke an Sie!
Veranstaltungen: Krieg und Widerstand
Stefan Siller moderiert übrigens unsere Veranstaltungen "Kontext im Merlin". Dort hatte im vergangenen Juli Winfried Hermann (Grüne) die Initiative "Aufbruch zum Frieden" erstmals vorgestellt. Nun geht es weiter mit der Debatte zu Krieg und Frieden in der Ukraine. Unter der Überschrift "Strategiewechsel jetzt!" soll diskutiert werden, und zwar am Mittwoch, 27. November, 19 Uhr im Haus der Katholischen Kirche in Stuttgart. Weitere Informationen hier und hier.
Und noch ein Veranstaltungshinweis: Vor 80 Jahren, am 30. November 1944, wurden neun Mitglieder der kommunistischen Widerstandsgruppe Schlotterbeck aus Stuttgart-Luginsland im KZ Dachau ermordet, Hermann Schlotterbeck selbst im April 1945 im KZ Welzheim. Über ihn und die Verantwortlichen bei der Gestapo gibt es neue Erkenntnisse, über die der Autor Bernd Burkhardt und der Historiker Ulrich Widmann am Sonntag, dem 24. November ab 11 Uhr im "Hotel Silber" in Stuttgart sprechen werden. Kontext-Autor Hermann G. Abmayr moderiert.
3 Kommentare verfügbar
Bernd Letta
vor 1 Wochehttps://de.m.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2005