Das wird ja immer toller! Zum Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos stellte die Entwicklungsorganisation Oxfam einen Bericht vor, der uns mit den Ohren wackeln ließ: Während sie im vergangenen Jahr noch erklärte, das Vermögen der 62 reichsten Personen entspräche dem der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung, sollen es 2017 nur noch acht sein. Acht verflixte Menschlein horten also so viel Geld im Sack, wie alle armen Menschen der ganzen Welt zusammen besitzen? Und jetzt erzählt uns bitte nochmal jemand, dass es mit der Spezies Mensch nicht bergab geht.
Okay, okay: Nachdem Stimmen laut wurden, die behaupteten, dass die Zahlen von Oxfam unseriös wären, drehte die Hilfsorganisation den Alarmschalter ein bisschen zurück. Klar sei die Zahl acht keine feste Größe, wie acht Äpfel oder acht Kekse. Oxfam nutzte Zahlen von Versicherungsgesellschaften und aus der Forbes-Liste – alles geschätzte Größen. Doch es sei eh nicht wichtig, ob 62 oder acht der 127 Superreichen so viel besäßen wie die Ärmsten. Die Sache mit dem Geld und der Weltbevölkerung reiche auch so zum Skandal, denn "die extreme Ungleichheit der Vermögen ist real", sagte ein Oxfam-Sprecher der "Süddeutschen Zeitung". Schön, dass die Sache mit dem Geld offenbar endlich ernsthafter diskutiert wird.
Auch die Kontext-Leserschaft hat sich über <link https: www.kontextwochenzeitung.de editorial armes-reiches-land-4133.html _blank external-link>unsere neue Serie zum Thema Arm und Reich gefreut. Natürlich nicht wie ein junger liberaler BWL-Student auf Speed. Diese Woche erreichte uns aber ein Leserbrief, dessen Verfasserin es "super" findet, dass wir einen Schwerpunkt auf das setzen, was viel zu wenig Menschen haben: Geld. "Hochspannend" finde sie auch die Beobachtungen des Darmstädter Soziologen Michael Hartmann zum Thema. Der hatte im <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft eliten-mit-sehschwaeche-4131.html>Kontext-Interview vergangene Woche festgestellt, dass viele in Wohlstand aufgewachsenen Menschen materielle Nöte dieser Welt überhaupt nicht sehen.
Doch die Leserbrief-Schreiberin geht noch weiter als Hartmann: Nach ihren Erfahrungen, schreibt sie, trifft das Nichtsehenkönnen oder -wollen auch auf "relativ 'normale' Verdienende und auch Studenten" zu. Die würden sich zwar mit Rassismus, Schwulenfeindlichkeit und Frauendiskriminierung auseinandersetzen. Doch Armut hätten auch die meisten Otto NormalbürgerInnen nicht auf dem Schirm. "Zu altmodisch, zu unsexy irgendwie", vermutet die Kontext-Leserin. Das wollen wir ändern. Weil es verdammt nochmal wichtig ist.
Mit dem Text von Minh Schredle zum Beispiel. Für unsere aktuelle Ausgabe hat es ihn nach Mannheim verschlagen – dort unternimmt die Stadt etwas, das Stuttgart dringend nachahmen sollte: sie setzt sich für bezahlbaren Wohnraum ein und zwingt Investoren, einen Anteil an Sozialwohnungen bereitzustellen. <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft kein-platz-fuer-heuschrecken-4143.html>Gute Sache. Gute Geschichte. Wie auch die von Jürgen Lessat, der sich adlige Großgrundbesitzer in Baden-Württemberg genauer angesehen hat und vor Augen führt, dass es nicht gut ist, <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft arm-reich-4144.html>wenn wenige Menschen über zu viel Land verfügen. Wie es wiederum um die in Stuttgart steht, die gar nichts mehr haben, erzählt <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft jeder-zehnte-am-abgrund-4145.html>Dietrich Heißenbüttel.
Wie wichtig es ist, Ungleichheit und Armut endlich aus dem toten Winkel zu holen und radikale Systemkritik zu betreiben, zeigt jüngst der Suizid des britischen Kultur- und Kapitalismuskritikers Mark Fisher. Seit seiner Jugend litt er unter Depressionen, die er nicht als Privatangelegenheit, sondern als Politikum verstand. Als Ergebnis von Kapitalismus, Selbstoptimierung und dem Gefühl, dass es keine Alternative gibt. Sorgen wir dafür, dass er nicht recht behält.
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adabei
am 19.01.2017