Puh. Es kann einen schon eine gewisse resignative Müdigkeit überkommen im Augenblick. In Thüringen, Brandenburg und Sachsen könnten die Rechtsextremen bei den Landtagswahlen extreme Stimmenanteile einfahren, CDU und FDP überbieten sich davor mit dem Treten nach unten, regelmäßig tauchen Forderungen nach weniger Feiertagen und Arbeiten bis 70 auf, die Bahn will Leute entlassen, obwohl sie schon heute nicht funktioniert, und so weiter. Diese Atmosphäre kommt einem doch irgendwie bekannt vor.
Die nicht mehr ganz Blutjungen werden sich erinnern, wie in den 1990ern Gewerkschaften pfui waren, im Osten zigtausende Facharbeiter:innen zu Köch:innen umgeschult wurden und der Westen meinte, mit dem Kapitalismus habe er nun endgültig gewonnen. Und aus heutiger Sicht: Hat er das nicht? Der Markt funktioniert – für immer weniger Leute, die immer mehr Geld ihr eigen nennen, während die mit weniger immer mehr werden.
Letzteren wiederum wird die Schuld dafür gerne persönlich zugeschoben. Faul würden sie sich in der Bürgergeldhängematte ausruhen. In dieses Horn tuten gerade sehr auffällig FDP und CDU/CSU. Dass es verschwindend wenige sind, die sich tatsächlich verweigern, interessiert die Spitzenpolitiker nicht, schreibt unsere Kollegin Johanna Henkel-Waidhofer. Hauptsache druff, am besten auf Arme und auf Migrant:innen, noch besser auf migrantische Arme. Da können sich dann diejenigen, die zwar scheiße verdienen, aber noch nicht im Bürgergeld gelandet sind, besser fühlen.
Besonders gut auf dieser Klaviatur spielt schon seit Jahren die AfD, und nicht nur im Osten kommt das immer besser an. Susanne Stiefel ist nach Thüringen gefahren, hat sich umgesehen und umgehört. Und unter anderem einen jungen Gärtner getroffen, der lange in Spanien gelebt und gearbeitet und viele spanische Freunde hat, und die AfD findet er gut, weil sie was gegen Ausländer machen wolle. Klingt logisch.
Ähnlich ratlos-staunend blicken wir auf den anstehenden Bürgergipfel. In der Stuttgarter Liederhalle lädt ein merkwürdiges Konglomerat aus Staatsverächtern, Ufo-Gläubigen, Querdenkern (fast nur Männer) dazu ein, sich für 150 Euro den ganzen Tag lang Zeug anzuhören. Welches, sagen sie nicht, aber was mutmaßlich zu erwarten ist, hat Minh Schredle recherchiert.
Auf diesem Gipfel präsentieren sich einige abstruse und AfD-affine Medien, die mittlerweile über ein weit gesponnenes Netzwerk verfügen. Die "Schwäbische Zeitung" ist nicht dabei, obwohl auch sie sich immer stärker nach rechts öffnet, Höcke, Krah und Konsorten eine Bühne bietet und dies "Verbreiterung des Meinungskorridors" nennt. Redakteur:innen fliehen, doch die Geschäftsführer lassen sich nicht beirren. Übrigens alles männliche Wessis, die nach der Wiedervereinigung Posten bei Zeitungen im Osten ergatterten, die Westverleger aufgekauft hatten. Und da haben sie munter ihren Meinungskorridor nach rechts ausgebaut. So viel zu "den Rechten" im Osten.
Auch wenn deutsche Rechte gerne vor der Islamisierung ihres Vorgartens warnen, auf die islamistischen Taliban müssten sie eigentlich neidisch sein: Männerbünde, die keine andere Lebensweise als die ihre akzeptieren, traditionelles Familienbild, und wer nicht spurt, wird bestraft. So erging es dem Stuttgarter Jama Maqsudi. Er saß zwei Monate im Gefängnis in Kabul wegen – wie üblich in Diktaturen – Beleidigung und Verrat. In einem denkwürdigen Gerichtsverfahren wollte ein Richter wissen, warum er, Maqsudi, in einem Land lebe, wo Frauen nackt rumlaufen. Am Ende wurde er verurteilt, sein Gefängnisaufenthalt angerechnet und er konnte ausreisen.
So viel Engstirnigkeit und Dummheit, wo soll das alles enden? Aber halt, da trudelt doch noch eine gute Nachricht ins Redaktionspostfach: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Verkehrsminister Winfried Hermann, beide Grüne, haben den zehnten "bwegt-Wanderweg" eröffnet. Im Schwarzwald. Angeblich "per Bus und Bahn zu erreichen". Haha, per Bahn erreichbar, der war gut, die Mundwinkel bewegen, ähm, bwegen sich schon nach oben. Und dann erst der Name des Wegs Nummer zehn, bei dem doch sicher die ersten beiden Wanderer ihre Hände im Spiel hatten: "Grüne Unendlichkeit". Herrlich. Humor haben sie.
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